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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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sie durchgeht, jedenfalls weit entfernt sein wird, den Wünschen der französischen
Regierung oder auch nur Persignys zu genügen. Man wird es nicht an
gutem Willen fehlen lassen, den politischen Mord zu hindern, aber man wird
deshalb nicht die Grundsätze des englischen Rechts ändern. Der Gesandte
sagt, in Frankreich würde die öffentliche Nuchbarkeit einer solchen strafbaren
Absicht genügen, um das Gesetz in Bewegung zu setzen, er kann nicht hoffen,
dieser Rechtsanschauung in England Eingang zu verschaffen, der Verdacht
eines Verbrechens constituirt kein Verbrechen, es müssen Beweise da sein, sind
sie da, so können die Gerichte urtheilen. Der französischen Negierung liegt
vor allem daran, daß überhaupt etwas von Englands Seite in dieser Sache
geschehe, sie wird sich mit jeder, auch mit einer unbedeutenden Maßregel als Genug¬
thuung zufrieden geben, und die englische Regierung wird das Geschrei der
Prütorianer gegen die "Mörderhöhle" zwar wol beachten, aber auch verachten.
Der augenblickliche Zustand der französischen Presse'ist ein erschreckendes Bei¬
spiel, wie tief die Blätter unter dem System sinken müssen, welches die
öffentliche Meinung drückt und verfälscht; das Journal des Debats schreibt
über Literatur und Antiquitäten, die Revue des deux Mondes denkt daran
nach Genf auszuwandern, die mißliebigen fremden Schriften werden mit Be¬
schlag belegt, so bleiben die Soldschreiber, welche kaiserlicher sind als der
Kaiser, um der "cwilisirtesten Nation" die tägliche Speise zu reichen. Welche
Ironie der Ereignisse!

Unter den Artikeln, mit denen der Moniteur die Welt in der letzten Zeit
überrascht, ist einer der merkwürdigsten der gegen die protestantischen Klagen
gerichtete vom 28. Januar. Es'ist seit lange Zeit in Frankreich und im
Auslande über die Beschränkungen geklagt, welche den französischen Protestan¬
ten auferlegt werden; noch auf der evangelischen Allianz zu Berlin haben diese
Klagen einen beredten Ausdruck gefunden. Sie haben auch ihren sehr natür¬
lichen Grund; der katholische Bischof ist die Hauptperson im französischen Bis-
thum, er bleibt Ms seinem Platze unberührt von den politischen Ereignissen,
der Prüfect hängt von denselben ganz ab, er sucht Anhalt und findet ihn
beim Bischof, der dasür Begünstigung seiner Interessen verlangt und am häu¬
figsten grade Bedrückung der Nichtkatholiken, welche der Regierung dann als
Proselytenmacher und unruhige Köpfe bezeichnet werden. Grade so verfährt
auch der Moniteur, er sagt, die revolutionäre Gottlosigkeit bediene sich der
religiösen Streitigkeiten als Deckmantel; die Weise, wie er diese Frage zur
Discussion zieht, erstaunt um so mehr, als in der letzten Zeit gar nicht davon
die Rede war. Wer sich entschuldigt verklagt sich. Die Freiheit ist eine Kette,
wird die politische unterdrückt, so kann auch die religiöse nicht mehr be¬
stehen. --.


Grenzboten l. 13S8. 35

sie durchgeht, jedenfalls weit entfernt sein wird, den Wünschen der französischen
Regierung oder auch nur Persignys zu genügen. Man wird es nicht an
gutem Willen fehlen lassen, den politischen Mord zu hindern, aber man wird
deshalb nicht die Grundsätze des englischen Rechts ändern. Der Gesandte
sagt, in Frankreich würde die öffentliche Nuchbarkeit einer solchen strafbaren
Absicht genügen, um das Gesetz in Bewegung zu setzen, er kann nicht hoffen,
dieser Rechtsanschauung in England Eingang zu verschaffen, der Verdacht
eines Verbrechens constituirt kein Verbrechen, es müssen Beweise da sein, sind
sie da, so können die Gerichte urtheilen. Der französischen Negierung liegt
vor allem daran, daß überhaupt etwas von Englands Seite in dieser Sache
geschehe, sie wird sich mit jeder, auch mit einer unbedeutenden Maßregel als Genug¬
thuung zufrieden geben, und die englische Regierung wird das Geschrei der
Prütorianer gegen die „Mörderhöhle" zwar wol beachten, aber auch verachten.
Der augenblickliche Zustand der französischen Presse'ist ein erschreckendes Bei¬
spiel, wie tief die Blätter unter dem System sinken müssen, welches die
öffentliche Meinung drückt und verfälscht; das Journal des Debats schreibt
über Literatur und Antiquitäten, die Revue des deux Mondes denkt daran
nach Genf auszuwandern, die mißliebigen fremden Schriften werden mit Be¬
schlag belegt, so bleiben die Soldschreiber, welche kaiserlicher sind als der
Kaiser, um der „cwilisirtesten Nation" die tägliche Speise zu reichen. Welche
Ironie der Ereignisse!

Unter den Artikeln, mit denen der Moniteur die Welt in der letzten Zeit
überrascht, ist einer der merkwürdigsten der gegen die protestantischen Klagen
gerichtete vom 28. Januar. Es'ist seit lange Zeit in Frankreich und im
Auslande über die Beschränkungen geklagt, welche den französischen Protestan¬
ten auferlegt werden; noch auf der evangelischen Allianz zu Berlin haben diese
Klagen einen beredten Ausdruck gefunden. Sie haben auch ihren sehr natür¬
lichen Grund; der katholische Bischof ist die Hauptperson im französischen Bis-
thum, er bleibt Ms seinem Platze unberührt von den politischen Ereignissen,
der Prüfect hängt von denselben ganz ab, er sucht Anhalt und findet ihn
beim Bischof, der dasür Begünstigung seiner Interessen verlangt und am häu¬
figsten grade Bedrückung der Nichtkatholiken, welche der Regierung dann als
Proselytenmacher und unruhige Köpfe bezeichnet werden. Grade so verfährt
auch der Moniteur, er sagt, die revolutionäre Gottlosigkeit bediene sich der
religiösen Streitigkeiten als Deckmantel; die Weise, wie er diese Frage zur
Discussion zieht, erstaunt um so mehr, als in der letzten Zeit gar nicht davon
die Rede war. Wer sich entschuldigt verklagt sich. Die Freiheit ist eine Kette,
wird die politische unterdrückt, so kann auch die religiöse nicht mehr be¬
stehen. —.


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[0281] sie durchgeht, jedenfalls weit entfernt sein wird, den Wünschen der französischen Regierung oder auch nur Persignys zu genügen. Man wird es nicht an gutem Willen fehlen lassen, den politischen Mord zu hindern, aber man wird deshalb nicht die Grundsätze des englischen Rechts ändern. Der Gesandte sagt, in Frankreich würde die öffentliche Nuchbarkeit einer solchen strafbaren Absicht genügen, um das Gesetz in Bewegung zu setzen, er kann nicht hoffen, dieser Rechtsanschauung in England Eingang zu verschaffen, der Verdacht eines Verbrechens constituirt kein Verbrechen, es müssen Beweise da sein, sind sie da, so können die Gerichte urtheilen. Der französischen Negierung liegt vor allem daran, daß überhaupt etwas von Englands Seite in dieser Sache geschehe, sie wird sich mit jeder, auch mit einer unbedeutenden Maßregel als Genug¬ thuung zufrieden geben, und die englische Regierung wird das Geschrei der Prütorianer gegen die „Mörderhöhle" zwar wol beachten, aber auch verachten. Der augenblickliche Zustand der französischen Presse'ist ein erschreckendes Bei¬ spiel, wie tief die Blätter unter dem System sinken müssen, welches die öffentliche Meinung drückt und verfälscht; das Journal des Debats schreibt über Literatur und Antiquitäten, die Revue des deux Mondes denkt daran nach Genf auszuwandern, die mißliebigen fremden Schriften werden mit Be¬ schlag belegt, so bleiben die Soldschreiber, welche kaiserlicher sind als der Kaiser, um der „cwilisirtesten Nation" die tägliche Speise zu reichen. Welche Ironie der Ereignisse! Unter den Artikeln, mit denen der Moniteur die Welt in der letzten Zeit überrascht, ist einer der merkwürdigsten der gegen die protestantischen Klagen gerichtete vom 28. Januar. Es'ist seit lange Zeit in Frankreich und im Auslande über die Beschränkungen geklagt, welche den französischen Protestan¬ ten auferlegt werden; noch auf der evangelischen Allianz zu Berlin haben diese Klagen einen beredten Ausdruck gefunden. Sie haben auch ihren sehr natür¬ lichen Grund; der katholische Bischof ist die Hauptperson im französischen Bis- thum, er bleibt Ms seinem Platze unberührt von den politischen Ereignissen, der Prüfect hängt von denselben ganz ab, er sucht Anhalt und findet ihn beim Bischof, der dasür Begünstigung seiner Interessen verlangt und am häu¬ figsten grade Bedrückung der Nichtkatholiken, welche der Regierung dann als Proselytenmacher und unruhige Köpfe bezeichnet werden. Grade so verfährt auch der Moniteur, er sagt, die revolutionäre Gottlosigkeit bediene sich der religiösen Streitigkeiten als Deckmantel; die Weise, wie er diese Frage zur Discussion zieht, erstaunt um so mehr, als in der letzten Zeit gar nicht davon die Rede war. Wer sich entschuldigt verklagt sich. Die Freiheit ist eine Kette, wird die politische unterdrückt, so kann auch die religiöse nicht mehr be¬ stehen. —. Grenzboten l. 13S8. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/281>, abgerufen am 29.05.2024.