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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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riß zur Größe der Bevölkerung und sie befinden sich nicht mehr im Besitz eines
geschlossenen Standes, Den Tausenden, welche Capital suchen, stehen Hunderte
gegenüber, welche Capital anbieten, und um in ruhigem Genuß aber in gei¬
stiger Arbeit zu leben, gern mit einem mäßigen Antheil an dem zufrieden sind,
was andere mit ihrem Gelde verdienen. Daß dieser Antheil aber eine Quote
jenes Gewinns mit Rücksicht auf die größere oder geringere Sicherheit des Dar¬
lehens sei, und nicht ein gesetzliches Maximum, ist billig. Banken und Bankiers
stehen den großen Geschäftsleuten offen, Leihhäuser und Borschnßvcreine geben
den Kleinen Credit, jene gegen sachliche, diese gegen bloße persönliche Sicher¬
heit. Was in den Städten sich schon nach kurzer Zeit so segensreich gezeigt
hat, wird sich in etwas veränderter Form wol auf das Land übertragen lassen,
auf dem der Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirthschaft sich
entweder ganz oder fast ganz vollzogen hat. So stehen die Kräfte des Ca-
pitals und der capitallosen Arbeit sich ziemlich gleich gegenüber und würden
sich ganz gleich stehen, wenn nicht der Arbeit ein Recht versagt wäre, das
dem Capital nicht versagt werden kann- das Recht, gesetzlich für die Ein¬
zelnen gestattete Befugnisse z. B.Arbeitseinstellung auf gemeinsame Ver¬
abredung auszuführen. Mau besorgt, daß hierbei zu leicht ein Zwang der
Unzufriednen auf die Zufriednen und Ruhigen geübt werden, daß die gleich¬
zeitige Unthätigkeit so vieler arbeitsgewohnter Hände leicht zu bedenklichen
Excessen führen könne, und untersagt deshalb bisher auf dem Continent all-
gemein die Strikes. Nothwendig aber sind jene Ungehörigkeiten mit den
Strikes nicht verbunden, wie England zeigt, und deshalb sollte man diese
zwar verhüten, im klebrigen aber dem --"r e^z^i' capitallosen Stande nicht
seine einzig wirksame Waffe gegen ungebührliche Ausbeutung des unbeschränk¬
ten Capitals nehmen.

Unter diesen Voraussetzungen kann dann von Aussaugung einer Classe
durch die andre nicht mehr die Rede sein, sondern höchstens von Ausbeutung
eines Einzelnen durch.den andern Einzelnen, der in der Regel auf derselben
gesellschaftlichen Stufe mit ihm stehen wird. Das zu hindern, wenn es nicht
mit Gewalt oder Betrug geschieht, hat der Staat keine Mittel, und hat sie
in den Wuchergesetzen wahrhaftig nicht gehabt. Es ist geschehen und wird
geschehen, so lange flaue Zeiten, unsichre Hypotheken, Sessionen, Wechsel und
Nothverkänfe sich nicht fortdccretiren lassen, so lange ein gesetzliches Maß von
Edelmuth und Nächstenliebe sich nicht befehlen läßt.

Man kann der heutigen Nationalökonomie wahrhaftig nicht mehr vor¬
werfen, daß sie bei allen Dingen nur frage, wie viel Procente sie bringen.
Sie hat es längst erkannt, daß die Volkswirtschaft ein reicher Organismus
ist. der nur mit einem kerngesunden Volksleben zur vollen Blüte kommt, und
mit ihm vergeht. Aber alles wohl erwogen: wir sind überzeugt, daß die


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riß zur Größe der Bevölkerung und sie befinden sich nicht mehr im Besitz eines
geschlossenen Standes, Den Tausenden, welche Capital suchen, stehen Hunderte
gegenüber, welche Capital anbieten, und um in ruhigem Genuß aber in gei¬
stiger Arbeit zu leben, gern mit einem mäßigen Antheil an dem zufrieden sind,
was andere mit ihrem Gelde verdienen. Daß dieser Antheil aber eine Quote
jenes Gewinns mit Rücksicht auf die größere oder geringere Sicherheit des Dar¬
lehens sei, und nicht ein gesetzliches Maximum, ist billig. Banken und Bankiers
stehen den großen Geschäftsleuten offen, Leihhäuser und Borschnßvcreine geben
den Kleinen Credit, jene gegen sachliche, diese gegen bloße persönliche Sicher¬
heit. Was in den Städten sich schon nach kurzer Zeit so segensreich gezeigt
hat, wird sich in etwas veränderter Form wol auf das Land übertragen lassen,
auf dem der Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirthschaft sich
entweder ganz oder fast ganz vollzogen hat. So stehen die Kräfte des Ca-
pitals und der capitallosen Arbeit sich ziemlich gleich gegenüber und würden
sich ganz gleich stehen, wenn nicht der Arbeit ein Recht versagt wäre, das
dem Capital nicht versagt werden kann- das Recht, gesetzlich für die Ein¬
zelnen gestattete Befugnisse z. B.Arbeitseinstellung auf gemeinsame Ver¬
abredung auszuführen. Mau besorgt, daß hierbei zu leicht ein Zwang der
Unzufriednen auf die Zufriednen und Ruhigen geübt werden, daß die gleich¬
zeitige Unthätigkeit so vieler arbeitsgewohnter Hände leicht zu bedenklichen
Excessen führen könne, und untersagt deshalb bisher auf dem Continent all-
gemein die Strikes. Nothwendig aber sind jene Ungehörigkeiten mit den
Strikes nicht verbunden, wie England zeigt, und deshalb sollte man diese
zwar verhüten, im klebrigen aber dem --«r e^z^i' capitallosen Stande nicht
seine einzig wirksame Waffe gegen ungebührliche Ausbeutung des unbeschränk¬
ten Capitals nehmen.

Unter diesen Voraussetzungen kann dann von Aussaugung einer Classe
durch die andre nicht mehr die Rede sein, sondern höchstens von Ausbeutung
eines Einzelnen durch.den andern Einzelnen, der in der Regel auf derselben
gesellschaftlichen Stufe mit ihm stehen wird. Das zu hindern, wenn es nicht
mit Gewalt oder Betrug geschieht, hat der Staat keine Mittel, und hat sie
in den Wuchergesetzen wahrhaftig nicht gehabt. Es ist geschehen und wird
geschehen, so lange flaue Zeiten, unsichre Hypotheken, Sessionen, Wechsel und
Nothverkänfe sich nicht fortdccretiren lassen, so lange ein gesetzliches Maß von
Edelmuth und Nächstenliebe sich nicht befehlen läßt.

Man kann der heutigen Nationalökonomie wahrhaftig nicht mehr vor¬
werfen, daß sie bei allen Dingen nur frage, wie viel Procente sie bringen.
Sie hat es längst erkannt, daß die Volkswirtschaft ein reicher Organismus
ist. der nur mit einem kerngesunden Volksleben zur vollen Blüte kommt, und
mit ihm vergeht. Aber alles wohl erwogen: wir sind überzeugt, daß die


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[0427] riß zur Größe der Bevölkerung und sie befinden sich nicht mehr im Besitz eines geschlossenen Standes, Den Tausenden, welche Capital suchen, stehen Hunderte gegenüber, welche Capital anbieten, und um in ruhigem Genuß aber in gei¬ stiger Arbeit zu leben, gern mit einem mäßigen Antheil an dem zufrieden sind, was andere mit ihrem Gelde verdienen. Daß dieser Antheil aber eine Quote jenes Gewinns mit Rücksicht auf die größere oder geringere Sicherheit des Dar¬ lehens sei, und nicht ein gesetzliches Maximum, ist billig. Banken und Bankiers stehen den großen Geschäftsleuten offen, Leihhäuser und Borschnßvcreine geben den Kleinen Credit, jene gegen sachliche, diese gegen bloße persönliche Sicher¬ heit. Was in den Städten sich schon nach kurzer Zeit so segensreich gezeigt hat, wird sich in etwas veränderter Form wol auf das Land übertragen lassen, auf dem der Uebergang von der Naturalwirtschaft zur Geldwirthschaft sich entweder ganz oder fast ganz vollzogen hat. So stehen die Kräfte des Ca- pitals und der capitallosen Arbeit sich ziemlich gleich gegenüber und würden sich ganz gleich stehen, wenn nicht der Arbeit ein Recht versagt wäre, das dem Capital nicht versagt werden kann- das Recht, gesetzlich für die Ein¬ zelnen gestattete Befugnisse z. B.Arbeitseinstellung auf gemeinsame Ver¬ abredung auszuführen. Mau besorgt, daß hierbei zu leicht ein Zwang der Unzufriednen auf die Zufriednen und Ruhigen geübt werden, daß die gleich¬ zeitige Unthätigkeit so vieler arbeitsgewohnter Hände leicht zu bedenklichen Excessen führen könne, und untersagt deshalb bisher auf dem Continent all- gemein die Strikes. Nothwendig aber sind jene Ungehörigkeiten mit den Strikes nicht verbunden, wie England zeigt, und deshalb sollte man diese zwar verhüten, im klebrigen aber dem --«r e^z^i' capitallosen Stande nicht seine einzig wirksame Waffe gegen ungebührliche Ausbeutung des unbeschränk¬ ten Capitals nehmen. Unter diesen Voraussetzungen kann dann von Aussaugung einer Classe durch die andre nicht mehr die Rede sein, sondern höchstens von Ausbeutung eines Einzelnen durch.den andern Einzelnen, der in der Regel auf derselben gesellschaftlichen Stufe mit ihm stehen wird. Das zu hindern, wenn es nicht mit Gewalt oder Betrug geschieht, hat der Staat keine Mittel, und hat sie in den Wuchergesetzen wahrhaftig nicht gehabt. Es ist geschehen und wird geschehen, so lange flaue Zeiten, unsichre Hypotheken, Sessionen, Wechsel und Nothverkänfe sich nicht fortdccretiren lassen, so lange ein gesetzliches Maß von Edelmuth und Nächstenliebe sich nicht befehlen läßt. Man kann der heutigen Nationalökonomie wahrhaftig nicht mehr vor¬ werfen, daß sie bei allen Dingen nur frage, wie viel Procente sie bringen. Sie hat es längst erkannt, daß die Volkswirtschaft ein reicher Organismus ist. der nur mit einem kerngesunden Volksleben zur vollen Blüte kommt, und mit ihm vergeht. Aber alles wohl erwogen: wir sind überzeugt, daß die 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/427>, abgerufen am 15.05.2024.