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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Beute machte die Trotzigsten zu Räubern. Mit rostigen Waffen versehn,
die sie vielleicht getöteten Marodeuren abgenommen hatten, führten sie unter
den Fichten der Berge ein gesetzloses Leben, als Gefährten des Wolfes und
der Krähe, bald Wilddiebe, bald Wegelagerer.

So verminderte sich die Bevölkerung des flachen Landes mit reißender
Schnelligkeit. Schon zur Zeit des Schwedenkönigs waren mehre Dörfer ganz
verlassen und um die geschwärzten Balken und das Stroh der zerrissenen
Dächer schlichen die Thiere des Waldes und etwa die zerlumpte Leidensgestalt
eines alten Mütterleins oder eines Krüppels. Von da an nahm das Unheil
in solcher Steigerung zu, daß sich nichts in der neuem Geschichte damit ver¬
gleichen läßt.' Zu den zerstörenden Dämonen des Schwertes kamen andere nicht
weniger furchtbare und noch gefräßigere. Das Land war- wenig bebaut wor¬
den und hatte eiye schlechte Ernte gegeben. Eine unerhörte Theurung ent-,
stand, Hungersnoth folgte und , in dem Jahre 1635 und 36 ergriff eine
Seuche,so schrecklich, wie sie seit fast hundert Jahren in Deutschland nicht
gewüthet hatte, die kraftlosen Leiber. Sie breitete ihr Leichentuch langsam
über das ganze deutsche Land, über den Soldaten, wie über den Bauer, die
Heere sielen auseinander unter ihrem sengenden Hauch; viele Oerter verloren
die Hälfte ihrer Bewohner, in manchen Dörfern Frankens und Thüringens
blieben nur einzelne übrig. Was noch von Kraft in einer Ecke des Landes
gedauert hatte, jetzt wurde es zerbrochen. -- Der Krieg aber wüthete von dieser
Schreckenszeit ab noch 12 lange Jahre. Auch er war schwächer geworden, die Heer¬
haufen kleiner, die Operationen aus Mangel an Lebensmitteln und Thieren un¬
steter und planloser, aber wo die Kriegsfurie ausflackerte, fraß sie erbarmungs¬
los weg, was sich noch von Leben zeigte. Das Volk erreichte die letzte Tiefe
des Unglücks; ein dumpfes apathisches Brüten wurde allgemein. Bis dahin
hatte sich die Presse in Streitschriften, Liedern und fliegenden Blättern lebhast
an dem Kampfe betheiligt, seit der großen Seuche werden auch diese Volks¬
stimmen selten. Ein klägliches, bettelhaftes Wesen nimmt in Stadt und Land
überHand. Gleichgiltigkeit gegen das eigne und fremde Leid, rohe Genußsucht,
Kriecherei und Gesinnungslosigkeit werden hervorstechende Züge auch in den
anspruchsvolleren Classen. Von den Landleuten ist aus dieser letzten Zeit
wenig zu berichten. Sie vegetiren verwildert und hoffnungslos, aber nur
geringe Nachrichten sind in Dorfurkunden, Pfarrbüchern und kleinen Chroniken
zu finden. Man hatte in den Dörfern das Schreiben, ja fast die laute Klage, ver¬
lernt. Daß jetzt eine Zeit gekommen war, wo solche, die zwanzig Jahre
des Leidens ausgehalten hatten, selbst Hand an sich legten, das lesen wir aus
Berichten der Gesandten, welche an dem großen Frieden Jahre lang vergeblich
arbeiteten.

Man mag fragen, wie bei solchen Verlusten und so gründlichem Verderb


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Beute machte die Trotzigsten zu Räubern. Mit rostigen Waffen versehn,
die sie vielleicht getöteten Marodeuren abgenommen hatten, führten sie unter
den Fichten der Berge ein gesetzloses Leben, als Gefährten des Wolfes und
der Krähe, bald Wilddiebe, bald Wegelagerer.

So verminderte sich die Bevölkerung des flachen Landes mit reißender
Schnelligkeit. Schon zur Zeit des Schwedenkönigs waren mehre Dörfer ganz
verlassen und um die geschwärzten Balken und das Stroh der zerrissenen
Dächer schlichen die Thiere des Waldes und etwa die zerlumpte Leidensgestalt
eines alten Mütterleins oder eines Krüppels. Von da an nahm das Unheil
in solcher Steigerung zu, daß sich nichts in der neuem Geschichte damit ver¬
gleichen läßt.' Zu den zerstörenden Dämonen des Schwertes kamen andere nicht
weniger furchtbare und noch gefräßigere. Das Land war- wenig bebaut wor¬
den und hatte eiye schlechte Ernte gegeben. Eine unerhörte Theurung ent-,
stand, Hungersnoth folgte und , in dem Jahre 1635 und 36 ergriff eine
Seuche,so schrecklich, wie sie seit fast hundert Jahren in Deutschland nicht
gewüthet hatte, die kraftlosen Leiber. Sie breitete ihr Leichentuch langsam
über das ganze deutsche Land, über den Soldaten, wie über den Bauer, die
Heere sielen auseinander unter ihrem sengenden Hauch; viele Oerter verloren
die Hälfte ihrer Bewohner, in manchen Dörfern Frankens und Thüringens
blieben nur einzelne übrig. Was noch von Kraft in einer Ecke des Landes
gedauert hatte, jetzt wurde es zerbrochen. — Der Krieg aber wüthete von dieser
Schreckenszeit ab noch 12 lange Jahre. Auch er war schwächer geworden, die Heer¬
haufen kleiner, die Operationen aus Mangel an Lebensmitteln und Thieren un¬
steter und planloser, aber wo die Kriegsfurie ausflackerte, fraß sie erbarmungs¬
los weg, was sich noch von Leben zeigte. Das Volk erreichte die letzte Tiefe
des Unglücks; ein dumpfes apathisches Brüten wurde allgemein. Bis dahin
hatte sich die Presse in Streitschriften, Liedern und fliegenden Blättern lebhast
an dem Kampfe betheiligt, seit der großen Seuche werden auch diese Volks¬
stimmen selten. Ein klägliches, bettelhaftes Wesen nimmt in Stadt und Land
überHand. Gleichgiltigkeit gegen das eigne und fremde Leid, rohe Genußsucht,
Kriecherei und Gesinnungslosigkeit werden hervorstechende Züge auch in den
anspruchsvolleren Classen. Von den Landleuten ist aus dieser letzten Zeit
wenig zu berichten. Sie vegetiren verwildert und hoffnungslos, aber nur
geringe Nachrichten sind in Dorfurkunden, Pfarrbüchern und kleinen Chroniken
zu finden. Man hatte in den Dörfern das Schreiben, ja fast die laute Klage, ver¬
lernt. Daß jetzt eine Zeit gekommen war, wo solche, die zwanzig Jahre
des Leidens ausgehalten hatten, selbst Hand an sich legten, das lesen wir aus
Berichten der Gesandten, welche an dem großen Frieden Jahre lang vergeblich
arbeiteten.

Man mag fragen, wie bei solchen Verlusten und so gründlichem Verderb


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[0019] Beute machte die Trotzigsten zu Räubern. Mit rostigen Waffen versehn, die sie vielleicht getöteten Marodeuren abgenommen hatten, führten sie unter den Fichten der Berge ein gesetzloses Leben, als Gefährten des Wolfes und der Krähe, bald Wilddiebe, bald Wegelagerer. So verminderte sich die Bevölkerung des flachen Landes mit reißender Schnelligkeit. Schon zur Zeit des Schwedenkönigs waren mehre Dörfer ganz verlassen und um die geschwärzten Balken und das Stroh der zerrissenen Dächer schlichen die Thiere des Waldes und etwa die zerlumpte Leidensgestalt eines alten Mütterleins oder eines Krüppels. Von da an nahm das Unheil in solcher Steigerung zu, daß sich nichts in der neuem Geschichte damit ver¬ gleichen läßt.' Zu den zerstörenden Dämonen des Schwertes kamen andere nicht weniger furchtbare und noch gefräßigere. Das Land war- wenig bebaut wor¬ den und hatte eiye schlechte Ernte gegeben. Eine unerhörte Theurung ent-, stand, Hungersnoth folgte und , in dem Jahre 1635 und 36 ergriff eine Seuche,so schrecklich, wie sie seit fast hundert Jahren in Deutschland nicht gewüthet hatte, die kraftlosen Leiber. Sie breitete ihr Leichentuch langsam über das ganze deutsche Land, über den Soldaten, wie über den Bauer, die Heere sielen auseinander unter ihrem sengenden Hauch; viele Oerter verloren die Hälfte ihrer Bewohner, in manchen Dörfern Frankens und Thüringens blieben nur einzelne übrig. Was noch von Kraft in einer Ecke des Landes gedauert hatte, jetzt wurde es zerbrochen. — Der Krieg aber wüthete von dieser Schreckenszeit ab noch 12 lange Jahre. Auch er war schwächer geworden, die Heer¬ haufen kleiner, die Operationen aus Mangel an Lebensmitteln und Thieren un¬ steter und planloser, aber wo die Kriegsfurie ausflackerte, fraß sie erbarmungs¬ los weg, was sich noch von Leben zeigte. Das Volk erreichte die letzte Tiefe des Unglücks; ein dumpfes apathisches Brüten wurde allgemein. Bis dahin hatte sich die Presse in Streitschriften, Liedern und fliegenden Blättern lebhast an dem Kampfe betheiligt, seit der großen Seuche werden auch diese Volks¬ stimmen selten. Ein klägliches, bettelhaftes Wesen nimmt in Stadt und Land überHand. Gleichgiltigkeit gegen das eigne und fremde Leid, rohe Genußsucht, Kriecherei und Gesinnungslosigkeit werden hervorstechende Züge auch in den anspruchsvolleren Classen. Von den Landleuten ist aus dieser letzten Zeit wenig zu berichten. Sie vegetiren verwildert und hoffnungslos, aber nur geringe Nachrichten sind in Dorfurkunden, Pfarrbüchern und kleinen Chroniken zu finden. Man hatte in den Dörfern das Schreiben, ja fast die laute Klage, ver¬ lernt. Daß jetzt eine Zeit gekommen war, wo solche, die zwanzig Jahre des Leidens ausgehalten hatten, selbst Hand an sich legten, das lesen wir aus Berichten der Gesandten, welche an dem großen Frieden Jahre lang vergeblich arbeiteten. Man mag fragen, wie bei solchen Verlusten und so gründlichem Verderb 2*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/19>, abgerufen am 15.05.2024.