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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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seit dem Anfange des Jahrhunderts das Treiben des Landadels geändert hat.
Noch immer lodert, wie in des Bcrlichingers Jugend die Fehdelust in den
begehrlichen Seelen auf, nach immer ist rase Gewaltthat häufig, und zahl¬
reich werden Duodezkriegc vorbereitet, aber das alte Selbstgefühl ist ge¬
brachen, drohend schwebt das Gespenst des Landfriedens und Kammergerichts
über den Hadernden, schnell mischen sich Nachbarn und gute Freunde ein und
den, kaiserlichen Mandat, wie dein Willen des Landesfürsten trotzt auch der
Wilde selten ungestraft. Der Landadel ist unschädlicher, aber noch nicht besser
geworden; an die Stelle offener Fehde treten plötzliche Ueberfälle, hinterlistige
Streiche, und statt der. Armbrust und des Schwertes gebrauchen die Gegner
andere nicht weniger schneidende Waffen, Verleumdung, Bestechung und In¬
triguen, Und noch eine Waffe, für den Betroffenen vielleicht die peinlichste
von allen, nicht Zeitungsartikel, aber ^pottverse auf den Gegner, welche
sie auf beliebte Melodien anfertigen, drucken, wol auch durch bezahlte
Bänkelsänger absingen lassen. Dies Mittel den Gegner zu kränken war nicht
neu, schon seit Jahrhunderten hatte man Spottlieder bezahlt und gern gehört,
und die fahrenden Sänger hatten sich dadurch gefürchtet gemacht, daß sie
einem kargen Wirth an hundert Herdfeuern Böses nachhängen. Seit dem
Anfang des l">. Jahrhunderts aber hatte das große Interesse an Flugschriften
außer den Liedern auch längere Gedichte, die zum Lesen geschrieben waren,
massenhaft hervorgerufen und der kleinste Briefmaler ober Buchdrucker, jeder
Buchbinder, der nach damaligem Brauch den Bertrich kleiner Drucksachen
besorgte, vermochte sür wenig Geld den Feind eines Gutsbesitzers um so
mehr zu kränken, je bekannter der Name des Abgesungenen war.

Was SchürtUn selbst erzählt, sei hier mit Auslassungen in unser Deutsch
übertragen:

Ä"no 1557. In diesem Jahre habe ich, Sebastian Schürtlin, die Herr¬
schaft Hohenburg sammt Bissingen*) und Hohenstein von einem böhmische"
Herrn, Woldemar von Lobkowrtz, und von Hans Stein um 52,000 Fi. erkauft
und in Beisein meines Sohnes, "reines Tochtermanns und vieler andern vom
Adel am Se. Matthäustag eingenommen und von den Unterthanen zu Bis¬
singen aus dem Markt die Huldigung empfangen. Denselben Sommer habe
ich das Schloß Hohenstein wieder erneuert und so ausbessern lassen, daß man
es bewohne" konnte. Um Se. Michaelistag ist mein Sohn mit Weib und
Kindern dorthin gezogen, hat dort zu Hausen angefangen und hat rohe und
gebrannte Steine, Holz und Kalk zum Bau des Schlosses Brssingen zugerüstet
und im Wrnter den Brunnen zurichten lassen. Dazu haben mir die benach¬
barten Prälaten schöne eichene Hölzer gegeben, und mit ihren und der Stadt



") Hohenburg und Bissingen lagen im Territorium Oettingen. Die Grafen von Oettinge"
beanspruchten die Obertehnshoheit über diese Güter.

seit dem Anfange des Jahrhunderts das Treiben des Landadels geändert hat.
Noch immer lodert, wie in des Bcrlichingers Jugend die Fehdelust in den
begehrlichen Seelen auf, nach immer ist rase Gewaltthat häufig, und zahl¬
reich werden Duodezkriegc vorbereitet, aber das alte Selbstgefühl ist ge¬
brachen, drohend schwebt das Gespenst des Landfriedens und Kammergerichts
über den Hadernden, schnell mischen sich Nachbarn und gute Freunde ein und
den, kaiserlichen Mandat, wie dein Willen des Landesfürsten trotzt auch der
Wilde selten ungestraft. Der Landadel ist unschädlicher, aber noch nicht besser
geworden; an die Stelle offener Fehde treten plötzliche Ueberfälle, hinterlistige
Streiche, und statt der. Armbrust und des Schwertes gebrauchen die Gegner
andere nicht weniger schneidende Waffen, Verleumdung, Bestechung und In¬
triguen, Und noch eine Waffe, für den Betroffenen vielleicht die peinlichste
von allen, nicht Zeitungsartikel, aber ^pottverse auf den Gegner, welche
sie auf beliebte Melodien anfertigen, drucken, wol auch durch bezahlte
Bänkelsänger absingen lassen. Dies Mittel den Gegner zu kränken war nicht
neu, schon seit Jahrhunderten hatte man Spottlieder bezahlt und gern gehört,
und die fahrenden Sänger hatten sich dadurch gefürchtet gemacht, daß sie
einem kargen Wirth an hundert Herdfeuern Böses nachhängen. Seit dem
Anfang des l«>. Jahrhunderts aber hatte das große Interesse an Flugschriften
außer den Liedern auch längere Gedichte, die zum Lesen geschrieben waren,
massenhaft hervorgerufen und der kleinste Briefmaler ober Buchdrucker, jeder
Buchbinder, der nach damaligem Brauch den Bertrich kleiner Drucksachen
besorgte, vermochte sür wenig Geld den Feind eines Gutsbesitzers um so
mehr zu kränken, je bekannter der Name des Abgesungenen war.

Was SchürtUn selbst erzählt, sei hier mit Auslassungen in unser Deutsch
übertragen:

Ä»no 1557. In diesem Jahre habe ich, Sebastian Schürtlin, die Herr¬
schaft Hohenburg sammt Bissingen*) und Hohenstein von einem böhmische»
Herrn, Woldemar von Lobkowrtz, und von Hans Stein um 52,000 Fi. erkauft
und in Beisein meines Sohnes, »reines Tochtermanns und vieler andern vom
Adel am Se. Matthäustag eingenommen und von den Unterthanen zu Bis¬
singen aus dem Markt die Huldigung empfangen. Denselben Sommer habe
ich das Schloß Hohenstein wieder erneuert und so ausbessern lassen, daß man
es bewohne» konnte. Um Se. Michaelistag ist mein Sohn mit Weib und
Kindern dorthin gezogen, hat dort zu Hausen angefangen und hat rohe und
gebrannte Steine, Holz und Kalk zum Bau des Schlosses Brssingen zugerüstet
und im Wrnter den Brunnen zurichten lassen. Dazu haben mir die benach¬
barten Prälaten schöne eichene Hölzer gegeben, und mit ihren und der Stadt



") Hohenburg und Bissingen lagen im Territorium Oettingen. Die Grafen von Oettinge»
beanspruchten die Obertehnshoheit über diese Güter.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/400>, abgerufen am 30.05.2024.