Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

So waren die Abgeordneten in einer fast persönlichen Abhängigkeit von
denen, die durch sie ihre kleinen Privatinteressen durchsetzen wollten, die Ab¬
geordneten ihrerseits bestürmten die Minister um die Fische und Brote des
Staates für ihre Wähler. Die Regierung hatte damit eine ungeheure Macht
in Händen und war doch grade dadurch in jedem Schritt gehemmt, denn je
mehr sie gab, desto stärker wuchs die'Zahl der Begehrlichen. Sie hatte aller¬
dings viel zu geben, denn Frankreich war trotz des. repräsentativen Ucberbaus
das am strengsten bureaukratisch regierte Land, für die wenigsten Stellen
wurden, wie z. B. in Preußen, ernste Prüfungen verlangt, die Minister ver¬
gaben sie nach Willkür, die Beamten aber waren wählbar und konnten durch
gute Dienste, welche sie der Regierung thaten, steigen, die, welche noch nicht
Beamte waren, konnten es werden. Die Kammer ward so ein Feld nicht für
die Parteikämpfe, sondern für die Privatinteressen, sie ward, besonders da der
große Grundbesitz, welcher in legitimistischen Händen war, sich fern hielt, eine
Pflanzschule der Beamten, welche Carriere machen wollten. Der schärfste
Ausdruck dieses Systems war die Kammer, welche die Februarrevolution über¬
raschte, die ganze Phalanx der Beamten, stimmte trotz alledem und alledem
unerschütterlich für Guizot. aber sie hielt ihn nicht, denn man stützt sich nur
auf das, was widersteht. In einem Lande/ dein die Idee der örtlichen
Selbstregierung bis auf die letzte Spur verloren gegangen ist. hat die reprä¬
sentative Regierung, keine Wurzel, nur auf der breiten Grundlage der freien
Gemeinde- und Provinzialverfassung steht das Gebäude der Reichsverfassung
fest und sicher, Louis Philipp ward bei Seite geschoben wie ein Bureauchef,
der Maschinist wechselte, die Maschine blieb dieselbe.

Die zweite Kammer war unglücklich zusammengesetzt, man hätte ihr we¬
nigstens ein Gegengewicht in der Pairskammer geben sollen, man schaffte aber
die Erblichkeit ab und wählte den unglücklichsten Mittelweg, eine lebensläng¬
liche Pair-le. vom König ernannt, der dabei indeß doch auf gewisse Katego¬
rien beschränkt war. welche meist aus hohen Beamten bestanden. So war
auch da die Bureaukratie, es war keine Aristokratie, sondern ein napoleonischer
Senat. Es mag sein, daß unter den Umständen die Aufrechthaltung^der Erb¬
lichkeit unmöglich war. weil sich grübe der grundbesitzende Adel ganz zurück-
zog. dann hätte man lieber das Princip einer comvinirten Wahl wie in Bel¬
gien. Spanien und den Vereinigten Staaten aufstellen sollen, denn Wahl gibt
doch immer eine Art von Macht, man machte aber in Frankreich den Körper,
der das Gleichgewicht gegen die fluctuirende Beweglichkeit der zweiten Kammer
bilden sollte, zu einer Versammlung emeritirter hoher Beamten, die nicht ein
einziges Mal würdig und bedeutend eingriff. Es saßen ausgezeichnete Leute
darin, die vor ihrer Ernennung zu Pairs bedeutende individuelle Autorität
hatten, die falsche Stellung der Kammer neutralisirte ihre Gaben. Villemain,


23-*

So waren die Abgeordneten in einer fast persönlichen Abhängigkeit von
denen, die durch sie ihre kleinen Privatinteressen durchsetzen wollten, die Ab¬
geordneten ihrerseits bestürmten die Minister um die Fische und Brote des
Staates für ihre Wähler. Die Regierung hatte damit eine ungeheure Macht
in Händen und war doch grade dadurch in jedem Schritt gehemmt, denn je
mehr sie gab, desto stärker wuchs die'Zahl der Begehrlichen. Sie hatte aller¬
dings viel zu geben, denn Frankreich war trotz des. repräsentativen Ucberbaus
das am strengsten bureaukratisch regierte Land, für die wenigsten Stellen
wurden, wie z. B. in Preußen, ernste Prüfungen verlangt, die Minister ver¬
gaben sie nach Willkür, die Beamten aber waren wählbar und konnten durch
gute Dienste, welche sie der Regierung thaten, steigen, die, welche noch nicht
Beamte waren, konnten es werden. Die Kammer ward so ein Feld nicht für
die Parteikämpfe, sondern für die Privatinteressen, sie ward, besonders da der
große Grundbesitz, welcher in legitimistischen Händen war, sich fern hielt, eine
Pflanzschule der Beamten, welche Carriere machen wollten. Der schärfste
Ausdruck dieses Systems war die Kammer, welche die Februarrevolution über¬
raschte, die ganze Phalanx der Beamten, stimmte trotz alledem und alledem
unerschütterlich für Guizot. aber sie hielt ihn nicht, denn man stützt sich nur
auf das, was widersteht. In einem Lande/ dein die Idee der örtlichen
Selbstregierung bis auf die letzte Spur verloren gegangen ist. hat die reprä¬
sentative Regierung, keine Wurzel, nur auf der breiten Grundlage der freien
Gemeinde- und Provinzialverfassung steht das Gebäude der Reichsverfassung
fest und sicher, Louis Philipp ward bei Seite geschoben wie ein Bureauchef,
der Maschinist wechselte, die Maschine blieb dieselbe.

Die zweite Kammer war unglücklich zusammengesetzt, man hätte ihr we¬
nigstens ein Gegengewicht in der Pairskammer geben sollen, man schaffte aber
die Erblichkeit ab und wählte den unglücklichsten Mittelweg, eine lebensläng¬
liche Pair-le. vom König ernannt, der dabei indeß doch auf gewisse Katego¬
rien beschränkt war. welche meist aus hohen Beamten bestanden. So war
auch da die Bureaukratie, es war keine Aristokratie, sondern ein napoleonischer
Senat. Es mag sein, daß unter den Umständen die Aufrechthaltung^der Erb¬
lichkeit unmöglich war. weil sich grübe der grundbesitzende Adel ganz zurück-
zog. dann hätte man lieber das Princip einer comvinirten Wahl wie in Bel¬
gien. Spanien und den Vereinigten Staaten aufstellen sollen, denn Wahl gibt
doch immer eine Art von Macht, man machte aber in Frankreich den Körper,
der das Gleichgewicht gegen die fluctuirende Beweglichkeit der zweiten Kammer
bilden sollte, zu einer Versammlung emeritirter hoher Beamten, die nicht ein
einziges Mal würdig und bedeutend eingriff. Es saßen ausgezeichnete Leute
darin, die vor ihrer Ernennung zu Pairs bedeutende individuelle Autorität
hatten, die falsche Stellung der Kammer neutralisirte ihre Gaben. Villemain,


23-*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105464"/>
            <p xml:id="ID_428" prev="#ID_427"> So waren die Abgeordneten in einer fast persönlichen Abhängigkeit von<lb/>
denen, die durch sie ihre kleinen Privatinteressen durchsetzen wollten, die Ab¬<lb/>
geordneten ihrerseits bestürmten die Minister um die Fische und Brote des<lb/>
Staates für ihre Wähler. Die Regierung hatte damit eine ungeheure Macht<lb/>
in Händen und war doch grade dadurch in jedem Schritt gehemmt, denn je<lb/>
mehr sie gab, desto stärker wuchs die'Zahl der Begehrlichen. Sie hatte aller¬<lb/>
dings viel zu geben, denn Frankreich war trotz des. repräsentativen Ucberbaus<lb/>
das am strengsten bureaukratisch regierte Land, für die wenigsten Stellen<lb/>
wurden, wie z. B. in Preußen, ernste Prüfungen verlangt, die Minister ver¬<lb/>
gaben sie nach Willkür, die Beamten aber waren wählbar und konnten durch<lb/>
gute Dienste, welche sie der Regierung thaten, steigen, die, welche noch nicht<lb/>
Beamte waren, konnten es werden. Die Kammer ward so ein Feld nicht für<lb/>
die Parteikämpfe, sondern für die Privatinteressen, sie ward, besonders da der<lb/>
große Grundbesitz, welcher in legitimistischen Händen war, sich fern hielt, eine<lb/>
Pflanzschule der Beamten, welche Carriere machen wollten. Der schärfste<lb/>
Ausdruck dieses Systems war die Kammer, welche die Februarrevolution über¬<lb/>
raschte, die ganze Phalanx der Beamten, stimmte trotz alledem und alledem<lb/>
unerschütterlich für Guizot. aber sie hielt ihn nicht, denn man stützt sich nur<lb/>
auf das, was widersteht. In einem Lande/ dein die Idee der örtlichen<lb/>
Selbstregierung bis auf die letzte Spur verloren gegangen ist. hat die reprä¬<lb/>
sentative Regierung, keine Wurzel, nur auf der breiten Grundlage der freien<lb/>
Gemeinde- und Provinzialverfassung steht das Gebäude der Reichsverfassung<lb/>
fest und sicher, Louis Philipp ward bei Seite geschoben wie ein Bureauchef,<lb/>
der Maschinist wechselte, die Maschine blieb dieselbe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_429" next="#ID_430"> Die zweite Kammer war unglücklich zusammengesetzt, man hätte ihr we¬<lb/>
nigstens ein Gegengewicht in der Pairskammer geben sollen, man schaffte aber<lb/>
die Erblichkeit ab und wählte den unglücklichsten Mittelweg, eine lebensläng¬<lb/>
liche Pair-le. vom König ernannt, der dabei indeß doch auf gewisse Katego¬<lb/>
rien beschränkt war. welche meist aus hohen Beamten bestanden. So war<lb/>
auch da die Bureaukratie, es war keine Aristokratie, sondern ein napoleonischer<lb/>
Senat. Es mag sein, daß unter den Umständen die Aufrechthaltung^der Erb¬<lb/>
lichkeit unmöglich war. weil sich grübe der grundbesitzende Adel ganz zurück-<lb/>
zog. dann hätte man lieber das Princip einer comvinirten Wahl wie in Bel¬<lb/>
gien. Spanien und den Vereinigten Staaten aufstellen sollen, denn Wahl gibt<lb/>
doch immer eine Art von Macht, man machte aber in Frankreich den Körper,<lb/>
der das Gleichgewicht gegen die fluctuirende Beweglichkeit der zweiten Kammer<lb/>
bilden sollte, zu einer Versammlung emeritirter hoher Beamten, die nicht ein<lb/>
einziges Mal würdig und bedeutend eingriff. Es saßen ausgezeichnete Leute<lb/>
darin, die vor ihrer Ernennung zu Pairs bedeutende individuelle Autorität<lb/>
hatten, die falsche Stellung der Kammer neutralisirte ihre Gaben. Villemain,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 23-*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] So waren die Abgeordneten in einer fast persönlichen Abhängigkeit von denen, die durch sie ihre kleinen Privatinteressen durchsetzen wollten, die Ab¬ geordneten ihrerseits bestürmten die Minister um die Fische und Brote des Staates für ihre Wähler. Die Regierung hatte damit eine ungeheure Macht in Händen und war doch grade dadurch in jedem Schritt gehemmt, denn je mehr sie gab, desto stärker wuchs die'Zahl der Begehrlichen. Sie hatte aller¬ dings viel zu geben, denn Frankreich war trotz des. repräsentativen Ucberbaus das am strengsten bureaukratisch regierte Land, für die wenigsten Stellen wurden, wie z. B. in Preußen, ernste Prüfungen verlangt, die Minister ver¬ gaben sie nach Willkür, die Beamten aber waren wählbar und konnten durch gute Dienste, welche sie der Regierung thaten, steigen, die, welche noch nicht Beamte waren, konnten es werden. Die Kammer ward so ein Feld nicht für die Parteikämpfe, sondern für die Privatinteressen, sie ward, besonders da der große Grundbesitz, welcher in legitimistischen Händen war, sich fern hielt, eine Pflanzschule der Beamten, welche Carriere machen wollten. Der schärfste Ausdruck dieses Systems war die Kammer, welche die Februarrevolution über¬ raschte, die ganze Phalanx der Beamten, stimmte trotz alledem und alledem unerschütterlich für Guizot. aber sie hielt ihn nicht, denn man stützt sich nur auf das, was widersteht. In einem Lande/ dein die Idee der örtlichen Selbstregierung bis auf die letzte Spur verloren gegangen ist. hat die reprä¬ sentative Regierung, keine Wurzel, nur auf der breiten Grundlage der freien Gemeinde- und Provinzialverfassung steht das Gebäude der Reichsverfassung fest und sicher, Louis Philipp ward bei Seite geschoben wie ein Bureauchef, der Maschinist wechselte, die Maschine blieb dieselbe. Die zweite Kammer war unglücklich zusammengesetzt, man hätte ihr we¬ nigstens ein Gegengewicht in der Pairskammer geben sollen, man schaffte aber die Erblichkeit ab und wählte den unglücklichsten Mittelweg, eine lebensläng¬ liche Pair-le. vom König ernannt, der dabei indeß doch auf gewisse Katego¬ rien beschränkt war. welche meist aus hohen Beamten bestanden. So war auch da die Bureaukratie, es war keine Aristokratie, sondern ein napoleonischer Senat. Es mag sein, daß unter den Umständen die Aufrechthaltung^der Erb¬ lichkeit unmöglich war. weil sich grübe der grundbesitzende Adel ganz zurück- zog. dann hätte man lieber das Princip einer comvinirten Wahl wie in Bel¬ gien. Spanien und den Vereinigten Staaten aufstellen sollen, denn Wahl gibt doch immer eine Art von Macht, man machte aber in Frankreich den Körper, der das Gleichgewicht gegen die fluctuirende Beweglichkeit der zweiten Kammer bilden sollte, zu einer Versammlung emeritirter hoher Beamten, die nicht ein einziges Mal würdig und bedeutend eingriff. Es saßen ausgezeichnete Leute darin, die vor ihrer Ernennung zu Pairs bedeutende individuelle Autorität hatten, die falsche Stellung der Kammer neutralisirte ihre Gaben. Villemain, 23-*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/187>, abgerufen am 15.05.2024.