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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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häuslichen Verhältnisse macht einen schmerzlichen Eindruck, denn es ist des
Mannes überhaupt und namentlich einer so edlen Natur unwürdig, sich fort¬
während auf fremde Hilfe zu verlassen und diese mitunter in nicht beneidens-
werther Art in Anspruch zu nehmen. Aber dies trübe Gefühl wird verscheucht
durch das schöne Bild des Ganzen, durch die innige Liebe zu seiner Frau,
durch die übersprudelnde Lust am Leben, den Adel eines reinen Gefühls.
Freilich hat er noch nicht den Byron gelesen und sein Gefühl äußerte sich
noch nicht in tragischen Formen. Das Getändel mit seinem Stanzerl, Kraller-
ballerl, Spitzignaseri u. s. w. wird vielen modernen Lyrikern sehr wenig
genial vorkommen, aber es ist auch in diesen Spielereien dieselbe Innigkeit
und Gesundheit, die uns in seinen Kompositionen erfrischt und erhebt. Es ist
in unsern Tagen vielleicht das dankenswertheste Geschäft des Schriftstellers,
Freude am Leben, Freude an der menschlichen Natur zu erregen und es sind
uns aus den letzten Jahren sehr wenig Schriften bekannt, denen das in so
hohem Maße gelungen wäre.

Die Schilderung der persönlichen Verhältnisse Mozarts führt den Bio¬
graphen in die damaligen Culturzustände ein, die mit umfassender wissen¬
schaftlicher Genauigkeit charakterisirt werden. Die eine Seite derselben, das
musikalische Treiben, wird mit einer Sorgfalt und Ausführlichkeit charakterisirt,
daß der spätere Geschichtschreiber nicht mehr darüber hinaus kann, aber auch
die übrigen Zweige der Cultur sind nicht blos berührt, sondern zum Theil,
freilich nur innerhalb des Umfangs, der durch den Gegenstand geboten war,
erschöpfend behandelt. Wir machen z. B. auf die interessanten Mittheilungen
über den Einfluß des Freimaurerordens, dem auch Mozart wie so viele große
Männer jener Zeit mit voller Seele angehörte, auf das öffentliche Leben und
die Gesittung jener Periode aufmerksam. Bei weitem aber das Größte, was
Jahr geleistet hat, liegt in dem seinen Verständniß, mit welchem er das künst¬
lerische Schaffen Mozarts charakterisirt.

Es gehört zu den interessantesten Fragen, welche die Betrachtung eines
Kunstwerks in uns hervorruft, wie das entstanden sei, was uns so mächtig
bewegt. An eine vollständige Lösung dieser Frage läßt sich nicht denken, es
hat schon die größten Schwierigkeiten, sich ihr auch nur zu nähern. Von
einer unmittelbaren Beobachtung des Schaffens durch einen Fremden ist na¬
türlich gar nicht die Rede, und was das Schlimmste ist, der schaffende Künst¬
ler selbst hat in der Negel über seine Thätigkeit kein bestimmtes Bewußtsein,
wenn auch der bekannte Ausspruch Goethes gegen Schiller, daß das Genie
als solches durchaus bewußtlos verfahre, mancher Restriktionen bedarf, um
nicht mißverstanden zu werden. Will man endlich versuchen, aus dem Kunst¬
werk heraus nachträglich die Operation zu analysiren, aus der es hervor¬
gegangen ist, so wird dieser Versuch um so weniger gelingen, je vollständiger


häuslichen Verhältnisse macht einen schmerzlichen Eindruck, denn es ist des
Mannes überhaupt und namentlich einer so edlen Natur unwürdig, sich fort¬
während auf fremde Hilfe zu verlassen und diese mitunter in nicht beneidens-
werther Art in Anspruch zu nehmen. Aber dies trübe Gefühl wird verscheucht
durch das schöne Bild des Ganzen, durch die innige Liebe zu seiner Frau,
durch die übersprudelnde Lust am Leben, den Adel eines reinen Gefühls.
Freilich hat er noch nicht den Byron gelesen und sein Gefühl äußerte sich
noch nicht in tragischen Formen. Das Getändel mit seinem Stanzerl, Kraller-
ballerl, Spitzignaseri u. s. w. wird vielen modernen Lyrikern sehr wenig
genial vorkommen, aber es ist auch in diesen Spielereien dieselbe Innigkeit
und Gesundheit, die uns in seinen Kompositionen erfrischt und erhebt. Es ist
in unsern Tagen vielleicht das dankenswertheste Geschäft des Schriftstellers,
Freude am Leben, Freude an der menschlichen Natur zu erregen und es sind
uns aus den letzten Jahren sehr wenig Schriften bekannt, denen das in so
hohem Maße gelungen wäre.

Die Schilderung der persönlichen Verhältnisse Mozarts führt den Bio¬
graphen in die damaligen Culturzustände ein, die mit umfassender wissen¬
schaftlicher Genauigkeit charakterisirt werden. Die eine Seite derselben, das
musikalische Treiben, wird mit einer Sorgfalt und Ausführlichkeit charakterisirt,
daß der spätere Geschichtschreiber nicht mehr darüber hinaus kann, aber auch
die übrigen Zweige der Cultur sind nicht blos berührt, sondern zum Theil,
freilich nur innerhalb des Umfangs, der durch den Gegenstand geboten war,
erschöpfend behandelt. Wir machen z. B. auf die interessanten Mittheilungen
über den Einfluß des Freimaurerordens, dem auch Mozart wie so viele große
Männer jener Zeit mit voller Seele angehörte, auf das öffentliche Leben und
die Gesittung jener Periode aufmerksam. Bei weitem aber das Größte, was
Jahr geleistet hat, liegt in dem seinen Verständniß, mit welchem er das künst¬
lerische Schaffen Mozarts charakterisirt.

Es gehört zu den interessantesten Fragen, welche die Betrachtung eines
Kunstwerks in uns hervorruft, wie das entstanden sei, was uns so mächtig
bewegt. An eine vollständige Lösung dieser Frage läßt sich nicht denken, es
hat schon die größten Schwierigkeiten, sich ihr auch nur zu nähern. Von
einer unmittelbaren Beobachtung des Schaffens durch einen Fremden ist na¬
türlich gar nicht die Rede, und was das Schlimmste ist, der schaffende Künst¬
ler selbst hat in der Negel über seine Thätigkeit kein bestimmtes Bewußtsein,
wenn auch der bekannte Ausspruch Goethes gegen Schiller, daß das Genie
als solches durchaus bewußtlos verfahre, mancher Restriktionen bedarf, um
nicht mißverstanden zu werden. Will man endlich versuchen, aus dem Kunst¬
werk heraus nachträglich die Operation zu analysiren, aus der es hervor¬
gegangen ist, so wird dieser Versuch um so weniger gelingen, je vollständiger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/34>, abgerufen am 15.05.2024.