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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Hatte er sich aber einmal in sein Cabinet zurückgezogen, so war jeder nicht
durch den Dienst gerechtfertigte Eintritt untersagt. Wenn er sich mit der Be¬
wegung der Truppen beschäftigte und an Berthier seine Befehle ertheilte,
ebenso wenn er wichtige Berichte empfing, die lange Prüfung und Durch¬
sprechung erfordern konnten, dann hielt er nur die bei sich zurück, welche an
der Discussion Theil zu nehmen hatten- alle andern Personen, welche Dienst¬
grade sie auch einnehmen mochten, schickte er fort. Man hat gesagt, daß
Bonaparte wenig geschlafen, das ist ungenau: im Gegentheil, er schlief viel
und hatte selbst ein großes Bedürfniß nach Schlaf, wie es allen nervösen
Menschen ergeht, deren Geist sehr thätig ist. Ich habe ihn oft 10 --I I Stun¬
den in seinem Bett zubringen sehen. Aber wenn das Wachen nothwendig
war, so wußte er es auch zu ertragen: er entschädigte sich dann später oder
pflegte auch wol im Voraus der Ruhe, um die bevorstehenden Anstrengungen
zu ertragen. Bonaparte besaß das kostbare Vermögen, zu schlafen wenn er
wollte. Hatte er einmal seine Pflichten abgeworfen, so gab er sich gern der
Konversation hin und war sicher, darin zu glänzen. Niemand entfaltete hierin
mehr Reiz, vermochte mit Leichtigkeit mehr Reichthum oder Ueberfluß an
Ideen zu entwickeln als er. Er wählte seine Gegenstände mehr auf dem
Gebiete der Moral und der Politik, als in den Wissenschaften, wo. obwol
man das Gegentheil behauptet, seine Kenntnisse nicht tief waren. Er liebte
die heftigen Leibesübungen, stieg oft zu Pferde, ritt schlecht, aber häufig mit
verhängtem Zügel. In dieser glücklichen, schon so fern liegenden Zeit, besaß
sein Wesen einen Reiz, den jedermann empfinden mußte. So war Bona-
parte während des merkwürdigen Feldzugs in Italien.

Auch die gemüthliche!? Seiten Napoleons werden nicht verschwiegen. Alle
Namen, erzählt Marmont B. I. S. !>8, die sich auf den Anfang seiner Lauf¬
bahn bezogen und die an ihm geleistete Dienste oder erwiesene Zuneigung
erinnerten, hat Bonaparte stets treu im Gedächtniß bewahrt. Die Natur hat
ihm ein erkenntliches und wohlwollendes, ich könnte selbst sagen gefühlvolles
Herz gegeben. Diese Behauptung steht im Widerspruch mit den über ihn an¬
genommenen, aber unrichtigen Meinungen. Freilich hat sich sein Gefühl mit
der Zeit" abgestumpft. -- Bei einer anderen Gelegenheit erzählt Marmont
von einem scharfen Streit und seht hinzu: Bonaparte hatte im Grunde viel
Gefühl für Gerechtigkeit^ er liebte anspruchsvolle Leute nicht, und durch eine
Empfindlichkeit zur unrechten Zeit verscherzte man sein Wohlwollen; bei ge¬
gründeten Beschwerden aber entschuldigte er leicht einen unpassenden Ausdruck
und eine zu heftige Leidenschaft, wohl verstanden, wenn alles ohne Zeugen zu¬
ging- Dann beschäftigte er sich selbst mit den Mitteln, die begangene Unge¬
rechtigkeit wieder gut zu machen, und kam den Wünschen des Betheiligten
ohne Erinnerung zuvor. Er kannte die Schwächen der Menschheit, hatte


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Hatte er sich aber einmal in sein Cabinet zurückgezogen, so war jeder nicht
durch den Dienst gerechtfertigte Eintritt untersagt. Wenn er sich mit der Be¬
wegung der Truppen beschäftigte und an Berthier seine Befehle ertheilte,
ebenso wenn er wichtige Berichte empfing, die lange Prüfung und Durch¬
sprechung erfordern konnten, dann hielt er nur die bei sich zurück, welche an
der Discussion Theil zu nehmen hatten- alle andern Personen, welche Dienst¬
grade sie auch einnehmen mochten, schickte er fort. Man hat gesagt, daß
Bonaparte wenig geschlafen, das ist ungenau: im Gegentheil, er schlief viel
und hatte selbst ein großes Bedürfniß nach Schlaf, wie es allen nervösen
Menschen ergeht, deren Geist sehr thätig ist. Ich habe ihn oft 10 —I I Stun¬
den in seinem Bett zubringen sehen. Aber wenn das Wachen nothwendig
war, so wußte er es auch zu ertragen: er entschädigte sich dann später oder
pflegte auch wol im Voraus der Ruhe, um die bevorstehenden Anstrengungen
zu ertragen. Bonaparte besaß das kostbare Vermögen, zu schlafen wenn er
wollte. Hatte er einmal seine Pflichten abgeworfen, so gab er sich gern der
Konversation hin und war sicher, darin zu glänzen. Niemand entfaltete hierin
mehr Reiz, vermochte mit Leichtigkeit mehr Reichthum oder Ueberfluß an
Ideen zu entwickeln als er. Er wählte seine Gegenstände mehr auf dem
Gebiete der Moral und der Politik, als in den Wissenschaften, wo. obwol
man das Gegentheil behauptet, seine Kenntnisse nicht tief waren. Er liebte
die heftigen Leibesübungen, stieg oft zu Pferde, ritt schlecht, aber häufig mit
verhängtem Zügel. In dieser glücklichen, schon so fern liegenden Zeit, besaß
sein Wesen einen Reiz, den jedermann empfinden mußte. So war Bona-
parte während des merkwürdigen Feldzugs in Italien.

Auch die gemüthliche!? Seiten Napoleons werden nicht verschwiegen. Alle
Namen, erzählt Marmont B. I. S. !>8, die sich auf den Anfang seiner Lauf¬
bahn bezogen und die an ihm geleistete Dienste oder erwiesene Zuneigung
erinnerten, hat Bonaparte stets treu im Gedächtniß bewahrt. Die Natur hat
ihm ein erkenntliches und wohlwollendes, ich könnte selbst sagen gefühlvolles
Herz gegeben. Diese Behauptung steht im Widerspruch mit den über ihn an¬
genommenen, aber unrichtigen Meinungen. Freilich hat sich sein Gefühl mit
der Zeit» abgestumpft. — Bei einer anderen Gelegenheit erzählt Marmont
von einem scharfen Streit und seht hinzu: Bonaparte hatte im Grunde viel
Gefühl für Gerechtigkeit^ er liebte anspruchsvolle Leute nicht, und durch eine
Empfindlichkeit zur unrechten Zeit verscherzte man sein Wohlwollen; bei ge¬
gründeten Beschwerden aber entschuldigte er leicht einen unpassenden Ausdruck
und eine zu heftige Leidenschaft, wohl verstanden, wenn alles ohne Zeugen zu¬
ging- Dann beschäftigte er sich selbst mit den Mitteln, die begangene Unge¬
rechtigkeit wieder gut zu machen, und kam den Wünschen des Betheiligten
ohne Erinnerung zuvor. Er kannte die Schwächen der Menschheit, hatte


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[0331] Hatte er sich aber einmal in sein Cabinet zurückgezogen, so war jeder nicht durch den Dienst gerechtfertigte Eintritt untersagt. Wenn er sich mit der Be¬ wegung der Truppen beschäftigte und an Berthier seine Befehle ertheilte, ebenso wenn er wichtige Berichte empfing, die lange Prüfung und Durch¬ sprechung erfordern konnten, dann hielt er nur die bei sich zurück, welche an der Discussion Theil zu nehmen hatten- alle andern Personen, welche Dienst¬ grade sie auch einnehmen mochten, schickte er fort. Man hat gesagt, daß Bonaparte wenig geschlafen, das ist ungenau: im Gegentheil, er schlief viel und hatte selbst ein großes Bedürfniß nach Schlaf, wie es allen nervösen Menschen ergeht, deren Geist sehr thätig ist. Ich habe ihn oft 10 —I I Stun¬ den in seinem Bett zubringen sehen. Aber wenn das Wachen nothwendig war, so wußte er es auch zu ertragen: er entschädigte sich dann später oder pflegte auch wol im Voraus der Ruhe, um die bevorstehenden Anstrengungen zu ertragen. Bonaparte besaß das kostbare Vermögen, zu schlafen wenn er wollte. Hatte er einmal seine Pflichten abgeworfen, so gab er sich gern der Konversation hin und war sicher, darin zu glänzen. Niemand entfaltete hierin mehr Reiz, vermochte mit Leichtigkeit mehr Reichthum oder Ueberfluß an Ideen zu entwickeln als er. Er wählte seine Gegenstände mehr auf dem Gebiete der Moral und der Politik, als in den Wissenschaften, wo. obwol man das Gegentheil behauptet, seine Kenntnisse nicht tief waren. Er liebte die heftigen Leibesübungen, stieg oft zu Pferde, ritt schlecht, aber häufig mit verhängtem Zügel. In dieser glücklichen, schon so fern liegenden Zeit, besaß sein Wesen einen Reiz, den jedermann empfinden mußte. So war Bona- parte während des merkwürdigen Feldzugs in Italien. Auch die gemüthliche!? Seiten Napoleons werden nicht verschwiegen. Alle Namen, erzählt Marmont B. I. S. !>8, die sich auf den Anfang seiner Lauf¬ bahn bezogen und die an ihm geleistete Dienste oder erwiesene Zuneigung erinnerten, hat Bonaparte stets treu im Gedächtniß bewahrt. Die Natur hat ihm ein erkenntliches und wohlwollendes, ich könnte selbst sagen gefühlvolles Herz gegeben. Diese Behauptung steht im Widerspruch mit den über ihn an¬ genommenen, aber unrichtigen Meinungen. Freilich hat sich sein Gefühl mit der Zeit» abgestumpft. — Bei einer anderen Gelegenheit erzählt Marmont von einem scharfen Streit und seht hinzu: Bonaparte hatte im Grunde viel Gefühl für Gerechtigkeit^ er liebte anspruchsvolle Leute nicht, und durch eine Empfindlichkeit zur unrechten Zeit verscherzte man sein Wohlwollen; bei ge¬ gründeten Beschwerden aber entschuldigte er leicht einen unpassenden Ausdruck und eine zu heftige Leidenschaft, wohl verstanden, wenn alles ohne Zeugen zu¬ ging- Dann beschäftigte er sich selbst mit den Mitteln, die begangene Unge¬ rechtigkeit wieder gut zu machen, und kam den Wünschen des Betheiligten ohne Erinnerung zuvor. Er kannte die Schwächen der Menschheit, hatte 41 '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/331>, abgerufen am 31.05.2024.