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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Mann in die Seele eines andern hinein empfindet. Hat ihn Rochlitz selber
componirt -- unmöglich wäre es nicht -- so ist er das Zeugniß eines außer¬
ordentlichen Talents.

"Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im
Wagen, oder nach guter Mahlzeit beim Spatzieren, und in der Nacht wenn
ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken stromweis und um
besten. Woher und wie das, weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die
mir nun gefallen, die behalte ich im Kopf, und Summe sie auch wohl vor mich
hin, wie mir andere wenigstens gesagt haben. Halt ich das nun fest, so
kommt mir bald eins nach dem andern bei, wozu so ein Brocken zu brauchen
wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Kontrapunkt, nach Klang der
verschiedenen Instrumente <;t ""ztsi-Ä. Das erhitzt mir nun die Seele, wenn
ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es
immer weiter und Heller aus, und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast
fertig, wenn es auch lang ist, so daß ichs hernach mit einem Blick, gleichsam
wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen im Geist übersehe, und
es auch gar nicht mehr nacheinander, wie es hernach kommen muh, in der
Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmauß.
Alles das Finden und Machen geht in mir nur wie in einem schön starken
Traum vor - aber das Ucberhören, so alles zusammen, ist doch das Beste.
Was nun so geworden ist, das vergesse ich nun nicht leicht wieder, und das
ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herrgott geschenkt hat. Wenn ich
nun hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sack mei¬
nes Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt
es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier, denn es ist, wie gesagt, eigent¬
lich schon fertig, und wird auch selten viel anders als es vorher im Kops
gewesen ist. Darum kann ich mich auch beim Schreiben stören lassen, und
mag um mich herum mancherlei vorgehen, ich schreibe doch; kann auch dabei
plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen u. s. w." --

Der eigentliche Kern des Schaffens entzieht sich in der That der Analyse,
damit ist aber nicht gesagt, daß nicht das Bewußtsein und der Wille auch
in den entscheidenden Punkten der Arbeit thätig sein sollte. Der einzelne
Künstler wie der Mensch steht nicht isolirt, er erhebt sich auf der Basis ver¬
gangener Bildung, die ihm-durch Erziehung mitgetheilt wird. Der große
Künstler wird stets eine strenge Vorschule durchgemacht haben, um die Sprö-
digkeit des Stoffs und die Strenge der Form nicht mehr als ein äußeres
Hemmniß, sondern als die nothwendige Gestalt seiner Eingebungen zu em¬
pfinden. Diese Erziehung, die der Knabe äußerlich empfängt, setzt der Mann



') So hat Mozart gewiß nicht geschrieben.

Mann in die Seele eines andern hinein empfindet. Hat ihn Rochlitz selber
componirt — unmöglich wäre es nicht — so ist er das Zeugniß eines außer¬
ordentlichen Talents.

„Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im
Wagen, oder nach guter Mahlzeit beim Spatzieren, und in der Nacht wenn
ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken stromweis und um
besten. Woher und wie das, weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die
mir nun gefallen, die behalte ich im Kopf, und Summe sie auch wohl vor mich
hin, wie mir andere wenigstens gesagt haben. Halt ich das nun fest, so
kommt mir bald eins nach dem andern bei, wozu so ein Brocken zu brauchen
wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Kontrapunkt, nach Klang der
verschiedenen Instrumente <;t ««ztsi-Ä. Das erhitzt mir nun die Seele, wenn
ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es
immer weiter und Heller aus, und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast
fertig, wenn es auch lang ist, so daß ichs hernach mit einem Blick, gleichsam
wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen im Geist übersehe, und
es auch gar nicht mehr nacheinander, wie es hernach kommen muh, in der
Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmauß.
Alles das Finden und Machen geht in mir nur wie in einem schön starken
Traum vor - aber das Ucberhören, so alles zusammen, ist doch das Beste.
Was nun so geworden ist, das vergesse ich nun nicht leicht wieder, und das
ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herrgott geschenkt hat. Wenn ich
nun hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sack mei¬
nes Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt
es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier, denn es ist, wie gesagt, eigent¬
lich schon fertig, und wird auch selten viel anders als es vorher im Kops
gewesen ist. Darum kann ich mich auch beim Schreiben stören lassen, und
mag um mich herum mancherlei vorgehen, ich schreibe doch; kann auch dabei
plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen u. s. w." —

Der eigentliche Kern des Schaffens entzieht sich in der That der Analyse,
damit ist aber nicht gesagt, daß nicht das Bewußtsein und der Wille auch
in den entscheidenden Punkten der Arbeit thätig sein sollte. Der einzelne
Künstler wie der Mensch steht nicht isolirt, er erhebt sich auf der Basis ver¬
gangener Bildung, die ihm-durch Erziehung mitgetheilt wird. Der große
Künstler wird stets eine strenge Vorschule durchgemacht haben, um die Sprö-
digkeit des Stoffs und die Strenge der Form nicht mehr als ein äußeres
Hemmniß, sondern als die nothwendige Gestalt seiner Eingebungen zu em¬
pfinden. Diese Erziehung, die der Knabe äußerlich empfängt, setzt der Mann



') So hat Mozart gewiß nicht geschrieben.
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[0036] Mann in die Seele eines andern hinein empfindet. Hat ihn Rochlitz selber componirt — unmöglich wäre es nicht — so ist er das Zeugniß eines außer¬ ordentlichen Talents. „Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im Wagen, oder nach guter Mahlzeit beim Spatzieren, und in der Nacht wenn ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken stromweis und um besten. Woher und wie das, weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die mir nun gefallen, die behalte ich im Kopf, und Summe sie auch wohl vor mich hin, wie mir andere wenigstens gesagt haben. Halt ich das nun fest, so kommt mir bald eins nach dem andern bei, wozu so ein Brocken zu brauchen wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Kontrapunkt, nach Klang der verschiedenen Instrumente <;t ««ztsi-Ä. Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es immer weiter und Heller aus, und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ichs hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen im Geist übersehe, und es auch gar nicht mehr nacheinander, wie es hernach kommen muh, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmauß. Alles das Finden und Machen geht in mir nur wie in einem schön starken Traum vor - aber das Ucberhören, so alles zusammen, ist doch das Beste. Was nun so geworden ist, das vergesse ich nun nicht leicht wieder, und das ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herrgott geschenkt hat. Wenn ich nun hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sack mei¬ nes Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier, denn es ist, wie gesagt, eigent¬ lich schon fertig, und wird auch selten viel anders als es vorher im Kops gewesen ist. Darum kann ich mich auch beim Schreiben stören lassen, und mag um mich herum mancherlei vorgehen, ich schreibe doch; kann auch dabei plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen u. s. w." — Der eigentliche Kern des Schaffens entzieht sich in der That der Analyse, damit ist aber nicht gesagt, daß nicht das Bewußtsein und der Wille auch in den entscheidenden Punkten der Arbeit thätig sein sollte. Der einzelne Künstler wie der Mensch steht nicht isolirt, er erhebt sich auf der Basis ver¬ gangener Bildung, die ihm-durch Erziehung mitgetheilt wird. Der große Künstler wird stets eine strenge Vorschule durchgemacht haben, um die Sprö- digkeit des Stoffs und die Strenge der Form nicht mehr als ein äußeres Hemmniß, sondern als die nothwendige Gestalt seiner Eingebungen zu em¬ pfinden. Diese Erziehung, die der Knabe äußerlich empfängt, setzt der Mann ') So hat Mozart gewiß nicht geschrieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/36>, abgerufen am 15.05.2024.