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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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z. B. auch Ciceros Lehrer Apollonius Molo thätig war. Auch diese Schrift
verdiente eine Uebersetzung von so kundiger Hand, als sie dem jüdischen Kriege
zu Theil geworden ist.

Josephus war einer von den Männern, die durch reiche Begabung be¬
fähigt sind, selbst unter schwierigen Verhältnissen eine ehrenvolle Stellung zu
behaupten, aber nicht Größe und Festigkeit des Charakters genug besitzen,
um aus gewaltigen sittlichen Coiiflicten unbefleckt hervorzugehen. Er war
nichts weniger als ein Held, aber ein reicher und glänzender Geist, und wenn
auch keine edle, doch keine gemeine Natur. Im Jahre 37 nach Chr. geboren,
stammte er aus einer angesehenen priesterlichen, mit dem hasmonäischen Fürsten¬
hause verwandten Familie, erhielt eine sorgfältige religiöse Erziehung, studirte
nacheinander die Doctrinen der drei jüdischen Haupthelden, brachte sogar drei
Jahre bei einem ascetischen Einsiedler in der Wüste zu, und entschied sich
schließlich für den Pharisäismus. In der einseitigen Bornirtheit seiner Nation,
die alle nichtjüdische Cultur voll Verachtung ignorirte, war er so wenig be¬
fangen, daß er sich mit griechischer Sprache. Literatur und Bildung eifrigst
beschäftigte. Eine in seinem 26. Jahre unternommene Reise nach Rom er¬
weiterte seinen Gesichtskreis unermeßlich und war für sein ganzes Leben ent¬
scheidend; denn ohne Zweifel legte sie den Grund zu seiner aufrichtigen
Ueberzeugung von der unwiderstehlichen Größe des römischen Weltreiches; bei¬
läufig gesagt wurde er durch Vermittlung eines jüdischen Schauspielers der
Kaiserin Poppäa, Neros Gemahlin, vorgestellt, die sich, wie damals viele
Römerinnen in den höhern Ständen, entschieden zum Judenthum neigte.

Beim Ausbruch der jüdischen Empörung (66 nach Chr.) wurde Josephus
trotzdem von der patriotischen oder Kriegspartei ohne das entfernteste Mi߬
trauen zu den Ihrigen gezählt, sei es daß er von der Begeisterung bez nationa¬
len Erhebung mit ergriffen war, oder auch damals sich nur den Umständen
fügte; denn er wurde an die Spitze der wichtigsten Provinz Galiläa gestellt/
Im Anfänge des Krieges entfaltete er die ganze Energie seines thätigen
Wesens, um die Widerstandskraft dieser Provinz auf jede Weise zu verstärken;
bald aber scheinen in seinem verhallten Geist die sehr natürlichen Bedenken
über den Ausgang des Krieges und die alten Vorstellungen von der Unüber¬
windlichkeit der Römer die Oberhand gewonnen zu haben, und er suchte durch
laue Kriegführung, halbe und selbst mehr als zweideutige Maßregeln sich den
Uebergang ins römische Lager zu decken. Der dadurch erweckte, nur zu ge¬
rechte Verdacht führte zu den härtesten Conflicten mit den Häuptern der Kriegs¬
partei, aus denen Josephus sein Leben nur durch Gewandtheit und Geistes-
gegenwart rettete. Im Jahre 67 übernahm der damals 58 jährige Vespasian,
ein in Thracien, Germanien, Britannien und Afrika erprobter General, das
Commando der römischen Armee, und diese Aenderung des Oberbefehls machte


z. B. auch Ciceros Lehrer Apollonius Molo thätig war. Auch diese Schrift
verdiente eine Uebersetzung von so kundiger Hand, als sie dem jüdischen Kriege
zu Theil geworden ist.

Josephus war einer von den Männern, die durch reiche Begabung be¬
fähigt sind, selbst unter schwierigen Verhältnissen eine ehrenvolle Stellung zu
behaupten, aber nicht Größe und Festigkeit des Charakters genug besitzen,
um aus gewaltigen sittlichen Coiiflicten unbefleckt hervorzugehen. Er war
nichts weniger als ein Held, aber ein reicher und glänzender Geist, und wenn
auch keine edle, doch keine gemeine Natur. Im Jahre 37 nach Chr. geboren,
stammte er aus einer angesehenen priesterlichen, mit dem hasmonäischen Fürsten¬
hause verwandten Familie, erhielt eine sorgfältige religiöse Erziehung, studirte
nacheinander die Doctrinen der drei jüdischen Haupthelden, brachte sogar drei
Jahre bei einem ascetischen Einsiedler in der Wüste zu, und entschied sich
schließlich für den Pharisäismus. In der einseitigen Bornirtheit seiner Nation,
die alle nichtjüdische Cultur voll Verachtung ignorirte, war er so wenig be¬
fangen, daß er sich mit griechischer Sprache. Literatur und Bildung eifrigst
beschäftigte. Eine in seinem 26. Jahre unternommene Reise nach Rom er¬
weiterte seinen Gesichtskreis unermeßlich und war für sein ganzes Leben ent¬
scheidend; denn ohne Zweifel legte sie den Grund zu seiner aufrichtigen
Ueberzeugung von der unwiderstehlichen Größe des römischen Weltreiches; bei¬
läufig gesagt wurde er durch Vermittlung eines jüdischen Schauspielers der
Kaiserin Poppäa, Neros Gemahlin, vorgestellt, die sich, wie damals viele
Römerinnen in den höhern Ständen, entschieden zum Judenthum neigte.

Beim Ausbruch der jüdischen Empörung (66 nach Chr.) wurde Josephus
trotzdem von der patriotischen oder Kriegspartei ohne das entfernteste Mi߬
trauen zu den Ihrigen gezählt, sei es daß er von der Begeisterung bez nationa¬
len Erhebung mit ergriffen war, oder auch damals sich nur den Umständen
fügte; denn er wurde an die Spitze der wichtigsten Provinz Galiläa gestellt/
Im Anfänge des Krieges entfaltete er die ganze Energie seines thätigen
Wesens, um die Widerstandskraft dieser Provinz auf jede Weise zu verstärken;
bald aber scheinen in seinem verhallten Geist die sehr natürlichen Bedenken
über den Ausgang des Krieges und die alten Vorstellungen von der Unüber¬
windlichkeit der Römer die Oberhand gewonnen zu haben, und er suchte durch
laue Kriegführung, halbe und selbst mehr als zweideutige Maßregeln sich den
Uebergang ins römische Lager zu decken. Der dadurch erweckte, nur zu ge¬
rechte Verdacht führte zu den härtesten Conflicten mit den Häuptern der Kriegs¬
partei, aus denen Josephus sein Leben nur durch Gewandtheit und Geistes-
gegenwart rettete. Im Jahre 67 übernahm der damals 58 jährige Vespasian,
ein in Thracien, Germanien, Britannien und Afrika erprobter General, das
Commando der römischen Armee, und diese Aenderung des Oberbefehls machte


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[0343] z. B. auch Ciceros Lehrer Apollonius Molo thätig war. Auch diese Schrift verdiente eine Uebersetzung von so kundiger Hand, als sie dem jüdischen Kriege zu Theil geworden ist. Josephus war einer von den Männern, die durch reiche Begabung be¬ fähigt sind, selbst unter schwierigen Verhältnissen eine ehrenvolle Stellung zu behaupten, aber nicht Größe und Festigkeit des Charakters genug besitzen, um aus gewaltigen sittlichen Coiiflicten unbefleckt hervorzugehen. Er war nichts weniger als ein Held, aber ein reicher und glänzender Geist, und wenn auch keine edle, doch keine gemeine Natur. Im Jahre 37 nach Chr. geboren, stammte er aus einer angesehenen priesterlichen, mit dem hasmonäischen Fürsten¬ hause verwandten Familie, erhielt eine sorgfältige religiöse Erziehung, studirte nacheinander die Doctrinen der drei jüdischen Haupthelden, brachte sogar drei Jahre bei einem ascetischen Einsiedler in der Wüste zu, und entschied sich schließlich für den Pharisäismus. In der einseitigen Bornirtheit seiner Nation, die alle nichtjüdische Cultur voll Verachtung ignorirte, war er so wenig be¬ fangen, daß er sich mit griechischer Sprache. Literatur und Bildung eifrigst beschäftigte. Eine in seinem 26. Jahre unternommene Reise nach Rom er¬ weiterte seinen Gesichtskreis unermeßlich und war für sein ganzes Leben ent¬ scheidend; denn ohne Zweifel legte sie den Grund zu seiner aufrichtigen Ueberzeugung von der unwiderstehlichen Größe des römischen Weltreiches; bei¬ läufig gesagt wurde er durch Vermittlung eines jüdischen Schauspielers der Kaiserin Poppäa, Neros Gemahlin, vorgestellt, die sich, wie damals viele Römerinnen in den höhern Ständen, entschieden zum Judenthum neigte. Beim Ausbruch der jüdischen Empörung (66 nach Chr.) wurde Josephus trotzdem von der patriotischen oder Kriegspartei ohne das entfernteste Mi߬ trauen zu den Ihrigen gezählt, sei es daß er von der Begeisterung bez nationa¬ len Erhebung mit ergriffen war, oder auch damals sich nur den Umständen fügte; denn er wurde an die Spitze der wichtigsten Provinz Galiläa gestellt/ Im Anfänge des Krieges entfaltete er die ganze Energie seines thätigen Wesens, um die Widerstandskraft dieser Provinz auf jede Weise zu verstärken; bald aber scheinen in seinem verhallten Geist die sehr natürlichen Bedenken über den Ausgang des Krieges und die alten Vorstellungen von der Unüber¬ windlichkeit der Römer die Oberhand gewonnen zu haben, und er suchte durch laue Kriegführung, halbe und selbst mehr als zweideutige Maßregeln sich den Uebergang ins römische Lager zu decken. Der dadurch erweckte, nur zu ge¬ rechte Verdacht führte zu den härtesten Conflicten mit den Häuptern der Kriegs¬ partei, aus denen Josephus sein Leben nur durch Gewandtheit und Geistes- gegenwart rettete. Im Jahre 67 übernahm der damals 58 jährige Vespasian, ein in Thracien, Germanien, Britannien und Afrika erprobter General, das Commando der römischen Armee, und diese Aenderung des Oberbefehls machte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/343>, abgerufen am 14.05.2024.