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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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deriUeberlebendcn überhaupt noch ein deutsches Volk geblieben ist. das nach
geschlossenem Frieden wieder Land bauen, Steuern zahlen und nach einem
durstigen Vegetiren von hundert Jahren wieder Energie, Begeisterung und
ein neues Leben in Kunst und Wissenschaft zu erzeugen vermochte. Aller¬
dings ist wahrscheinlich, daß sich das Landvolk ganz in schwärmende Banden
aufgelöst hätte, und daß die Städte niemals im Stande gewesen wären, ein
neues Volksleben hervorzubringen, wenn nicht drei Gewalten den deutschen
Landmann vor der gänzlichen Zerstreuung bewahrt hätten: seine Liebe zu
dem väterlichen Acker, die Bemühungen seiner Obrigkeit' und vor allem
der Eifer seines Seelsorgers, des Dorfpfarrers. Des Bauern Liebe zur eig¬
nen Flur, noch jetzt ein starkes Gefühl, welches gegen die wohlthätigsten
Ackergesetze feindlich arbeitet, war im 1,7. Jahrhundert noch um vieles mäch¬
tiger. Denn der Bauer kannte außerhalb der eigenen Dorfflur sehr wenig
von der Welt, und die Schranken, welche ihn von einem andern Lebensberuf
und anderer Herren Land trennten, waren sehr schwer zu übersteigen. So
lief er mit Zähigkeit immer wieder aus seinem Versteck nach dem zerstörten
Hofe und versuchte immer wieder die zerstampften Aehren zusammenzulesen,
oder in das niedergetretene Land den wenigen Samen zu streuen, den er sich
gerettet hatte. Er hütete sich wohl, seinem Hause ein wohnliches Aussehen zu
geben, er gewöhnte sich in Schmuz und Ruinen zu Hausen, und verbarg das
flackernde Feuer des'Herdes vor den raubgierigen Blicken, welche vielleicht
durch die Nacht nach einem warmen Neste suchten. Die kärgliche Speise ver¬
steckte er an Orte, vor welchen selbst dem ruchlosen Feind graute, in Gräber,
in Särge, unter Todtenköpfe. So hauste er unter dem Zwange der Gewohnheit,
der allgewaltigen, wie gering auch die Hoffnung war, daß seine Arbeit ihm
selbst zu Gute kommen werde. -- Kaum geringeres Interesse als er selbst, hatte
sein Landesherr und dessen Beamte ihn zu erhalten. Je geringer die Zahl
der steuerzahlenden wurde, desto höher stieg der Einzelne im Werth. Von
der Residenzstadt aus kümmerten sich die Regierungen durch ihre Amtleute, Vögte
und Schösser während des ganzen-Krieges um das Schicksal der Dörfer, ja
der Einzelnen. Die Actenschreibcrei wurde nnr in der ärgsten Zeit unterbrochen
und immer wieder angefangen. Zeugnisse, Berichte, Eingaben und Rescripte
liefen bei all dem Elend hin und her/) Eingaben und Kosten Liquidationen
wurden unermüdlich eingefordert und manch armer Schulmeister verrichtete ge¬
horsam seinen Dienst als Gemcindeschrciber, während der Schnee durch die



Der Schösser Johann Martin zu >Heldburg berichtet z, B. den 13. September U140
zu Gunsten des hilflosen Pfarrers Böizingcr und trägt auf dessen Versetzung an, weil in
dessen Pfnrrdorf nur noch eine Witwe nebst noch einer Weibsperson sich aufhalte, und er
selbst, der Schösser, könne von den jährlichen Amtsgcfällcn seines Bezirkes, die sich sonst auf
ewige 100 Tblr, belaufen, jetzt nicht einen Groschen herausbringen.

deriUeberlebendcn überhaupt noch ein deutsches Volk geblieben ist. das nach
geschlossenem Frieden wieder Land bauen, Steuern zahlen und nach einem
durstigen Vegetiren von hundert Jahren wieder Energie, Begeisterung und
ein neues Leben in Kunst und Wissenschaft zu erzeugen vermochte. Aller¬
dings ist wahrscheinlich, daß sich das Landvolk ganz in schwärmende Banden
aufgelöst hätte, und daß die Städte niemals im Stande gewesen wären, ein
neues Volksleben hervorzubringen, wenn nicht drei Gewalten den deutschen
Landmann vor der gänzlichen Zerstreuung bewahrt hätten: seine Liebe zu
dem väterlichen Acker, die Bemühungen seiner Obrigkeit' und vor allem
der Eifer seines Seelsorgers, des Dorfpfarrers. Des Bauern Liebe zur eig¬
nen Flur, noch jetzt ein starkes Gefühl, welches gegen die wohlthätigsten
Ackergesetze feindlich arbeitet, war im 1,7. Jahrhundert noch um vieles mäch¬
tiger. Denn der Bauer kannte außerhalb der eigenen Dorfflur sehr wenig
von der Welt, und die Schranken, welche ihn von einem andern Lebensberuf
und anderer Herren Land trennten, waren sehr schwer zu übersteigen. So
lief er mit Zähigkeit immer wieder aus seinem Versteck nach dem zerstörten
Hofe und versuchte immer wieder die zerstampften Aehren zusammenzulesen,
oder in das niedergetretene Land den wenigen Samen zu streuen, den er sich
gerettet hatte. Er hütete sich wohl, seinem Hause ein wohnliches Aussehen zu
geben, er gewöhnte sich in Schmuz und Ruinen zu Hausen, und verbarg das
flackernde Feuer des'Herdes vor den raubgierigen Blicken, welche vielleicht
durch die Nacht nach einem warmen Neste suchten. Die kärgliche Speise ver¬
steckte er an Orte, vor welchen selbst dem ruchlosen Feind graute, in Gräber,
in Särge, unter Todtenköpfe. So hauste er unter dem Zwange der Gewohnheit,
der allgewaltigen, wie gering auch die Hoffnung war, daß seine Arbeit ihm
selbst zu Gute kommen werde. — Kaum geringeres Interesse als er selbst, hatte
sein Landesherr und dessen Beamte ihn zu erhalten. Je geringer die Zahl
der steuerzahlenden wurde, desto höher stieg der Einzelne im Werth. Von
der Residenzstadt aus kümmerten sich die Regierungen durch ihre Amtleute, Vögte
und Schösser während des ganzen-Krieges um das Schicksal der Dörfer, ja
der Einzelnen. Die Actenschreibcrei wurde nnr in der ärgsten Zeit unterbrochen
und immer wieder angefangen. Zeugnisse, Berichte, Eingaben und Rescripte
liefen bei all dem Elend hin und her/) Eingaben und Kosten Liquidationen
wurden unermüdlich eingefordert und manch armer Schulmeister verrichtete ge¬
horsam seinen Dienst als Gemcindeschrciber, während der Schnee durch die



Der Schösser Johann Martin zu >Heldburg berichtet z, B. den 13. September U140
zu Gunsten des hilflosen Pfarrers Böizingcr und trägt auf dessen Versetzung an, weil in
dessen Pfnrrdorf nur noch eine Witwe nebst noch einer Weibsperson sich aufhalte, und er
selbst, der Schösser, könne von den jährlichen Amtsgcfällcn seines Bezirkes, die sich sonst auf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/20>, abgerufen am 15.05.2024.