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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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die Dächer des Dorfes ohne Löcher, die Höfe ohne zerfallene Scheuern
sein sollten; wo man den Schrei des Wolfes nicht in jeder Winternacht vor
dein Hofthore hören würde, wo ihre Dorfkirche wieder Glasfenster und
schöne Glocken haben würde, wo in dem beschmuzten Chor der Kirche ein
neuer Altar, mit einer seidenen Decke, einem silbernen Crucifix und einem
vergoldeten Kelch stehen sollte und wo einst die jungen Burschen wieder Bräute
zum Altar führen könnten, die einen Kranz im Haare trügen. Eine leiden¬
schaftliche, schmerzliche Freude zuckte damals durch alle Seelen, selbst die wil¬
deste Brut der Kriegszeit, das Soldatenvolk, wurde davon ergriffen, selbst die
harten Regierenden, die Fürsten und ihre Gesandten fühlten, daß der große
Friedens'act die Rettung Deutschlands vor dem letzten Verderben sei. Feierlich
und mit aller Inbrunst, deren das Volk fähig war, wurde das Friedensfest
in Stadt und Dorf begangen. Aus dem Kreise von Dorferinncrungcn, wel¬
chem die vorhergehenden Beispiele entnommen sind, sei auch die nachfolgende-
Festbeschreibung angeführt.

Döllstedt, ein stattliches Kirchdorf des Herzogthums Gotha. hatte schwer
gelitten. Im Jahre 1636 hatte den Ort das hatzfeldische Corps überfallen, großen
Schaden gethan, die Kirche geplündert, das Holzwerk ausgebrochen und ver¬
brannt, wie solches der Pfarrer Herr Deckner kurz vorher prophezeit hatte.
"Dieser liebe Mann," so schrieb sein Nachfolger, Herr Pfarrer Trümpcr, "hatte
seine Zuhörer mit gerechtem Eifer ihrer Sünden wegen gestraft. Aber seine
Strafen und Warnungen hatte man verlacht, ihm allen Verdruß und Undank
erwiesen, den Hopfen von den Stangen geschnitten, das Korn von den Fel¬
dern entführet, wie er Anno 1634 mit weinenden Augen klagte. So hatte
er auch nichts Anderes, als Gottes gerechte Strafen solchen verstockten Herzen
ankündigen können. Nicht nur öffentlich von der Kanzel, sondern auch noch
wenige Stunden vor seinem seligen Abschied hatte er solche Klage geführt:
Ach du armes Döllstedt! wie wird dirs nach meinem Abschied übel gehen!
Und daraus hat er sich gegen die Kirche gewendet und sein mattes und mit
dem Tode ringendes Haupt über Vermögen mit Hilfe des Wärters aufgerich¬
tet, als wollte er aus der Kammerecke, wo er sein Leben beschlossen, die Kirche
noch einmal ansehen und hat gesagt: Ach, du liebe, liebe Kirche! wie wird
drrs nach meinem Tode gehen! Mit Besen wird man dich zuscunmeu-
kehren."

SeineProphezeihung traf ein, dasDorfhatteimIahre1636 an 5,500 si. Kriegs-
schäden zu liquidiren, von 1627--37 zusammen 29,595 si; so daß die Ein¬
wohner sich nach und nach verloren und die Stätte sast ganz wüst stand;
un Jahre 1636 waren noch zwei Paar Eheleute im Dorfe; im Jahr 1641,
nachdem Banner und im Winter die Franzosen wieder gewirthschaftet hatten,
war ein halber Acker Korn bestellt, und vier Paar Einwohner vorhanden. -- Der


Grenzboten I. 1358. 3

die Dächer des Dorfes ohne Löcher, die Höfe ohne zerfallene Scheuern
sein sollten; wo man den Schrei des Wolfes nicht in jeder Winternacht vor
dein Hofthore hören würde, wo ihre Dorfkirche wieder Glasfenster und
schöne Glocken haben würde, wo in dem beschmuzten Chor der Kirche ein
neuer Altar, mit einer seidenen Decke, einem silbernen Crucifix und einem
vergoldeten Kelch stehen sollte und wo einst die jungen Burschen wieder Bräute
zum Altar führen könnten, die einen Kranz im Haare trügen. Eine leiden¬
schaftliche, schmerzliche Freude zuckte damals durch alle Seelen, selbst die wil¬
deste Brut der Kriegszeit, das Soldatenvolk, wurde davon ergriffen, selbst die
harten Regierenden, die Fürsten und ihre Gesandten fühlten, daß der große
Friedens'act die Rettung Deutschlands vor dem letzten Verderben sei. Feierlich
und mit aller Inbrunst, deren das Volk fähig war, wurde das Friedensfest
in Stadt und Dorf begangen. Aus dem Kreise von Dorferinncrungcn, wel¬
chem die vorhergehenden Beispiele entnommen sind, sei auch die nachfolgende-
Festbeschreibung angeführt.

Döllstedt, ein stattliches Kirchdorf des Herzogthums Gotha. hatte schwer
gelitten. Im Jahre 1636 hatte den Ort das hatzfeldische Corps überfallen, großen
Schaden gethan, die Kirche geplündert, das Holzwerk ausgebrochen und ver¬
brannt, wie solches der Pfarrer Herr Deckner kurz vorher prophezeit hatte.
„Dieser liebe Mann," so schrieb sein Nachfolger, Herr Pfarrer Trümpcr, „hatte
seine Zuhörer mit gerechtem Eifer ihrer Sünden wegen gestraft. Aber seine
Strafen und Warnungen hatte man verlacht, ihm allen Verdruß und Undank
erwiesen, den Hopfen von den Stangen geschnitten, das Korn von den Fel¬
dern entführet, wie er Anno 1634 mit weinenden Augen klagte. So hatte
er auch nichts Anderes, als Gottes gerechte Strafen solchen verstockten Herzen
ankündigen können. Nicht nur öffentlich von der Kanzel, sondern auch noch
wenige Stunden vor seinem seligen Abschied hatte er solche Klage geführt:
Ach du armes Döllstedt! wie wird dirs nach meinem Abschied übel gehen!
Und daraus hat er sich gegen die Kirche gewendet und sein mattes und mit
dem Tode ringendes Haupt über Vermögen mit Hilfe des Wärters aufgerich¬
tet, als wollte er aus der Kammerecke, wo er sein Leben beschlossen, die Kirche
noch einmal ansehen und hat gesagt: Ach, du liebe, liebe Kirche! wie wird
drrs nach meinem Tode gehen! Mit Besen wird man dich zuscunmeu-
kehren."

SeineProphezeihung traf ein, dasDorfhatteimIahre1636 an 5,500 si. Kriegs-
schäden zu liquidiren, von 1627—37 zusammen 29,595 si; so daß die Ein¬
wohner sich nach und nach verloren und die Stätte sast ganz wüst stand;
un Jahre 1636 waren noch zwei Paar Eheleute im Dorfe; im Jahr 1641,
nachdem Banner und im Winter die Franzosen wieder gewirthschaftet hatten,
war ein halber Acker Korn bestellt, und vier Paar Einwohner vorhanden. — Der


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[0025] die Dächer des Dorfes ohne Löcher, die Höfe ohne zerfallene Scheuern sein sollten; wo man den Schrei des Wolfes nicht in jeder Winternacht vor dein Hofthore hören würde, wo ihre Dorfkirche wieder Glasfenster und schöne Glocken haben würde, wo in dem beschmuzten Chor der Kirche ein neuer Altar, mit einer seidenen Decke, einem silbernen Crucifix und einem vergoldeten Kelch stehen sollte und wo einst die jungen Burschen wieder Bräute zum Altar führen könnten, die einen Kranz im Haare trügen. Eine leiden¬ schaftliche, schmerzliche Freude zuckte damals durch alle Seelen, selbst die wil¬ deste Brut der Kriegszeit, das Soldatenvolk, wurde davon ergriffen, selbst die harten Regierenden, die Fürsten und ihre Gesandten fühlten, daß der große Friedens'act die Rettung Deutschlands vor dem letzten Verderben sei. Feierlich und mit aller Inbrunst, deren das Volk fähig war, wurde das Friedensfest in Stadt und Dorf begangen. Aus dem Kreise von Dorferinncrungcn, wel¬ chem die vorhergehenden Beispiele entnommen sind, sei auch die nachfolgende- Festbeschreibung angeführt. Döllstedt, ein stattliches Kirchdorf des Herzogthums Gotha. hatte schwer gelitten. Im Jahre 1636 hatte den Ort das hatzfeldische Corps überfallen, großen Schaden gethan, die Kirche geplündert, das Holzwerk ausgebrochen und ver¬ brannt, wie solches der Pfarrer Herr Deckner kurz vorher prophezeit hatte. „Dieser liebe Mann," so schrieb sein Nachfolger, Herr Pfarrer Trümpcr, „hatte seine Zuhörer mit gerechtem Eifer ihrer Sünden wegen gestraft. Aber seine Strafen und Warnungen hatte man verlacht, ihm allen Verdruß und Undank erwiesen, den Hopfen von den Stangen geschnitten, das Korn von den Fel¬ dern entführet, wie er Anno 1634 mit weinenden Augen klagte. So hatte er auch nichts Anderes, als Gottes gerechte Strafen solchen verstockten Herzen ankündigen können. Nicht nur öffentlich von der Kanzel, sondern auch noch wenige Stunden vor seinem seligen Abschied hatte er solche Klage geführt: Ach du armes Döllstedt! wie wird dirs nach meinem Abschied übel gehen! Und daraus hat er sich gegen die Kirche gewendet und sein mattes und mit dem Tode ringendes Haupt über Vermögen mit Hilfe des Wärters aufgerich¬ tet, als wollte er aus der Kammerecke, wo er sein Leben beschlossen, die Kirche noch einmal ansehen und hat gesagt: Ach, du liebe, liebe Kirche! wie wird drrs nach meinem Tode gehen! Mit Besen wird man dich zuscunmeu- kehren." SeineProphezeihung traf ein, dasDorfhatteimIahre1636 an 5,500 si. Kriegs- schäden zu liquidiren, von 1627—37 zusammen 29,595 si; so daß die Ein¬ wohner sich nach und nach verloren und die Stätte sast ganz wüst stand; un Jahre 1636 waren noch zwei Paar Eheleute im Dorfe; im Jahr 1641, nachdem Banner und im Winter die Franzosen wieder gewirthschaftet hatten, war ein halber Acker Korn bestellt, und vier Paar Einwohner vorhanden. — Der Grenzboten I. 1358. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/25>, abgerufen am 15.05.2024.