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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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ist das um so erfreulicher, je dringender es jedem Vaterlandsfreunde am
Herzen liegen muß, die alten Parteiunterschiede vergessen zu machen.

Dagegen hat sich ein anderes Bedürfniß herausgestellt, das durch eine
Zeitung überhaupt nicht befriedigt werden kann. Schon bei verschiedenen
Gelegenheiten haben wir aus das Aufblühen einer jungen historischen Literatur
hingewiesen, welche dazu bestimmt scheint, unsere frühere vorwiegend ästhetisch¬
philosophische Bildung, die in Stagnation zu gerathen drohte, zu ergänzen.
Durchweg empfinden jetzt auch die Gelehrten das Bedürfniß, in derselben
Weise wie ihre Collegen in England und Frankreich sich dem großem Publi-
cum verständlich zu machen, und auf dasselbe einzuwirken, Anmuth der Form
mit Wissenschaftlichkeit des Inhalts zu verbinden. und indem sie die Er¬
kenntniß fördern, zugleich das Gemüth des Volks zu veredlen und den vater¬
ländischen Sinn zu befestigen. Es sind bereits sehr große Erfolge nach dieser
Richtung hin errungen, und der Gedanke liegt nahe, die Bemühung der ein¬
zelnen Schriftsteller in der Weise zu concentriren, daß in einer gewissen Voll¬
ständigkeit alle wichtigen Fragen der Zeit historisch analvsirt und vom vater¬
ländischen Standpunkt beleuchtet werden. , Diese Ausgabe stellen sich die
preußischen Jahrbücher.

Es ist zuvörderst, um jedem Mißverständniß vorzubeugen, daran zu er¬
innern, daß der Begriff der Centralisation nicht zu strenge genommen werden
darf. Von einer erschöpfenden Darstellung des deutschen Culturlebens der
Gegenwart mit Hinblick auf die Vergangenheit kann in einer Zeitschrift, die
im Jahr beiläufig 72 Bogen gibt, ohnehin nicht die Rede sein. Die Jahr¬
bücher werden ihre schöne Aufgabe um so gründlicher bewältigen, je klarer
sie es sich machen, daß dieselbe nur approximativ gelöst werden kann, und
daß ihr schönster Erfolg darin besteht, alle Kräfte gleicher Richtung zum
lebendigen Wettkampf anzuregen.

Was die Bezeichnung Preußische Jahrbücher betrifft, so drückt sie in
weiterer Entfernung freilich auch ein Ziel, zunächst aber eine Thatsache aus:
die Thatsache, daß für das deutsche Kulturleben, welches enge mit der pro¬
testantischen Bildung einerseits, mit der humanistischen andererseits zusammen¬
hängt, der preußische Staat der Mittelpunkt ist, und daß seine Entwickelung
für die allgemeine deutsche Entwickelung gewissermaßen den Wärmemesser
bildet. Es ist nicht immer möglich, gegen unsinnige Mißverständnisse anzu¬
kämpfen, wir wollen wenigstens zwei hervorheben, die man, so thöricht sie
sind, doch schon von gewissen Seiten gehört hat. Es ist einmal nicht davon
die Rede, daß das preußische Volk an Bildung und Tugend seinen deutschen
Brüdern überlegen sei. Was Schwaben, was Sachsen, was das nordwestliche
Deutschland, was der Rhein sür die Entwicklung der deutschen Literatur ge¬
leistet, bleibt unvergessen; Preußen ist nur dadurch groß geworden, daß es


ist das um so erfreulicher, je dringender es jedem Vaterlandsfreunde am
Herzen liegen muß, die alten Parteiunterschiede vergessen zu machen.

Dagegen hat sich ein anderes Bedürfniß herausgestellt, das durch eine
Zeitung überhaupt nicht befriedigt werden kann. Schon bei verschiedenen
Gelegenheiten haben wir aus das Aufblühen einer jungen historischen Literatur
hingewiesen, welche dazu bestimmt scheint, unsere frühere vorwiegend ästhetisch¬
philosophische Bildung, die in Stagnation zu gerathen drohte, zu ergänzen.
Durchweg empfinden jetzt auch die Gelehrten das Bedürfniß, in derselben
Weise wie ihre Collegen in England und Frankreich sich dem großem Publi-
cum verständlich zu machen, und auf dasselbe einzuwirken, Anmuth der Form
mit Wissenschaftlichkeit des Inhalts zu verbinden. und indem sie die Er¬
kenntniß fördern, zugleich das Gemüth des Volks zu veredlen und den vater¬
ländischen Sinn zu befestigen. Es sind bereits sehr große Erfolge nach dieser
Richtung hin errungen, und der Gedanke liegt nahe, die Bemühung der ein¬
zelnen Schriftsteller in der Weise zu concentriren, daß in einer gewissen Voll¬
ständigkeit alle wichtigen Fragen der Zeit historisch analvsirt und vom vater¬
ländischen Standpunkt beleuchtet werden. , Diese Ausgabe stellen sich die
preußischen Jahrbücher.

Es ist zuvörderst, um jedem Mißverständniß vorzubeugen, daran zu er¬
innern, daß der Begriff der Centralisation nicht zu strenge genommen werden
darf. Von einer erschöpfenden Darstellung des deutschen Culturlebens der
Gegenwart mit Hinblick auf die Vergangenheit kann in einer Zeitschrift, die
im Jahr beiläufig 72 Bogen gibt, ohnehin nicht die Rede sein. Die Jahr¬
bücher werden ihre schöne Aufgabe um so gründlicher bewältigen, je klarer
sie es sich machen, daß dieselbe nur approximativ gelöst werden kann, und
daß ihr schönster Erfolg darin besteht, alle Kräfte gleicher Richtung zum
lebendigen Wettkampf anzuregen.

Was die Bezeichnung Preußische Jahrbücher betrifft, so drückt sie in
weiterer Entfernung freilich auch ein Ziel, zunächst aber eine Thatsache aus:
die Thatsache, daß für das deutsche Kulturleben, welches enge mit der pro¬
testantischen Bildung einerseits, mit der humanistischen andererseits zusammen¬
hängt, der preußische Staat der Mittelpunkt ist, und daß seine Entwickelung
für die allgemeine deutsche Entwickelung gewissermaßen den Wärmemesser
bildet. Es ist nicht immer möglich, gegen unsinnige Mißverständnisse anzu¬
kämpfen, wir wollen wenigstens zwei hervorheben, die man, so thöricht sie
sind, doch schon von gewissen Seiten gehört hat. Es ist einmal nicht davon
die Rede, daß das preußische Volk an Bildung und Tugend seinen deutschen
Brüdern überlegen sei. Was Schwaben, was Sachsen, was das nordwestliche
Deutschland, was der Rhein sür die Entwicklung der deutschen Literatur ge¬
leistet, bleibt unvergessen; Preußen ist nur dadurch groß geworden, daß es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/250>, abgerufen am 14.05.2024.