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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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stets verstanden, hat. die Kräfte der verwandten Nachbarstaaten in seinen
Dienst zu ziehen. Welche Namen klingen preußischer als Scharnhorst, Stein,
Fichte, Nork u. s. w., keiner von ihnen war geborner Preuße, aber daß
Preußen die Fähigkeit hat. diese ihm ursprünglich nicht angehörenden Kräfte
mit dem vollen Inhalt ihrer Gesinnung und Bildung zu den seinigen zu
machen, und ihnen für ihre Ideen und ihren Charakter den angemessenen
Schauplatz zu gewähren, darin liegt die Zukunft dieses Staats.

Ein ferneres Mißverständnis) liegt darin, daß mit der Behauptung, jenes
oben bezeichnete deutsche Culturleben habe in Preußen seinen Mittelpunkt, die
zweite Behauptung verbunden sein sollte, Oestreich habe entweder gar kein
Culturleben, oder es sei kein deutsches. Oestreich hat ein starkes Leben, aber
es hat ein anderes Leben als wir. Wir würden ein ähnliches Unternehmen
östreichischer Jahrbücher, welches mit dein Selbstgefühl innerer Kraft das
eigene Culturleben darstellte, und die unnützen Ausfälle auf die norddeutsche
Bildung vermiede, die man in den sogenannten östreichisch gesinnten Blättern
nur zu häusig antrifft, mit Freude begrüßen. Wir würden um so mehr
daraus lernen, je fremder uns sein Inhalt vorkäme. Wie fremd erscheint uns
z. B. in mancher Beziehung schon die Allgemeine Zeitung, die doch
räumlich betrachtet nicht blos das erste deutsche, sondern vielleicht das erste
europäische Blatt ist: und doch finden wir in ihr noch viel von unserer Bil¬
dung und sie stellt sich durchweg auf den Standpunkt der Vermittelung; frei¬
lich einer Vermittelung, die sich mehr und mehr als unmöglich erweist.

Dies sind die Thatsachen, aus welche der Titel der preußischen Jahr¬
bücher hinweist. Wenn man es vom Standpunkt der Diplomatie vielleicht
für zweckmäßiger gehalten hätte, das Stichwort seines Glaubens" zu ver¬
schweigen, so ist es nach unserer Ansicht im Gegentheil ehrenwerth, mit seiner
Fahne offen und männlich hervorzutreten. Unsern Lesern dürfen wir nicht
erst erzählen, daß es auch die unsrige ist.

Für die Leitung dieses Unternehmens konnte kaum eine passendere Per¬
sönlichkeit gewonnen werden, als diejenige, deren Namen wir an der Spitze
des Blattes erblicken. Haym hat zunächst durch seine Thätigkeit in der
Paulskirche, dann durch seine Leitung der constitutionellen Zeitung seine Ge¬
sinnung und seinen Charakter deutlich an den Tag gelegt, noch erfreulicher
aber hat er seine Einsicht und Bildung in seinen spätern Werken, den bio¬
graphischen Versuchen über Gentz, Hegel und Humboldt entwickelt. Was
vom wissenschaftlichen Standpunkt darüber zu sagen ist. haben wir in diesen
Blättern bereits erörtert; hier kommt es uns nur auf die leitende Tendenz
dieser Werke an. Haym sucht die Erscheinungen, die er darstellt, nicht an
einem einseitigen abstracten Ideal zu messen, sondern sie historisch zu con-
struiren, sie in dem innern Organismus ihres Lebens, in ihrem Zusammen-


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stets verstanden, hat. die Kräfte der verwandten Nachbarstaaten in seinen
Dienst zu ziehen. Welche Namen klingen preußischer als Scharnhorst, Stein,
Fichte, Nork u. s. w., keiner von ihnen war geborner Preuße, aber daß
Preußen die Fähigkeit hat. diese ihm ursprünglich nicht angehörenden Kräfte
mit dem vollen Inhalt ihrer Gesinnung und Bildung zu den seinigen zu
machen, und ihnen für ihre Ideen und ihren Charakter den angemessenen
Schauplatz zu gewähren, darin liegt die Zukunft dieses Staats.

Ein ferneres Mißverständnis) liegt darin, daß mit der Behauptung, jenes
oben bezeichnete deutsche Culturleben habe in Preußen seinen Mittelpunkt, die
zweite Behauptung verbunden sein sollte, Oestreich habe entweder gar kein
Culturleben, oder es sei kein deutsches. Oestreich hat ein starkes Leben, aber
es hat ein anderes Leben als wir. Wir würden ein ähnliches Unternehmen
östreichischer Jahrbücher, welches mit dein Selbstgefühl innerer Kraft das
eigene Culturleben darstellte, und die unnützen Ausfälle auf die norddeutsche
Bildung vermiede, die man in den sogenannten östreichisch gesinnten Blättern
nur zu häusig antrifft, mit Freude begrüßen. Wir würden um so mehr
daraus lernen, je fremder uns sein Inhalt vorkäme. Wie fremd erscheint uns
z. B. in mancher Beziehung schon die Allgemeine Zeitung, die doch
räumlich betrachtet nicht blos das erste deutsche, sondern vielleicht das erste
europäische Blatt ist: und doch finden wir in ihr noch viel von unserer Bil¬
dung und sie stellt sich durchweg auf den Standpunkt der Vermittelung; frei¬
lich einer Vermittelung, die sich mehr und mehr als unmöglich erweist.

Dies sind die Thatsachen, aus welche der Titel der preußischen Jahr¬
bücher hinweist. Wenn man es vom Standpunkt der Diplomatie vielleicht
für zweckmäßiger gehalten hätte, das Stichwort seines Glaubens" zu ver¬
schweigen, so ist es nach unserer Ansicht im Gegentheil ehrenwerth, mit seiner
Fahne offen und männlich hervorzutreten. Unsern Lesern dürfen wir nicht
erst erzählen, daß es auch die unsrige ist.

Für die Leitung dieses Unternehmens konnte kaum eine passendere Per¬
sönlichkeit gewonnen werden, als diejenige, deren Namen wir an der Spitze
des Blattes erblicken. Haym hat zunächst durch seine Thätigkeit in der
Paulskirche, dann durch seine Leitung der constitutionellen Zeitung seine Ge¬
sinnung und seinen Charakter deutlich an den Tag gelegt, noch erfreulicher
aber hat er seine Einsicht und Bildung in seinen spätern Werken, den bio¬
graphischen Versuchen über Gentz, Hegel und Humboldt entwickelt. Was
vom wissenschaftlichen Standpunkt darüber zu sagen ist. haben wir in diesen
Blättern bereits erörtert; hier kommt es uns nur auf die leitende Tendenz
dieser Werke an. Haym sucht die Erscheinungen, die er darstellt, nicht an
einem einseitigen abstracten Ideal zu messen, sondern sie historisch zu con-
struiren, sie in dem innern Organismus ihres Lebens, in ihrem Zusammen-


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[0251] stets verstanden, hat. die Kräfte der verwandten Nachbarstaaten in seinen Dienst zu ziehen. Welche Namen klingen preußischer als Scharnhorst, Stein, Fichte, Nork u. s. w., keiner von ihnen war geborner Preuße, aber daß Preußen die Fähigkeit hat. diese ihm ursprünglich nicht angehörenden Kräfte mit dem vollen Inhalt ihrer Gesinnung und Bildung zu den seinigen zu machen, und ihnen für ihre Ideen und ihren Charakter den angemessenen Schauplatz zu gewähren, darin liegt die Zukunft dieses Staats. Ein ferneres Mißverständnis) liegt darin, daß mit der Behauptung, jenes oben bezeichnete deutsche Culturleben habe in Preußen seinen Mittelpunkt, die zweite Behauptung verbunden sein sollte, Oestreich habe entweder gar kein Culturleben, oder es sei kein deutsches. Oestreich hat ein starkes Leben, aber es hat ein anderes Leben als wir. Wir würden ein ähnliches Unternehmen östreichischer Jahrbücher, welches mit dein Selbstgefühl innerer Kraft das eigene Culturleben darstellte, und die unnützen Ausfälle auf die norddeutsche Bildung vermiede, die man in den sogenannten östreichisch gesinnten Blättern nur zu häusig antrifft, mit Freude begrüßen. Wir würden um so mehr daraus lernen, je fremder uns sein Inhalt vorkäme. Wie fremd erscheint uns z. B. in mancher Beziehung schon die Allgemeine Zeitung, die doch räumlich betrachtet nicht blos das erste deutsche, sondern vielleicht das erste europäische Blatt ist: und doch finden wir in ihr noch viel von unserer Bil¬ dung und sie stellt sich durchweg auf den Standpunkt der Vermittelung; frei¬ lich einer Vermittelung, die sich mehr und mehr als unmöglich erweist. Dies sind die Thatsachen, aus welche der Titel der preußischen Jahr¬ bücher hinweist. Wenn man es vom Standpunkt der Diplomatie vielleicht für zweckmäßiger gehalten hätte, das Stichwort seines Glaubens" zu ver¬ schweigen, so ist es nach unserer Ansicht im Gegentheil ehrenwerth, mit seiner Fahne offen und männlich hervorzutreten. Unsern Lesern dürfen wir nicht erst erzählen, daß es auch die unsrige ist. Für die Leitung dieses Unternehmens konnte kaum eine passendere Per¬ sönlichkeit gewonnen werden, als diejenige, deren Namen wir an der Spitze des Blattes erblicken. Haym hat zunächst durch seine Thätigkeit in der Paulskirche, dann durch seine Leitung der constitutionellen Zeitung seine Ge¬ sinnung und seinen Charakter deutlich an den Tag gelegt, noch erfreulicher aber hat er seine Einsicht und Bildung in seinen spätern Werken, den bio¬ graphischen Versuchen über Gentz, Hegel und Humboldt entwickelt. Was vom wissenschaftlichen Standpunkt darüber zu sagen ist. haben wir in diesen Blättern bereits erörtert; hier kommt es uns nur auf die leitende Tendenz dieser Werke an. Haym sucht die Erscheinungen, die er darstellt, nicht an einem einseitigen abstracten Ideal zu messen, sondern sie historisch zu con- struiren, sie in dem innern Organismus ihres Lebens, in ihrem Zusammen- 31 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/251>, abgerufen am 08.06.2024.