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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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werdes mühelos und noch dazu nieist durch fremde Hände sein Brot zu ver-
dienen, insofern er Consument ist. möglichst villig zu seinen Bedürfnissen zu
gelangen. Es ist ihm gleichgiltig, daß so das Handwerk von Jahr zu Jahr
in der öffentlichen Meinung mehr und mehr sinkt, weil es auf diesem Wege
zur bloßen Hand- und Tagearbeit wird. Er denkt nicht daran, daß so der
gearbeitete Gegenstand dem Schöpfer wie dem Empfänger bedeutungslos
bleibt, weil eben nichts an demselben sich vorfindet, was außer dem augen¬
blicklichen Zweck und Bedarf ein Interesse an der Sache einflößen könnte.
Wenn der Gegenstand deshalb kein Familienstück wird, so meint man, gewinnt
der Producent, weil mehr verbraucht wird, der Consument, weil er billiger
zum Ersatz kommen kann. Und doch ist die Rechnung ohne den Wirth
gemacht; denn in demselben Maße, in welchem der bleibende Werth eines
Productes sinkt, fällt ja auch naturgemäß der Arbeitslohn, und in demselben
Maße, in welchem der Berfertiger sich Arbeitszeit daran erspart, bezahlt der
Empfänger weniger.

Bewirke wird diese gewiß billige Ausgleichung durch die alles bewältigende
Concurrenz. -- Somit ist der Einwurf. daß eine gewerbliche Kunstthätigkeit nicht
möglich sei, weil sie sich nicht bezahlt, zurückgewiesen.

Etwas Anderes aber ist es, ob auch das Verlangen danach im Publi-
cum vorhanden ist. Ich glaube ja! Mit der Steigerung der Bildung steigt
selbstverständlich auch der Sinn für die bildende Kunst: das Auge lernt sehen,
gewöhnt sich an die Schönheit der Linien und die dadurch bewirkte Schön¬
heit der Formen es empfindet zuletzt sogar einen unbewußten Ekel vor allem
Gleichgültigen und Häßlichen, ob ihm dasselbe in der Natur oder dem den
natürlichen Stoff blos verarbeitenden Handwerk, oder der denselben locali-
sirenden Kunst entgegentritt.

Die von Tag zu Tag sich mehrenden Schaufenster der großen Städte, in
welchen man eben nicht blos das den praktischen Zweck, sondern mehr das
den Schönheitssinn Befriedigende und das Auge Lockende aufzustellen pflegt,
sprechen deutlich genug für das Borhandensein dieses Sinnes im gewöhnlichen
Publicum; denn wenn sich die bedeutenden^. Herstellungskosten derselben nicht
deckten, würden sie ja von selbst wieder vom Markt verschwinden. Noch mehr
für denselben zeugen die Industrieausstellungen unserer Tage, auf welchen überall
diejenigen Aussteller bekanntermaßen den meisten Beifall und Vortheil er¬
rungen haben, welche in der Formvollendung ihrer Erzeugnisse zu genügen
verstanden. Der von Jahr zu Jahr sich steigernde Sinn für das sinnige
und Formschöne äußert sich ferner lebhaft in den massenhaft erscheinenden
illustrirten Werken, deren wahren Werth freilich ein mit derartigen Dingen
noch zu wenig Vertrauter gewöhnlich unterschätzt. Die Zahl des die Kunstaus¬
stellungen besuchenden Publicums ist in der letzten Zeit in kaum erwarteter Weise


Grenzl-öden I. 1S58. 24

werdes mühelos und noch dazu nieist durch fremde Hände sein Brot zu ver-
dienen, insofern er Consument ist. möglichst villig zu seinen Bedürfnissen zu
gelangen. Es ist ihm gleichgiltig, daß so das Handwerk von Jahr zu Jahr
in der öffentlichen Meinung mehr und mehr sinkt, weil es auf diesem Wege
zur bloßen Hand- und Tagearbeit wird. Er denkt nicht daran, daß so der
gearbeitete Gegenstand dem Schöpfer wie dem Empfänger bedeutungslos
bleibt, weil eben nichts an demselben sich vorfindet, was außer dem augen¬
blicklichen Zweck und Bedarf ein Interesse an der Sache einflößen könnte.
Wenn der Gegenstand deshalb kein Familienstück wird, so meint man, gewinnt
der Producent, weil mehr verbraucht wird, der Consument, weil er billiger
zum Ersatz kommen kann. Und doch ist die Rechnung ohne den Wirth
gemacht; denn in demselben Maße, in welchem der bleibende Werth eines
Productes sinkt, fällt ja auch naturgemäß der Arbeitslohn, und in demselben
Maße, in welchem der Berfertiger sich Arbeitszeit daran erspart, bezahlt der
Empfänger weniger.

Bewirke wird diese gewiß billige Ausgleichung durch die alles bewältigende
Concurrenz. — Somit ist der Einwurf. daß eine gewerbliche Kunstthätigkeit nicht
möglich sei, weil sie sich nicht bezahlt, zurückgewiesen.

Etwas Anderes aber ist es, ob auch das Verlangen danach im Publi-
cum vorhanden ist. Ich glaube ja! Mit der Steigerung der Bildung steigt
selbstverständlich auch der Sinn für die bildende Kunst: das Auge lernt sehen,
gewöhnt sich an die Schönheit der Linien und die dadurch bewirkte Schön¬
heit der Formen es empfindet zuletzt sogar einen unbewußten Ekel vor allem
Gleichgültigen und Häßlichen, ob ihm dasselbe in der Natur oder dem den
natürlichen Stoff blos verarbeitenden Handwerk, oder der denselben locali-
sirenden Kunst entgegentritt.

Die von Tag zu Tag sich mehrenden Schaufenster der großen Städte, in
welchen man eben nicht blos das den praktischen Zweck, sondern mehr das
den Schönheitssinn Befriedigende und das Auge Lockende aufzustellen pflegt,
sprechen deutlich genug für das Borhandensein dieses Sinnes im gewöhnlichen
Publicum; denn wenn sich die bedeutenden^. Herstellungskosten derselben nicht
deckten, würden sie ja von selbst wieder vom Markt verschwinden. Noch mehr
für denselben zeugen die Industrieausstellungen unserer Tage, auf welchen überall
diejenigen Aussteller bekanntermaßen den meisten Beifall und Vortheil er¬
rungen haben, welche in der Formvollendung ihrer Erzeugnisse zu genügen
verstanden. Der von Jahr zu Jahr sich steigernde Sinn für das sinnige
und Formschöne äußert sich ferner lebhaft in den massenhaft erscheinenden
illustrirten Werken, deren wahren Werth freilich ein mit derartigen Dingen
noch zu wenig Vertrauter gewöhnlich unterschätzt. Die Zahl des die Kunstaus¬
stellungen besuchenden Publicums ist in der letzten Zeit in kaum erwarteter Weise


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[0193] werdes mühelos und noch dazu nieist durch fremde Hände sein Brot zu ver- dienen, insofern er Consument ist. möglichst villig zu seinen Bedürfnissen zu gelangen. Es ist ihm gleichgiltig, daß so das Handwerk von Jahr zu Jahr in der öffentlichen Meinung mehr und mehr sinkt, weil es auf diesem Wege zur bloßen Hand- und Tagearbeit wird. Er denkt nicht daran, daß so der gearbeitete Gegenstand dem Schöpfer wie dem Empfänger bedeutungslos bleibt, weil eben nichts an demselben sich vorfindet, was außer dem augen¬ blicklichen Zweck und Bedarf ein Interesse an der Sache einflößen könnte. Wenn der Gegenstand deshalb kein Familienstück wird, so meint man, gewinnt der Producent, weil mehr verbraucht wird, der Consument, weil er billiger zum Ersatz kommen kann. Und doch ist die Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn in demselben Maße, in welchem der bleibende Werth eines Productes sinkt, fällt ja auch naturgemäß der Arbeitslohn, und in demselben Maße, in welchem der Berfertiger sich Arbeitszeit daran erspart, bezahlt der Empfänger weniger. Bewirke wird diese gewiß billige Ausgleichung durch die alles bewältigende Concurrenz. — Somit ist der Einwurf. daß eine gewerbliche Kunstthätigkeit nicht möglich sei, weil sie sich nicht bezahlt, zurückgewiesen. Etwas Anderes aber ist es, ob auch das Verlangen danach im Publi- cum vorhanden ist. Ich glaube ja! Mit der Steigerung der Bildung steigt selbstverständlich auch der Sinn für die bildende Kunst: das Auge lernt sehen, gewöhnt sich an die Schönheit der Linien und die dadurch bewirkte Schön¬ heit der Formen es empfindet zuletzt sogar einen unbewußten Ekel vor allem Gleichgültigen und Häßlichen, ob ihm dasselbe in der Natur oder dem den natürlichen Stoff blos verarbeitenden Handwerk, oder der denselben locali- sirenden Kunst entgegentritt. Die von Tag zu Tag sich mehrenden Schaufenster der großen Städte, in welchen man eben nicht blos das den praktischen Zweck, sondern mehr das den Schönheitssinn Befriedigende und das Auge Lockende aufzustellen pflegt, sprechen deutlich genug für das Borhandensein dieses Sinnes im gewöhnlichen Publicum; denn wenn sich die bedeutenden^. Herstellungskosten derselben nicht deckten, würden sie ja von selbst wieder vom Markt verschwinden. Noch mehr für denselben zeugen die Industrieausstellungen unserer Tage, auf welchen überall diejenigen Aussteller bekanntermaßen den meisten Beifall und Vortheil er¬ rungen haben, welche in der Formvollendung ihrer Erzeugnisse zu genügen verstanden. Der von Jahr zu Jahr sich steigernde Sinn für das sinnige und Formschöne äußert sich ferner lebhaft in den massenhaft erscheinenden illustrirten Werken, deren wahren Werth freilich ein mit derartigen Dingen noch zu wenig Vertrauter gewöhnlich unterschätzt. Die Zahl des die Kunstaus¬ stellungen besuchenden Publicums ist in der letzten Zeit in kaum erwarteter Weise Grenzl-öden I. 1S58. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/193>, abgerufen am 15.05.2024.