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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Sitten in demselben Maße sich verfeinert haben wie unsere Ausdrucksweise,
und daß die in den altenglischen Dramen vorkommenden Rohheiten der
Sprache ganz den Sitten der damaligen Zeit gemäß waren. Es war das
eine Zeit, wo England sich aus dem Rohen herausarbeitete zu leiblicher
Wohlfahrt und geistiger Große, eine Zeit mächtigen Wachsens und Werdens,
wo demselben Boden, der so herrliche Früchte trieb, auch viel Unkraut und
Wuchergewächs entsproßte -- eine Zeit unvermittelter Elemente, und scharf
ausgeprägter Gegensätze in den Eigenschaften der Menschen, wie in ihrer ge¬
sellschaftlichen Stellung. Auf der einen Seite hohes Streben, männlicher
Ernst, die strengste sittliche Zucht und Würde; auf der andern Seite Ueppig¬
keit, wüstes Wohlleben, Hang zu den wunderlichsten Abenteuern und unerhör¬
testen Ausschweifungen. Doch diese Rohheit war keine zersetzende, raffinirte,
wie sie der Ueberfeincrung, Fäulnis; und Schwäche entspringt, sondern eine
gesunde, frische, von übersprudelnder Kraft zeugende, des edelsten Aufschwungs
und der mächtigsten Leidenschaften fähig.

Eine seht fleißige und gründlich durchgeführte Arbeit ist Ludwig Hol¬
berg, sein Leben und seine Schriften, nebst einer Auswahl seiner Komödien
von Robert Prutz (Stuttgart und Augsburg, Eotta). Der Herausgeber
hat sich seit einer Reihe von Jahren mit dem dänischen Dichter beschäftigt
und bereits 1842 einen ersten Versuch über denselben veröffentlicht. Wenn
er in dem Vorwort die Befürchtung ausspricht, man könnte sein Bestreben
mißverstehen, da bei der gegenwärtigen Spannung zwischen Deutschland und
Dänemark die Pcuteiung sich leicht vom politischen auf das literarische Gebiet
übertragen möchte, so ist das wol eine ungegründete Besorgniß. Um der
dänischen Unverschämtheit entgegenzutreten, die sich doch im Grund nur auf
das Ausland stützt, haben ok' nicht nöthig, ihren Poeten den Werth, der
ihnen in der That zukommt, zu bestreiten. Uebrigens liegen politische Be¬
trachtungen auch bei den Stücken, die Prutz mittheilt, nahe genug. Wenn
wir den politischen Kannengießer auch nicht Holbergs bestes Stück nennen
möchten, so ist es jedenfalls dasjenige, weiches den handgreiflichsten Eindruck
macht und für Deutschland selbst sprichwörtlich geworden ist. Mit so komi¬
scher Kraft nun die Satire sich geltend macht, so sind wir doch jetzt, hundert
Jahre später, geneigt, über manche Punkte anders zu denken als Holberg.
Daß sich die Zünfte um das Gemeinwohl kümmern und über die Gelder, die
sie zahlen, Rechenschaft von den Behörden verlangen, erscheint uns nicht mehr
als eine so exorbitante Forderung, und wenn der wackere Zinngießer von Bre¬
men sich dadurch lächerlich macht, daß er sür Deutschland eine Flotte fordert,
so werden es jetzt grade die Dänen recht gut wissen, daß vieles anders ge¬
kommen wäre, wenn man solche Forderungen nicht mit einem einfachen Ge¬
lächter abgefertigt hätte. Die Satire beruht eigentlich einfach darauf, daß


Sitten in demselben Maße sich verfeinert haben wie unsere Ausdrucksweise,
und daß die in den altenglischen Dramen vorkommenden Rohheiten der
Sprache ganz den Sitten der damaligen Zeit gemäß waren. Es war das
eine Zeit, wo England sich aus dem Rohen herausarbeitete zu leiblicher
Wohlfahrt und geistiger Große, eine Zeit mächtigen Wachsens und Werdens,
wo demselben Boden, der so herrliche Früchte trieb, auch viel Unkraut und
Wuchergewächs entsproßte — eine Zeit unvermittelter Elemente, und scharf
ausgeprägter Gegensätze in den Eigenschaften der Menschen, wie in ihrer ge¬
sellschaftlichen Stellung. Auf der einen Seite hohes Streben, männlicher
Ernst, die strengste sittliche Zucht und Würde; auf der andern Seite Ueppig¬
keit, wüstes Wohlleben, Hang zu den wunderlichsten Abenteuern und unerhör¬
testen Ausschweifungen. Doch diese Rohheit war keine zersetzende, raffinirte,
wie sie der Ueberfeincrung, Fäulnis; und Schwäche entspringt, sondern eine
gesunde, frische, von übersprudelnder Kraft zeugende, des edelsten Aufschwungs
und der mächtigsten Leidenschaften fähig.

Eine seht fleißige und gründlich durchgeführte Arbeit ist Ludwig Hol¬
berg, sein Leben und seine Schriften, nebst einer Auswahl seiner Komödien
von Robert Prutz (Stuttgart und Augsburg, Eotta). Der Herausgeber
hat sich seit einer Reihe von Jahren mit dem dänischen Dichter beschäftigt
und bereits 1842 einen ersten Versuch über denselben veröffentlicht. Wenn
er in dem Vorwort die Befürchtung ausspricht, man könnte sein Bestreben
mißverstehen, da bei der gegenwärtigen Spannung zwischen Deutschland und
Dänemark die Pcuteiung sich leicht vom politischen auf das literarische Gebiet
übertragen möchte, so ist das wol eine ungegründete Besorgniß. Um der
dänischen Unverschämtheit entgegenzutreten, die sich doch im Grund nur auf
das Ausland stützt, haben ok' nicht nöthig, ihren Poeten den Werth, der
ihnen in der That zukommt, zu bestreiten. Uebrigens liegen politische Be¬
trachtungen auch bei den Stücken, die Prutz mittheilt, nahe genug. Wenn
wir den politischen Kannengießer auch nicht Holbergs bestes Stück nennen
möchten, so ist es jedenfalls dasjenige, weiches den handgreiflichsten Eindruck
macht und für Deutschland selbst sprichwörtlich geworden ist. Mit so komi¬
scher Kraft nun die Satire sich geltend macht, so sind wir doch jetzt, hundert
Jahre später, geneigt, über manche Punkte anders zu denken als Holberg.
Daß sich die Zünfte um das Gemeinwohl kümmern und über die Gelder, die
sie zahlen, Rechenschaft von den Behörden verlangen, erscheint uns nicht mehr
als eine so exorbitante Forderung, und wenn der wackere Zinngießer von Bre¬
men sich dadurch lächerlich macht, daß er sür Deutschland eine Flotte fordert,
so werden es jetzt grade die Dänen recht gut wissen, daß vieles anders ge¬
kommen wäre, wenn man solche Forderungen nicht mit einem einfachen Ge¬
lächter abgefertigt hätte. Die Satire beruht eigentlich einfach darauf, daß


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[0356] Sitten in demselben Maße sich verfeinert haben wie unsere Ausdrucksweise, und daß die in den altenglischen Dramen vorkommenden Rohheiten der Sprache ganz den Sitten der damaligen Zeit gemäß waren. Es war das eine Zeit, wo England sich aus dem Rohen herausarbeitete zu leiblicher Wohlfahrt und geistiger Große, eine Zeit mächtigen Wachsens und Werdens, wo demselben Boden, der so herrliche Früchte trieb, auch viel Unkraut und Wuchergewächs entsproßte — eine Zeit unvermittelter Elemente, und scharf ausgeprägter Gegensätze in den Eigenschaften der Menschen, wie in ihrer ge¬ sellschaftlichen Stellung. Auf der einen Seite hohes Streben, männlicher Ernst, die strengste sittliche Zucht und Würde; auf der andern Seite Ueppig¬ keit, wüstes Wohlleben, Hang zu den wunderlichsten Abenteuern und unerhör¬ testen Ausschweifungen. Doch diese Rohheit war keine zersetzende, raffinirte, wie sie der Ueberfeincrung, Fäulnis; und Schwäche entspringt, sondern eine gesunde, frische, von übersprudelnder Kraft zeugende, des edelsten Aufschwungs und der mächtigsten Leidenschaften fähig. Eine seht fleißige und gründlich durchgeführte Arbeit ist Ludwig Hol¬ berg, sein Leben und seine Schriften, nebst einer Auswahl seiner Komödien von Robert Prutz (Stuttgart und Augsburg, Eotta). Der Herausgeber hat sich seit einer Reihe von Jahren mit dem dänischen Dichter beschäftigt und bereits 1842 einen ersten Versuch über denselben veröffentlicht. Wenn er in dem Vorwort die Befürchtung ausspricht, man könnte sein Bestreben mißverstehen, da bei der gegenwärtigen Spannung zwischen Deutschland und Dänemark die Pcuteiung sich leicht vom politischen auf das literarische Gebiet übertragen möchte, so ist das wol eine ungegründete Besorgniß. Um der dänischen Unverschämtheit entgegenzutreten, die sich doch im Grund nur auf das Ausland stützt, haben ok' nicht nöthig, ihren Poeten den Werth, der ihnen in der That zukommt, zu bestreiten. Uebrigens liegen politische Be¬ trachtungen auch bei den Stücken, die Prutz mittheilt, nahe genug. Wenn wir den politischen Kannengießer auch nicht Holbergs bestes Stück nennen möchten, so ist es jedenfalls dasjenige, weiches den handgreiflichsten Eindruck macht und für Deutschland selbst sprichwörtlich geworden ist. Mit so komi¬ scher Kraft nun die Satire sich geltend macht, so sind wir doch jetzt, hundert Jahre später, geneigt, über manche Punkte anders zu denken als Holberg. Daß sich die Zünfte um das Gemeinwohl kümmern und über die Gelder, die sie zahlen, Rechenschaft von den Behörden verlangen, erscheint uns nicht mehr als eine so exorbitante Forderung, und wenn der wackere Zinngießer von Bre¬ men sich dadurch lächerlich macht, daß er sür Deutschland eine Flotte fordert, so werden es jetzt grade die Dänen recht gut wissen, daß vieles anders ge¬ kommen wäre, wenn man solche Forderungen nicht mit einem einfachen Ge¬ lächter abgefertigt hätte. Die Satire beruht eigentlich einfach darauf, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/356>, abgerufen am 31.05.2024.