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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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deckt, die auch bei unbedeutenderer Persönlichkeit zurückbleiben. namentlich
wenn ihre leitende Thätigkeit sich nicht, wie die eines Helden oder eines
Staatsmannes, sinnlich dem Auge bloßstellt. Der Biograph Mozarts ist
darin günstiger gestellt als z. B. der Biograph Shakspeares, der fast aus¬
schließlich auf Vermuthungen angewiesen ist. Das Material, welches wir
über Mozarts Leben besitzen, ist so umfassend, daß die erste Aufgabe der Bio¬
graphen eine kritische Sichtung desselben sein muß. Mozart hat bei seinem
sorglosen, freien und offenen Sinn der Lästerung einen großen Spielraum
geboten, und nicht blos der böse Wille, sondern auch die gutmüthige Einfalt,
die sich über liebenswürdige Schwächen freute, hat diese Blößen zu den selt¬
samsten Verleumdungen ausgebeutet. Aus der andern Seite hat man sich
bemüht, um den guten Ruf eines großen Mannes zu retten, seine Schwächen,
auch wo sie handgreiflich vorlagen, zu vertuschen. Jahr hat den umgekehrten
Weg eingeschlagen: er gibt die volle ungeschminkte Wahrheit, wie sie aus
seinen Forschungen hervorgegangen ist, er gibt sie nicht blos aus Pflichtge¬
fühl gegen die Wissenschaft, sondern in der festen Ueberzeugung, daß eine
wahrhaft edle Natur durch, die vollständige Wahrheit nichts verlieren kann.
Er hat Recht gethan, denn die strengste Sittlichket wird sich nicht erweh¬
ren können, nach diesem Bilde den Menschen ebenso warm zu lieben, als
man den Künstler verehrt. Wie in seinen musikalischen Dichtungen, ist Mozart
auch in seinem Leben aus einem Guß: eine freie sorglose Künstlernatur, mit
frohem Muth dem Leben entgegenblickend, im innersten Kern gesund und hei¬
ter, jedem guten Eindruck offen und durch die eigne Güte mit dem festen
Glauben an die Güte aller erfüllt. Sein Vater, den man gleichfalls aus
dieser Biographie ehren und schätzen lernt, hatte bis zu einer gewissen Grenze
die Natur seines Sohnes richtig durchschaut, und wie seine Liebe dadurch
gewachsen war. so hatte er auf der andern Seite die Gefahren nicht verkannt, die
bei einem so unbefangenen sorglosen Gemüth aus der Berührung mit der
Welt hervorgehn mußten. Vielleicht war sein Mittel, diesen Gefahren zu be¬
gegnen, nicht richtig gewählt. Er hatte ihn über das Knabenalter hinaus in
allen praktischen Angelegenheiten einer ängstlichen Leitung unterworfen, die
Mozarts Selbstständigkeit uicht fördern konnte, und er hatte sich so daran ge¬
wöhnt, der liebevolle Vormund seines Sohnes zu sein, daß der erste Versuch
desselben, in der ernsthaftesten Angelegenheit des Lebens sich dem väterlichen
Willen zu entziehn, eine dauernde Entfremdung zurückließ. Anklagen kaun
man den besorgten Vater deshalb nicht, aber man lernt daraus begreifen,
daß auch der Mann sich nur sehr schwer und in vieler Beziehung gar nicht
daran gewöhnte, den augenblicklichen Eingebungen des Gefühls jene noth¬
wendige Controle des Verstandes entgegenzuhalten, die er bis dahin immer
von der väterlichen Hand zu erhalten gewöhnt war. Der Einblick in seine


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deckt, die auch bei unbedeutenderer Persönlichkeit zurückbleiben. namentlich
wenn ihre leitende Thätigkeit sich nicht, wie die eines Helden oder eines
Staatsmannes, sinnlich dem Auge bloßstellt. Der Biograph Mozarts ist
darin günstiger gestellt als z. B. der Biograph Shakspeares, der fast aus¬
schließlich auf Vermuthungen angewiesen ist. Das Material, welches wir
über Mozarts Leben besitzen, ist so umfassend, daß die erste Aufgabe der Bio¬
graphen eine kritische Sichtung desselben sein muß. Mozart hat bei seinem
sorglosen, freien und offenen Sinn der Lästerung einen großen Spielraum
geboten, und nicht blos der böse Wille, sondern auch die gutmüthige Einfalt,
die sich über liebenswürdige Schwächen freute, hat diese Blößen zu den selt¬
samsten Verleumdungen ausgebeutet. Aus der andern Seite hat man sich
bemüht, um den guten Ruf eines großen Mannes zu retten, seine Schwächen,
auch wo sie handgreiflich vorlagen, zu vertuschen. Jahr hat den umgekehrten
Weg eingeschlagen: er gibt die volle ungeschminkte Wahrheit, wie sie aus
seinen Forschungen hervorgegangen ist, er gibt sie nicht blos aus Pflichtge¬
fühl gegen die Wissenschaft, sondern in der festen Ueberzeugung, daß eine
wahrhaft edle Natur durch, die vollständige Wahrheit nichts verlieren kann.
Er hat Recht gethan, denn die strengste Sittlichket wird sich nicht erweh¬
ren können, nach diesem Bilde den Menschen ebenso warm zu lieben, als
man den Künstler verehrt. Wie in seinen musikalischen Dichtungen, ist Mozart
auch in seinem Leben aus einem Guß: eine freie sorglose Künstlernatur, mit
frohem Muth dem Leben entgegenblickend, im innersten Kern gesund und hei¬
ter, jedem guten Eindruck offen und durch die eigne Güte mit dem festen
Glauben an die Güte aller erfüllt. Sein Vater, den man gleichfalls aus
dieser Biographie ehren und schätzen lernt, hatte bis zu einer gewissen Grenze
die Natur seines Sohnes richtig durchschaut, und wie seine Liebe dadurch
gewachsen war. so hatte er auf der andern Seite die Gefahren nicht verkannt, die
bei einem so unbefangenen sorglosen Gemüth aus der Berührung mit der
Welt hervorgehn mußten. Vielleicht war sein Mittel, diesen Gefahren zu be¬
gegnen, nicht richtig gewählt. Er hatte ihn über das Knabenalter hinaus in
allen praktischen Angelegenheiten einer ängstlichen Leitung unterworfen, die
Mozarts Selbstständigkeit uicht fördern konnte, und er hatte sich so daran ge¬
wöhnt, der liebevolle Vormund seines Sohnes zu sein, daß der erste Versuch
desselben, in der ernsthaftesten Angelegenheit des Lebens sich dem väterlichen
Willen zu entziehn, eine dauernde Entfremdung zurückließ. Anklagen kaun
man den besorgten Vater deshalb nicht, aber man lernt daraus begreifen,
daß auch der Mann sich nur sehr schwer und in vieler Beziehung gar nicht
daran gewöhnte, den augenblicklichen Eingebungen des Gefühls jene noth¬
wendige Controle des Verstandes entgegenzuhalten, die er bis dahin immer
von der väterlichen Hand zu erhalten gewöhnt war. Der Einblick in seine


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[0033] deckt, die auch bei unbedeutenderer Persönlichkeit zurückbleiben. namentlich wenn ihre leitende Thätigkeit sich nicht, wie die eines Helden oder eines Staatsmannes, sinnlich dem Auge bloßstellt. Der Biograph Mozarts ist darin günstiger gestellt als z. B. der Biograph Shakspeares, der fast aus¬ schließlich auf Vermuthungen angewiesen ist. Das Material, welches wir über Mozarts Leben besitzen, ist so umfassend, daß die erste Aufgabe der Bio¬ graphen eine kritische Sichtung desselben sein muß. Mozart hat bei seinem sorglosen, freien und offenen Sinn der Lästerung einen großen Spielraum geboten, und nicht blos der böse Wille, sondern auch die gutmüthige Einfalt, die sich über liebenswürdige Schwächen freute, hat diese Blößen zu den selt¬ samsten Verleumdungen ausgebeutet. Aus der andern Seite hat man sich bemüht, um den guten Ruf eines großen Mannes zu retten, seine Schwächen, auch wo sie handgreiflich vorlagen, zu vertuschen. Jahr hat den umgekehrten Weg eingeschlagen: er gibt die volle ungeschminkte Wahrheit, wie sie aus seinen Forschungen hervorgegangen ist, er gibt sie nicht blos aus Pflichtge¬ fühl gegen die Wissenschaft, sondern in der festen Ueberzeugung, daß eine wahrhaft edle Natur durch, die vollständige Wahrheit nichts verlieren kann. Er hat Recht gethan, denn die strengste Sittlichket wird sich nicht erweh¬ ren können, nach diesem Bilde den Menschen ebenso warm zu lieben, als man den Künstler verehrt. Wie in seinen musikalischen Dichtungen, ist Mozart auch in seinem Leben aus einem Guß: eine freie sorglose Künstlernatur, mit frohem Muth dem Leben entgegenblickend, im innersten Kern gesund und hei¬ ter, jedem guten Eindruck offen und durch die eigne Güte mit dem festen Glauben an die Güte aller erfüllt. Sein Vater, den man gleichfalls aus dieser Biographie ehren und schätzen lernt, hatte bis zu einer gewissen Grenze die Natur seines Sohnes richtig durchschaut, und wie seine Liebe dadurch gewachsen war. so hatte er auf der andern Seite die Gefahren nicht verkannt, die bei einem so unbefangenen sorglosen Gemüth aus der Berührung mit der Welt hervorgehn mußten. Vielleicht war sein Mittel, diesen Gefahren zu be¬ gegnen, nicht richtig gewählt. Er hatte ihn über das Knabenalter hinaus in allen praktischen Angelegenheiten einer ängstlichen Leitung unterworfen, die Mozarts Selbstständigkeit uicht fördern konnte, und er hatte sich so daran ge¬ wöhnt, der liebevolle Vormund seines Sohnes zu sein, daß der erste Versuch desselben, in der ernsthaftesten Angelegenheit des Lebens sich dem väterlichen Willen zu entziehn, eine dauernde Entfremdung zurückließ. Anklagen kaun man den besorgten Vater deshalb nicht, aber man lernt daraus begreifen, daß auch der Mann sich nur sehr schwer und in vieler Beziehung gar nicht daran gewöhnte, den augenblicklichen Eingebungen des Gefühls jene noth¬ wendige Controle des Verstandes entgegenzuhalten, die er bis dahin immer von der väterlichen Hand zu erhalten gewöhnt war. Der Einblick in seine Gmizbotm I. 1358. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/33>, abgerufen am 15.05.2024.