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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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nicht für einen andern, einzelnen Stand, sondern zum Wohl des Ganzen.
Auch hier ist von der Noth und Bedrückung der Armen und kleinen Leute die
Rede, aber nicht von dem Standpunkt des weichherzigen Mannes, des Men¬
schenfreunds, sondern von dem des Staatsmannes aus. Das ist ein Gesichts¬
punkt, unter dem die Opposition gegen Zinsfreiheit sich rechtfertigen ließe,
wenn auch zehnmal bewiesen wäre, daß die Wuchergesetze den schnellen Fort¬
schritt des Wohlstandes hemmen und daß sie täglich umgangen werden sonnen.
Denn hier befinden wir uns auf dem Gebiet der staatlichen Ethik, welche
andere Ziele hat als die ökonomische Prosperität, und der bloßen Zweck¬
mäßigkeit keine Concessionen macht.

Wenn das Volksleben noch jung und die Macht des Staats gering ist,
wird, namentlich wo verschiedene Nationalitäten in demselben Gemeinwesen
neben- oder übereinander stehn, leicht der Fall eintreten, daß es einer bereits
durch irgend etwas ausgezeichneten Classe gelingt, nicht blos den Einfluß des
Staats auf ihrem Gebiet auszuschließen, sondern die staatlichen Kruste selbst
zu ihren Sonderintercssen zu benutzen. Jede dauernde gesellschaftliche Stellung
beruht aber wesentlich auf dem Besitz. Einmal zu dieser Einsicht gelangt, wird
die mächtige Classe also bemüht sein, sich durch ein besondres Erb- und Ehr¬
recht und durch Vcräußcrungsvcrbote im Besitz der vorhandenen Güter zu er¬
halten, die übrigen Classen von der Erwerbung dieser auszuschließen und an
der Production neuer Güter durch Beschränkung der freien Arbeit und geistigen
Bildung zu hindern. Dadurch behält sie allein die wenigen überhaupt vor¬
handenen Capitalien in Händen und da neue sich nicht bilden dürfen, übt sie
im strengsten Sinne des Worts ein Monopol, das die wirthschaftliche und
persönliche selbstständigere vernichtet und schließlich zur gewaltsamen Empö¬
rung der Bedrückten oder zur Versumpfung des gesammten Staats führt. Das
ist die kurze Skizze eines Bildes, das man in der Geschichte mehr als einmal
mit allen Einzelheiten und Farben ausgeführt finden wird, das der Zustand,
welcher dem Staat die Pflicht auferlegt, mit seiner Kraft dem Schwachen zu
Hilfe zu kommen und dem Starken ein Ziel zu setzen, über das hin¬
aus er seine Macht nicht brauchen darf. Was vor Jahrhunderten und
durch Jahrhunderte allgemeingültig bestanden hat, ist nicht ohne Grund
gewesen, und wer die Weisheit darin verkennen wollte, machte sich
desselben Fehlers schuldig wie der, welcher alles, was einmal richtig ge¬
wesen ist. als die Richtschnur aller Zeit betrachtet sehen will. Kein positives
Recht ist ohne bestimmte gesellschaftliche Zustände zu verstehen und die Ver¬
nunft Unsinn, Wohlthat Plage, wo jenes bleibt, wenn diese längst gewechselt
haben. Auch heute gibt der Besitz in Preußen Macht und Vortheile, aber
Fleiß und Bildung machen ihn jedem zugänglich; auch Capitalien werden
nach wie vor gesucht, aber ihre Anzahl steht in einem ganz andern Verhält-


nicht für einen andern, einzelnen Stand, sondern zum Wohl des Ganzen.
Auch hier ist von der Noth und Bedrückung der Armen und kleinen Leute die
Rede, aber nicht von dem Standpunkt des weichherzigen Mannes, des Men¬
schenfreunds, sondern von dem des Staatsmannes aus. Das ist ein Gesichts¬
punkt, unter dem die Opposition gegen Zinsfreiheit sich rechtfertigen ließe,
wenn auch zehnmal bewiesen wäre, daß die Wuchergesetze den schnellen Fort¬
schritt des Wohlstandes hemmen und daß sie täglich umgangen werden sonnen.
Denn hier befinden wir uns auf dem Gebiet der staatlichen Ethik, welche
andere Ziele hat als die ökonomische Prosperität, und der bloßen Zweck¬
mäßigkeit keine Concessionen macht.

Wenn das Volksleben noch jung und die Macht des Staats gering ist,
wird, namentlich wo verschiedene Nationalitäten in demselben Gemeinwesen
neben- oder übereinander stehn, leicht der Fall eintreten, daß es einer bereits
durch irgend etwas ausgezeichneten Classe gelingt, nicht blos den Einfluß des
Staats auf ihrem Gebiet auszuschließen, sondern die staatlichen Kruste selbst
zu ihren Sonderintercssen zu benutzen. Jede dauernde gesellschaftliche Stellung
beruht aber wesentlich auf dem Besitz. Einmal zu dieser Einsicht gelangt, wird
die mächtige Classe also bemüht sein, sich durch ein besondres Erb- und Ehr¬
recht und durch Vcräußcrungsvcrbote im Besitz der vorhandenen Güter zu er¬
halten, die übrigen Classen von der Erwerbung dieser auszuschließen und an
der Production neuer Güter durch Beschränkung der freien Arbeit und geistigen
Bildung zu hindern. Dadurch behält sie allein die wenigen überhaupt vor¬
handenen Capitalien in Händen und da neue sich nicht bilden dürfen, übt sie
im strengsten Sinne des Worts ein Monopol, das die wirthschaftliche und
persönliche selbstständigere vernichtet und schließlich zur gewaltsamen Empö¬
rung der Bedrückten oder zur Versumpfung des gesammten Staats führt. Das
ist die kurze Skizze eines Bildes, das man in der Geschichte mehr als einmal
mit allen Einzelheiten und Farben ausgeführt finden wird, das der Zustand,
welcher dem Staat die Pflicht auferlegt, mit seiner Kraft dem Schwachen zu
Hilfe zu kommen und dem Starken ein Ziel zu setzen, über das hin¬
aus er seine Macht nicht brauchen darf. Was vor Jahrhunderten und
durch Jahrhunderte allgemeingültig bestanden hat, ist nicht ohne Grund
gewesen, und wer die Weisheit darin verkennen wollte, machte sich
desselben Fehlers schuldig wie der, welcher alles, was einmal richtig ge¬
wesen ist. als die Richtschnur aller Zeit betrachtet sehen will. Kein positives
Recht ist ohne bestimmte gesellschaftliche Zustände zu verstehen und die Ver¬
nunft Unsinn, Wohlthat Plage, wo jenes bleibt, wenn diese längst gewechselt
haben. Auch heute gibt der Besitz in Preußen Macht und Vortheile, aber
Fleiß und Bildung machen ihn jedem zugänglich; auch Capitalien werden
nach wie vor gesucht, aber ihre Anzahl steht in einem ganz andern Verhält-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/426>, abgerufen am 04.06.2024.