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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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der Handwerker des Ceremoniels nicht mächtig ist^ mit dem ein gnädiger
Bürgermeister sich umgeben muß. Auch in dieser Beziehung sind wir geneigt,
milder zu urtheilen, und nebenbei bleibt es sehr zweifelhaft, wer sich lächer¬
licher macht, die gefoppte Frau Zinngießerin oder die vornehmen Damen, die,
um die Neckerei durchzuführen, gezwungen sind, ihren Kaffee mit Syrup zu
trinken und ihr die Schürze zu küssen. Doch soll damit nichts gegen das
Stück gesagt sein, dessen komische Kraft nicht genug zu rühmen ist. Ueber¬
haupt hat Prutz eine glückliche Auswahl getroffen, auch die anderen Stücke:
Hans Franzen, Jeppe vom Berge, die Wochenstube, der eilfte Juni, und
Ulysses von Jtacia. gehören in der That zu Holbcrgs besten Lustspielen. Die
Uebersetzung ist der oehleuschlägerschen durchaus vorzuziehen, und wenn sie
uns hin und wieder in Bezug aus die treue Nachbildung zu ängstlich gearbei¬
tet zu sein scheint, so hängt das mit dem hohen Werth zusammen, den Prutz
dem Original beilegt. Gern wollen wir zugeben, daß für die dänische Lite¬
ratur Holberg eine Größe ersten Ranges ist und daß auch die Deutschen ihm
vor Minna v. Barnhelm nichts, nach derselben sehr wenig an die Seite zu
stellen haben, wenn man aber seine Stellung in der Weltliteratur siziren will,
muß man nicht vergessen, daß er nach Moliöre kommt^ den er nicht unbedeu¬
tend benutzt hat, und der ihn nicht blos an Bildung und Geschmack, sondern
auch an wahrhaft komischer Kraft unendlich überragt. Das Verhältniß des
Dichters zu den dänischen Culturzuständen, aus denen er hervorging, hat
Prutz vortrefflich auseinandergesetzt. Ebenso anerkennenswert!) ist seine Be¬
mühung, Holberg nach dem ganzen Umfang seiner schriftstellerischen Leistungen
gerecht zu werden. Daß die Darstellung etwas breiter ist als wünschenswert!),
ist ein Tadel, den wir gegen Prutz schon häufig haben aussprechen müssen.

In der Schrift: B. Hugo, Lamartine und die französische Lyrik
des 19. Jahrhunderts historisch-kritisch zusammengestellt von Honegger,
(Zürich, Meyer und Zeller) finden wir einige treffende Bemerkungen; im
Ganzen ist es aber dem Verfasser nicht hinreichend gelungen, seine wohl¬
gemeinten Empfindungen in klare Begriffe zu übersetzen.

Ein höchst schätzbares Material ist in der Schrift: Die deutsche Kunst
in unserm Jahrhundert. Eine Reihe von Vorlesungen mit erläuternder
Beischrift von Professor Hagen zu Königsberg, 2 Bände (Berlin, Schindler).
Leider müssen wir hinzusetzen, daß der Verfasser, den wir im Uebrigen wahr¬
haft hochachten, das Buch mit einer Nachlässigkeit ausgearbeitet hat. von der
wir in der gesammten Weltliteratur kein Beispiel kennen. Das Buch macht
den Eindruck, als ob der Verfasser alle alten Papierschnitzeln, wie sie zufällig
in seiner Schublade lagen, in die Druckerei geschickt habe, ohne sie vorher
wieder anzusehn. Wenn er einmal die Semiten zu Mongolen macht, so mag
das rein der Feder Schuld gegeben werden, aber wie er componirt, davon


der Handwerker des Ceremoniels nicht mächtig ist^ mit dem ein gnädiger
Bürgermeister sich umgeben muß. Auch in dieser Beziehung sind wir geneigt,
milder zu urtheilen, und nebenbei bleibt es sehr zweifelhaft, wer sich lächer¬
licher macht, die gefoppte Frau Zinngießerin oder die vornehmen Damen, die,
um die Neckerei durchzuführen, gezwungen sind, ihren Kaffee mit Syrup zu
trinken und ihr die Schürze zu küssen. Doch soll damit nichts gegen das
Stück gesagt sein, dessen komische Kraft nicht genug zu rühmen ist. Ueber¬
haupt hat Prutz eine glückliche Auswahl getroffen, auch die anderen Stücke:
Hans Franzen, Jeppe vom Berge, die Wochenstube, der eilfte Juni, und
Ulysses von Jtacia. gehören in der That zu Holbcrgs besten Lustspielen. Die
Uebersetzung ist der oehleuschlägerschen durchaus vorzuziehen, und wenn sie
uns hin und wieder in Bezug aus die treue Nachbildung zu ängstlich gearbei¬
tet zu sein scheint, so hängt das mit dem hohen Werth zusammen, den Prutz
dem Original beilegt. Gern wollen wir zugeben, daß für die dänische Lite¬
ratur Holberg eine Größe ersten Ranges ist und daß auch die Deutschen ihm
vor Minna v. Barnhelm nichts, nach derselben sehr wenig an die Seite zu
stellen haben, wenn man aber seine Stellung in der Weltliteratur siziren will,
muß man nicht vergessen, daß er nach Moliöre kommt^ den er nicht unbedeu¬
tend benutzt hat, und der ihn nicht blos an Bildung und Geschmack, sondern
auch an wahrhaft komischer Kraft unendlich überragt. Das Verhältniß des
Dichters zu den dänischen Culturzuständen, aus denen er hervorging, hat
Prutz vortrefflich auseinandergesetzt. Ebenso anerkennenswert!) ist seine Be¬
mühung, Holberg nach dem ganzen Umfang seiner schriftstellerischen Leistungen
gerecht zu werden. Daß die Darstellung etwas breiter ist als wünschenswert!),
ist ein Tadel, den wir gegen Prutz schon häufig haben aussprechen müssen.

In der Schrift: B. Hugo, Lamartine und die französische Lyrik
des 19. Jahrhunderts historisch-kritisch zusammengestellt von Honegger,
(Zürich, Meyer und Zeller) finden wir einige treffende Bemerkungen; im
Ganzen ist es aber dem Verfasser nicht hinreichend gelungen, seine wohl¬
gemeinten Empfindungen in klare Begriffe zu übersetzen.

Ein höchst schätzbares Material ist in der Schrift: Die deutsche Kunst
in unserm Jahrhundert. Eine Reihe von Vorlesungen mit erläuternder
Beischrift von Professor Hagen zu Königsberg, 2 Bände (Berlin, Schindler).
Leider müssen wir hinzusetzen, daß der Verfasser, den wir im Uebrigen wahr¬
haft hochachten, das Buch mit einer Nachlässigkeit ausgearbeitet hat. von der
wir in der gesammten Weltliteratur kein Beispiel kennen. Das Buch macht
den Eindruck, als ob der Verfasser alle alten Papierschnitzeln, wie sie zufällig
in seiner Schublade lagen, in die Druckerei geschickt habe, ohne sie vorher
wieder anzusehn. Wenn er einmal die Semiten zu Mongolen macht, so mag
das rein der Feder Schuld gegeben werden, aber wie er componirt, davon


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[0357] der Handwerker des Ceremoniels nicht mächtig ist^ mit dem ein gnädiger Bürgermeister sich umgeben muß. Auch in dieser Beziehung sind wir geneigt, milder zu urtheilen, und nebenbei bleibt es sehr zweifelhaft, wer sich lächer¬ licher macht, die gefoppte Frau Zinngießerin oder die vornehmen Damen, die, um die Neckerei durchzuführen, gezwungen sind, ihren Kaffee mit Syrup zu trinken und ihr die Schürze zu küssen. Doch soll damit nichts gegen das Stück gesagt sein, dessen komische Kraft nicht genug zu rühmen ist. Ueber¬ haupt hat Prutz eine glückliche Auswahl getroffen, auch die anderen Stücke: Hans Franzen, Jeppe vom Berge, die Wochenstube, der eilfte Juni, und Ulysses von Jtacia. gehören in der That zu Holbcrgs besten Lustspielen. Die Uebersetzung ist der oehleuschlägerschen durchaus vorzuziehen, und wenn sie uns hin und wieder in Bezug aus die treue Nachbildung zu ängstlich gearbei¬ tet zu sein scheint, so hängt das mit dem hohen Werth zusammen, den Prutz dem Original beilegt. Gern wollen wir zugeben, daß für die dänische Lite¬ ratur Holberg eine Größe ersten Ranges ist und daß auch die Deutschen ihm vor Minna v. Barnhelm nichts, nach derselben sehr wenig an die Seite zu stellen haben, wenn man aber seine Stellung in der Weltliteratur siziren will, muß man nicht vergessen, daß er nach Moliöre kommt^ den er nicht unbedeu¬ tend benutzt hat, und der ihn nicht blos an Bildung und Geschmack, sondern auch an wahrhaft komischer Kraft unendlich überragt. Das Verhältniß des Dichters zu den dänischen Culturzuständen, aus denen er hervorging, hat Prutz vortrefflich auseinandergesetzt. Ebenso anerkennenswert!) ist seine Be¬ mühung, Holberg nach dem ganzen Umfang seiner schriftstellerischen Leistungen gerecht zu werden. Daß die Darstellung etwas breiter ist als wünschenswert!), ist ein Tadel, den wir gegen Prutz schon häufig haben aussprechen müssen. In der Schrift: B. Hugo, Lamartine und die französische Lyrik des 19. Jahrhunderts historisch-kritisch zusammengestellt von Honegger, (Zürich, Meyer und Zeller) finden wir einige treffende Bemerkungen; im Ganzen ist es aber dem Verfasser nicht hinreichend gelungen, seine wohl¬ gemeinten Empfindungen in klare Begriffe zu übersetzen. Ein höchst schätzbares Material ist in der Schrift: Die deutsche Kunst in unserm Jahrhundert. Eine Reihe von Vorlesungen mit erläuternder Beischrift von Professor Hagen zu Königsberg, 2 Bände (Berlin, Schindler). Leider müssen wir hinzusetzen, daß der Verfasser, den wir im Uebrigen wahr¬ haft hochachten, das Buch mit einer Nachlässigkeit ausgearbeitet hat. von der wir in der gesammten Weltliteratur kein Beispiel kennen. Das Buch macht den Eindruck, als ob der Verfasser alle alten Papierschnitzeln, wie sie zufällig in seiner Schublade lagen, in die Druckerei geschickt habe, ohne sie vorher wieder anzusehn. Wenn er einmal die Semiten zu Mongolen macht, so mag das rein der Feder Schuld gegeben werden, aber wie er componirt, davon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/357>, abgerufen am 15.05.2024.