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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Nachhall des Wehrufs um deu ermordeten Osiris, ein Trauerlied auf den
nicht mehr klingenden Memnon. auf das todte .Volk in den Munücngrüften
von Theben und Beni Hassan. Die steinerne Welt der Monumente thaut auf.
die steifen Könige lösen sich von den Wänden, auf denen sie der Meißel ver¬
ewigte, ihre großen Augen blitzen, das Weibrauchgesäß des Priesters, der ihnen
als Göttern räuchert, läßt Wölkchen aus Wölkchen entquellen. Der Harfner
aus dem Grabe Ncnnses des Dritten läßt seine viernndzwanzigsaitige Harfe
erklingen, und vorüberschweben durch den Weihrauchdampf Amun. der Götter¬
vater mit den blauen Federn, seinen königlichen Sohn Sesostris an der Hand.
Hathor. die Liebesgöttin vom Tempel in Denderah. mit Kleopatras Brustbild
von demselben Heiligthum. Isis mit dem Kuhkopf und Thot, der dreimalgroße
Gott mit dein Schakalshaupt. Alle werden nur im Profil sichtbar, wie auf
den Grab- und Tempelwänden, von denen sie herabstiegen. Dazwischen tönt
das übt irn,w sind der ächzenden Sakiah, das unendliche Bntschischgeschrci des
heutigen Geschlechts und taon wieder das Getöse des Triumphzugs Pharao
Sisaks. als er den König von Juda. dessen Bild wir in Knrncck sahen, ge-
fangen nach Theben brachte.

Und die Traumgestalten werden plastischer, greifbarer, die Wirklichkeit drü¬
ben, auf den Ufern, jetzt verklärt, schaut herein in den Kreis der Erinnerungen.
Die Fellahweiber mit'den alterthümlichen Krüger auf den Köpfen verwandeln
sich in Frauen der heiligen Geschichte. Die Männer, die auf den von der
Abendsonne angestrahlten Feldern nach Mekka gekehrt ihr Gebet verrichten,
sind Beter der Urzeit, wo es keine Kirchen und Moscheen gab, Zeitgenossen
Melchisedets und Abrahams. Der Esel, der von einem Mann mit dem Pil¬
gerstab getrieben, eine Araberin und ihren Säugling trägt, mahnt an das
Bild, das wir uns von der Flucht nach Aegypten machten. Der Ziegenhirt,
der aus dem Brnnnenrande sitzt, ist Moses, der- beim Vater Ziporas dient.
Der Leichenzug, der mit seinen Klageweibern aus dem Stadtthor guillt und
sich über die Schutthaufen herab nach dem Begräbnißplatz hinwindet, mag
einen Jüngling von Neun der Mutter entführen. Durch die Palmenhaine aber
gießt die Sonne ein Licht,, von dem sich dies alles wie eine Reihe alter Bilder
von Goldgrund abhebt.

Von der unmittelbaren Gegenwart schweift die Phantasie zurück über
Thebens Trümmerfeld und die einsame Tempelruine von Ombos. nach den Kata¬
rakten von Syene und über die strudelnden, schäumenden Stromschnellen
hinaus nach dem stillen Philä, dem einzigen wirklich anmuthigen Landschafts-
bilde am Nil. der ultima 'I'oris der meisten Reisenden. Das wild zerklüftete
Thal erscheint wieder, dessen dunkelrothe oder bleifarbne Granitfelsen, in rie¬
senhaften Blöcken auf- und durcheinandcrgeschichtet. uns mit Schauer erfüllten.
Der Fluß, hier breit und still wie ein Alpensee. glänzt uns entgegen wie ein


Nachhall des Wehrufs um deu ermordeten Osiris, ein Trauerlied auf den
nicht mehr klingenden Memnon. auf das todte .Volk in den Munücngrüften
von Theben und Beni Hassan. Die steinerne Welt der Monumente thaut auf.
die steifen Könige lösen sich von den Wänden, auf denen sie der Meißel ver¬
ewigte, ihre großen Augen blitzen, das Weibrauchgesäß des Priesters, der ihnen
als Göttern räuchert, läßt Wölkchen aus Wölkchen entquellen. Der Harfner
aus dem Grabe Ncnnses des Dritten läßt seine viernndzwanzigsaitige Harfe
erklingen, und vorüberschweben durch den Weihrauchdampf Amun. der Götter¬
vater mit den blauen Federn, seinen königlichen Sohn Sesostris an der Hand.
Hathor. die Liebesgöttin vom Tempel in Denderah. mit Kleopatras Brustbild
von demselben Heiligthum. Isis mit dem Kuhkopf und Thot, der dreimalgroße
Gott mit dein Schakalshaupt. Alle werden nur im Profil sichtbar, wie auf
den Grab- und Tempelwänden, von denen sie herabstiegen. Dazwischen tönt
das übt irn,w sind der ächzenden Sakiah, das unendliche Bntschischgeschrci des
heutigen Geschlechts und taon wieder das Getöse des Triumphzugs Pharao
Sisaks. als er den König von Juda. dessen Bild wir in Knrncck sahen, ge-
fangen nach Theben brachte.

Und die Traumgestalten werden plastischer, greifbarer, die Wirklichkeit drü¬
ben, auf den Ufern, jetzt verklärt, schaut herein in den Kreis der Erinnerungen.
Die Fellahweiber mit'den alterthümlichen Krüger auf den Köpfen verwandeln
sich in Frauen der heiligen Geschichte. Die Männer, die auf den von der
Abendsonne angestrahlten Feldern nach Mekka gekehrt ihr Gebet verrichten,
sind Beter der Urzeit, wo es keine Kirchen und Moscheen gab, Zeitgenossen
Melchisedets und Abrahams. Der Esel, der von einem Mann mit dem Pil¬
gerstab getrieben, eine Araberin und ihren Säugling trägt, mahnt an das
Bild, das wir uns von der Flucht nach Aegypten machten. Der Ziegenhirt,
der aus dem Brnnnenrande sitzt, ist Moses, der- beim Vater Ziporas dient.
Der Leichenzug, der mit seinen Klageweibern aus dem Stadtthor guillt und
sich über die Schutthaufen herab nach dem Begräbnißplatz hinwindet, mag
einen Jüngling von Neun der Mutter entführen. Durch die Palmenhaine aber
gießt die Sonne ein Licht,, von dem sich dies alles wie eine Reihe alter Bilder
von Goldgrund abhebt.

Von der unmittelbaren Gegenwart schweift die Phantasie zurück über
Thebens Trümmerfeld und die einsame Tempelruine von Ombos. nach den Kata¬
rakten von Syene und über die strudelnden, schäumenden Stromschnellen
hinaus nach dem stillen Philä, dem einzigen wirklich anmuthigen Landschafts-
bilde am Nil. der ultima 'I'oris der meisten Reisenden. Das wild zerklüftete
Thal erscheint wieder, dessen dunkelrothe oder bleifarbne Granitfelsen, in rie¬
senhaften Blöcken auf- und durcheinandcrgeschichtet. uns mit Schauer erfüllten.
Der Fluß, hier breit und still wie ein Alpensee. glänzt uns entgegen wie ein


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[0043] Nachhall des Wehrufs um deu ermordeten Osiris, ein Trauerlied auf den nicht mehr klingenden Memnon. auf das todte .Volk in den Munücngrüften von Theben und Beni Hassan. Die steinerne Welt der Monumente thaut auf. die steifen Könige lösen sich von den Wänden, auf denen sie der Meißel ver¬ ewigte, ihre großen Augen blitzen, das Weibrauchgesäß des Priesters, der ihnen als Göttern räuchert, läßt Wölkchen aus Wölkchen entquellen. Der Harfner aus dem Grabe Ncnnses des Dritten läßt seine viernndzwanzigsaitige Harfe erklingen, und vorüberschweben durch den Weihrauchdampf Amun. der Götter¬ vater mit den blauen Federn, seinen königlichen Sohn Sesostris an der Hand. Hathor. die Liebesgöttin vom Tempel in Denderah. mit Kleopatras Brustbild von demselben Heiligthum. Isis mit dem Kuhkopf und Thot, der dreimalgroße Gott mit dein Schakalshaupt. Alle werden nur im Profil sichtbar, wie auf den Grab- und Tempelwänden, von denen sie herabstiegen. Dazwischen tönt das übt irn,w sind der ächzenden Sakiah, das unendliche Bntschischgeschrci des heutigen Geschlechts und taon wieder das Getöse des Triumphzugs Pharao Sisaks. als er den König von Juda. dessen Bild wir in Knrncck sahen, ge- fangen nach Theben brachte. Und die Traumgestalten werden plastischer, greifbarer, die Wirklichkeit drü¬ ben, auf den Ufern, jetzt verklärt, schaut herein in den Kreis der Erinnerungen. Die Fellahweiber mit'den alterthümlichen Krüger auf den Köpfen verwandeln sich in Frauen der heiligen Geschichte. Die Männer, die auf den von der Abendsonne angestrahlten Feldern nach Mekka gekehrt ihr Gebet verrichten, sind Beter der Urzeit, wo es keine Kirchen und Moscheen gab, Zeitgenossen Melchisedets und Abrahams. Der Esel, der von einem Mann mit dem Pil¬ gerstab getrieben, eine Araberin und ihren Säugling trägt, mahnt an das Bild, das wir uns von der Flucht nach Aegypten machten. Der Ziegenhirt, der aus dem Brnnnenrande sitzt, ist Moses, der- beim Vater Ziporas dient. Der Leichenzug, der mit seinen Klageweibern aus dem Stadtthor guillt und sich über die Schutthaufen herab nach dem Begräbnißplatz hinwindet, mag einen Jüngling von Neun der Mutter entführen. Durch die Palmenhaine aber gießt die Sonne ein Licht,, von dem sich dies alles wie eine Reihe alter Bilder von Goldgrund abhebt. Von der unmittelbaren Gegenwart schweift die Phantasie zurück über Thebens Trümmerfeld und die einsame Tempelruine von Ombos. nach den Kata¬ rakten von Syene und über die strudelnden, schäumenden Stromschnellen hinaus nach dem stillen Philä, dem einzigen wirklich anmuthigen Landschafts- bilde am Nil. der ultima 'I'oris der meisten Reisenden. Das wild zerklüftete Thal erscheint wieder, dessen dunkelrothe oder bleifarbne Granitfelsen, in rie¬ senhaften Blöcken auf- und durcheinandcrgeschichtet. uns mit Schauer erfüllten. Der Fluß, hier breit und still wie ein Alpensee. glänzt uns entgegen wie ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/43>, abgerufen am 15.05.2024.