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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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u. s. w. Er dauerte aus und stand seinem Amt 42 Jahr in Ehren vor.
Sein Nachfolger der große Lateiner, Johann Schmidt, Lehrer des berühmten
Cellarius, war unter die Soldaten gerathen und las einst auf der fürstl.
Schloßwache in einem griechischen Dichter; das sah sein Offizier mit Erstaunen
und meldete es Ernst dem Frommen, der ihn zum Lehrer machte. --

Der Superintendent Andreas Pochmann ebendaselbst war als elternlose
Waise mit zwei kleinen Brüdern von den Kroaten geraubt worden. Er rettete
sich mit den Brüdern in der Nacht. Später wurde er als lateinischer
Schüler wieder von Soldaten aufgefangen, zum Fourierschützen und dann zum
Musketier gemacht. In der Garnison aber studirte er sort, fand unter seinen
.Kameraden Studenten aus Paris und London, mit denen er das Lateinische
übte. Einst blieb er als Soldat krank am Wachtfeuer liegen, unter seinem
Aermel die Pulvertasche mit IV2 Pfd. Pulver, da erreichte die Flamme den
Aermel, und verbrannte ihn zur Hälfte ; die Pulvertasche blieb unversehret. Als
er aufwachte, sah er sich allein im verlassenen Lager ohne einen Pfennig Geld.
Da fand er in der Asche 2 Thlr. Damit schlug er sich aus Gotha zu; auf
dem Wege kehrte er zu Langensalza in ein einsames Häuslein an der Mauer
ein, eine alte Frau nahm den Todmüden auf und legte ihn auf ein Bett.
Es war die Peftwärterin. das Lager ein Pestbett, und die Krankheit wü¬
thete damals in der Stadt; er blieb unversehret. Wie sein Leben ist d/is
seiner meisten Zeitgenossen voll von wunderbaren Lebcnsrettungen, plötz¬
lichen Uebergängen, unerwarteter Hilfe, ebenso wie von Todesgefahr, Noth
und häufiger Veränderung des Ortes. Solche Zeiten muß man genauer
ansehen, um zu verstehen, wie sich grade in einer Periode, in welcher Milli¬
onen untergegangen und verdorben sind, bei den Ueberlebenden ein fatali¬
stischer Glaube an die göttliche Vorsehung, welche auf wunderbare Weise in
das Leben des Menschen eingreift, ausgebildet hat.

Fast aus jedem Kirchdorf kann man Erinnerungen an die Leiden, die Er¬
gebenheit und Ausdauer seiner ^Pfarrer zusammentragen. Freilich nur 'die
Stärksten überwanden eine solche Zeit, ohne selbst zu verkümmern. Die end¬
lose Unsicherheit. Mangel an Nahrung und das gesetzlose Treiben der Sol¬
daten und der eigenen Pfarrkinder machte viele auch in ihrer Gesinnung arm¬
selig, kriechend, bettelhaft. Ein Beispiel statt vieler. Johannes Elfflein, seit
1632 Pfarrer zu Simau, wurde so arm, daß er Tagelöhnerarbeit thun
mußte, Holz im Walde hauen, hacken, graben, säen, zweimal wurde ihm
eine Beisteuer aus der Armenbüchse von Koburg, die man bei Kindtaufen auf¬
stellte, zugetheilt. Endlich ließ das Consistorium zu Koburg einen Kelch seiner
Kirche verkaufen, damit er sich Brot dafür schaffe. Für ein besonderes Glück
hielt er, als,es einmal eine vornehme, adlige Leiche gab. Da bekam er einen
guten alten Reichsthaler und ein Viertel Korn. Und als er kurz daraus einem


u. s. w. Er dauerte aus und stand seinem Amt 42 Jahr in Ehren vor.
Sein Nachfolger der große Lateiner, Johann Schmidt, Lehrer des berühmten
Cellarius, war unter die Soldaten gerathen und las einst auf der fürstl.
Schloßwache in einem griechischen Dichter; das sah sein Offizier mit Erstaunen
und meldete es Ernst dem Frommen, der ihn zum Lehrer machte. —

Der Superintendent Andreas Pochmann ebendaselbst war als elternlose
Waise mit zwei kleinen Brüdern von den Kroaten geraubt worden. Er rettete
sich mit den Brüdern in der Nacht. Später wurde er als lateinischer
Schüler wieder von Soldaten aufgefangen, zum Fourierschützen und dann zum
Musketier gemacht. In der Garnison aber studirte er sort, fand unter seinen
.Kameraden Studenten aus Paris und London, mit denen er das Lateinische
übte. Einst blieb er als Soldat krank am Wachtfeuer liegen, unter seinem
Aermel die Pulvertasche mit IV2 Pfd. Pulver, da erreichte die Flamme den
Aermel, und verbrannte ihn zur Hälfte ; die Pulvertasche blieb unversehret. Als
er aufwachte, sah er sich allein im verlassenen Lager ohne einen Pfennig Geld.
Da fand er in der Asche 2 Thlr. Damit schlug er sich aus Gotha zu; auf
dem Wege kehrte er zu Langensalza in ein einsames Häuslein an der Mauer
ein, eine alte Frau nahm den Todmüden auf und legte ihn auf ein Bett.
Es war die Peftwärterin. das Lager ein Pestbett, und die Krankheit wü¬
thete damals in der Stadt; er blieb unversehret. Wie sein Leben ist d/is
seiner meisten Zeitgenossen voll von wunderbaren Lebcnsrettungen, plötz¬
lichen Uebergängen, unerwarteter Hilfe, ebenso wie von Todesgefahr, Noth
und häufiger Veränderung des Ortes. Solche Zeiten muß man genauer
ansehen, um zu verstehen, wie sich grade in einer Periode, in welcher Milli¬
onen untergegangen und verdorben sind, bei den Ueberlebenden ein fatali¬
stischer Glaube an die göttliche Vorsehung, welche auf wunderbare Weise in
das Leben des Menschen eingreift, ausgebildet hat.

Fast aus jedem Kirchdorf kann man Erinnerungen an die Leiden, die Er¬
gebenheit und Ausdauer seiner ^Pfarrer zusammentragen. Freilich nur 'die
Stärksten überwanden eine solche Zeit, ohne selbst zu verkümmern. Die end¬
lose Unsicherheit. Mangel an Nahrung und das gesetzlose Treiben der Sol¬
daten und der eigenen Pfarrkinder machte viele auch in ihrer Gesinnung arm¬
selig, kriechend, bettelhaft. Ein Beispiel statt vieler. Johannes Elfflein, seit
1632 Pfarrer zu Simau, wurde so arm, daß er Tagelöhnerarbeit thun
mußte, Holz im Walde hauen, hacken, graben, säen, zweimal wurde ihm
eine Beisteuer aus der Armenbüchse von Koburg, die man bei Kindtaufen auf¬
stellte, zugetheilt. Endlich ließ das Consistorium zu Koburg einen Kelch seiner
Kirche verkaufen, damit er sich Brot dafür schaffe. Für ein besonderes Glück
hielt er, als,es einmal eine vornehme, adlige Leiche gab. Da bekam er einen
guten alten Reichsthaler und ein Viertel Korn. Und als er kurz daraus einem


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[0023] u. s. w. Er dauerte aus und stand seinem Amt 42 Jahr in Ehren vor. Sein Nachfolger der große Lateiner, Johann Schmidt, Lehrer des berühmten Cellarius, war unter die Soldaten gerathen und las einst auf der fürstl. Schloßwache in einem griechischen Dichter; das sah sein Offizier mit Erstaunen und meldete es Ernst dem Frommen, der ihn zum Lehrer machte. — Der Superintendent Andreas Pochmann ebendaselbst war als elternlose Waise mit zwei kleinen Brüdern von den Kroaten geraubt worden. Er rettete sich mit den Brüdern in der Nacht. Später wurde er als lateinischer Schüler wieder von Soldaten aufgefangen, zum Fourierschützen und dann zum Musketier gemacht. In der Garnison aber studirte er sort, fand unter seinen .Kameraden Studenten aus Paris und London, mit denen er das Lateinische übte. Einst blieb er als Soldat krank am Wachtfeuer liegen, unter seinem Aermel die Pulvertasche mit IV2 Pfd. Pulver, da erreichte die Flamme den Aermel, und verbrannte ihn zur Hälfte ; die Pulvertasche blieb unversehret. Als er aufwachte, sah er sich allein im verlassenen Lager ohne einen Pfennig Geld. Da fand er in der Asche 2 Thlr. Damit schlug er sich aus Gotha zu; auf dem Wege kehrte er zu Langensalza in ein einsames Häuslein an der Mauer ein, eine alte Frau nahm den Todmüden auf und legte ihn auf ein Bett. Es war die Peftwärterin. das Lager ein Pestbett, und die Krankheit wü¬ thete damals in der Stadt; er blieb unversehret. Wie sein Leben ist d/is seiner meisten Zeitgenossen voll von wunderbaren Lebcnsrettungen, plötz¬ lichen Uebergängen, unerwarteter Hilfe, ebenso wie von Todesgefahr, Noth und häufiger Veränderung des Ortes. Solche Zeiten muß man genauer ansehen, um zu verstehen, wie sich grade in einer Periode, in welcher Milli¬ onen untergegangen und verdorben sind, bei den Ueberlebenden ein fatali¬ stischer Glaube an die göttliche Vorsehung, welche auf wunderbare Weise in das Leben des Menschen eingreift, ausgebildet hat. Fast aus jedem Kirchdorf kann man Erinnerungen an die Leiden, die Er¬ gebenheit und Ausdauer seiner ^Pfarrer zusammentragen. Freilich nur 'die Stärksten überwanden eine solche Zeit, ohne selbst zu verkümmern. Die end¬ lose Unsicherheit. Mangel an Nahrung und das gesetzlose Treiben der Sol¬ daten und der eigenen Pfarrkinder machte viele auch in ihrer Gesinnung arm¬ selig, kriechend, bettelhaft. Ein Beispiel statt vieler. Johannes Elfflein, seit 1632 Pfarrer zu Simau, wurde so arm, daß er Tagelöhnerarbeit thun mußte, Holz im Walde hauen, hacken, graben, säen, zweimal wurde ihm eine Beisteuer aus der Armenbüchse von Koburg, die man bei Kindtaufen auf¬ stellte, zugetheilt. Endlich ließ das Consistorium zu Koburg einen Kelch seiner Kirche verkaufen, damit er sich Brot dafür schaffe. Für ein besonderes Glück hielt er, als,es einmal eine vornehme, adlige Leiche gab. Da bekam er einen guten alten Reichsthaler und ein Viertel Korn. Und als er kurz daraus einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/23>, abgerufen am 15.05.2024.