Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

spiegelt, auch das nicht leicht erregbare Gemüth mit ihrem Zauber bestrickt.
Zuerst ist es uur ein dumpfes, inhaltsloses Brüten, dem des Fakirs gleich, der
nur für das leere Wort Om lebt. Wie der Fakir sich dabei aus die Nasen¬
spitze blickt, so blickt der Chowadschi, aus dem Dach seiner Kajüte sitzend, auf
die Wollen seines Pfeifenkopfs. Dann wird es Heller.und Heller. Die Qual
der Langeweile ist einem Gefühl des Behagens gewichen. Die Sonne des Orients
bescheint ihn, bescheint, wie er setzt ganz inne wird, auch die Landschaft. Das
Behagen wird zur Beschaulichkeit, zu einer innerlichen Schöpfung, und ohne daß
der Träumende sich dessen bewußt wird, ist Saul auch unter den Propheten.

Die Sonne ist das große Mysterium des Morgenlandes. Sie vor allem
ist es, welche jene Magie auf das Leben des Fremden in Aegypten ausströmt.
Er hat die Empfindung, als ob er ihr Licht mit der Luft einathme, eine äthe¬
rische, schwer in Worte ;u fassende Empfindung, ein Vorschmack von Leben
und Weben im ewigen Licht. Man fühlt es warm in den Adern, wie edlen
Wein. Das ganze Körpersystem saugt mit allen Poren Sonnenschein ein.
Man sieht mit andern Augen, hört mit andern Ohren, lebt in einer andern
Welt. Ein warmes, tiefinniges Behagen senkt sich vom Himmel auf das Herz,
füllt es und befruchtet es zu rosenfarbenen stillen Träumen, in welche wie¬
derum Gedanken an die ungeheure Vergangenheit des Landes ihre Schatten
weisen und jene milde Wehmuth erzeugen, die auch in den Bechern und Augen
der Seligen schwimmt.

Die ägyptische Sonne strahlt nicht, da keine Wolken sie stören. Sie scheint.
Sie schießt ihr Licht nicht, sondern gießt es aus. Die Formen der Landschaf¬
ten in unserm Norden heben sich scharf und streng wie Gebilde des Wintern
frohes vom Himmel ab. Die Linien des Morgenlandes und vorzüglich die
der Niloase verschmelzen mit der Bläue droben und miteinander. Die Sonne
ist die Vermittlerin, sie trennt nicht, sondern vermählt die einzelnen Schön¬
heiten des Gemäldes. Und in derselben Weise wirkt sie auf das Gemüth.
Stimmungen, unbestimmte Empfindungen, bunte Schemen drängen sich an die
Stelle der Gedanken, eine Fata Morgana gaukelt mit tausend und tausend
Bildern, schwankend, flackernd, verfließend, sich umgestaltend und wieder zer¬
gehend über dem Spiegel der Seele -- es ist, als ob auch unser Leibliches
zerfließen wollte, um mitzukreisen und mitzuschwebcn in dem Neigen der gött¬
lichen Phantasien.

Altes und Neues, Kleinliches und Erhabenes geht an uns vorüber im
bunten Wechsel. Wir verstehen das Flüstern des Stromes am Bug der Da-
habiel). Er murmelt von dem Geheimniß seiner Quelle, von dem niegesehenen
Mondgebirge tief im Binnenlande, und er gedenkt der Tage, wo er einer
von den vier Flüssen des Paradieses war. Wir fühlen die Bedeutung des
leisen Stöhnens der Sakiahs; es ist die Tradition der alten Linosklage, ein


spiegelt, auch das nicht leicht erregbare Gemüth mit ihrem Zauber bestrickt.
Zuerst ist es uur ein dumpfes, inhaltsloses Brüten, dem des Fakirs gleich, der
nur für das leere Wort Om lebt. Wie der Fakir sich dabei aus die Nasen¬
spitze blickt, so blickt der Chowadschi, aus dem Dach seiner Kajüte sitzend, auf
die Wollen seines Pfeifenkopfs. Dann wird es Heller.und Heller. Die Qual
der Langeweile ist einem Gefühl des Behagens gewichen. Die Sonne des Orients
bescheint ihn, bescheint, wie er setzt ganz inne wird, auch die Landschaft. Das
Behagen wird zur Beschaulichkeit, zu einer innerlichen Schöpfung, und ohne daß
der Träumende sich dessen bewußt wird, ist Saul auch unter den Propheten.

Die Sonne ist das große Mysterium des Morgenlandes. Sie vor allem
ist es, welche jene Magie auf das Leben des Fremden in Aegypten ausströmt.
Er hat die Empfindung, als ob er ihr Licht mit der Luft einathme, eine äthe¬
rische, schwer in Worte ;u fassende Empfindung, ein Vorschmack von Leben
und Weben im ewigen Licht. Man fühlt es warm in den Adern, wie edlen
Wein. Das ganze Körpersystem saugt mit allen Poren Sonnenschein ein.
Man sieht mit andern Augen, hört mit andern Ohren, lebt in einer andern
Welt. Ein warmes, tiefinniges Behagen senkt sich vom Himmel auf das Herz,
füllt es und befruchtet es zu rosenfarbenen stillen Träumen, in welche wie¬
derum Gedanken an die ungeheure Vergangenheit des Landes ihre Schatten
weisen und jene milde Wehmuth erzeugen, die auch in den Bechern und Augen
der Seligen schwimmt.

Die ägyptische Sonne strahlt nicht, da keine Wolken sie stören. Sie scheint.
Sie schießt ihr Licht nicht, sondern gießt es aus. Die Formen der Landschaf¬
ten in unserm Norden heben sich scharf und streng wie Gebilde des Wintern
frohes vom Himmel ab. Die Linien des Morgenlandes und vorzüglich die
der Niloase verschmelzen mit der Bläue droben und miteinander. Die Sonne
ist die Vermittlerin, sie trennt nicht, sondern vermählt die einzelnen Schön¬
heiten des Gemäldes. Und in derselben Weise wirkt sie auf das Gemüth.
Stimmungen, unbestimmte Empfindungen, bunte Schemen drängen sich an die
Stelle der Gedanken, eine Fata Morgana gaukelt mit tausend und tausend
Bildern, schwankend, flackernd, verfließend, sich umgestaltend und wieder zer¬
gehend über dem Spiegel der Seele — es ist, als ob auch unser Leibliches
zerfließen wollte, um mitzukreisen und mitzuschwebcn in dem Neigen der gött¬
lichen Phantasien.

Altes und Neues, Kleinliches und Erhabenes geht an uns vorüber im
bunten Wechsel. Wir verstehen das Flüstern des Stromes am Bug der Da-
habiel). Er murmelt von dem Geheimniß seiner Quelle, von dem niegesehenen
Mondgebirge tief im Binnenlande, und er gedenkt der Tage, wo er einer
von den vier Flüssen des Paradieses war. Wir fühlen die Bedeutung des
leisen Stöhnens der Sakiahs; es ist die Tradition der alten Linosklage, ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105319"/>
          <p xml:id="ID_88" prev="#ID_87"> spiegelt, auch das nicht leicht erregbare Gemüth mit ihrem Zauber bestrickt.<lb/>
Zuerst ist es uur ein dumpfes, inhaltsloses Brüten, dem des Fakirs gleich, der<lb/>
nur für das leere Wort Om lebt. Wie der Fakir sich dabei aus die Nasen¬<lb/>
spitze blickt, so blickt der Chowadschi, aus dem Dach seiner Kajüte sitzend, auf<lb/>
die Wollen seines Pfeifenkopfs. Dann wird es Heller.und Heller. Die Qual<lb/>
der Langeweile ist einem Gefühl des Behagens gewichen. Die Sonne des Orients<lb/>
bescheint ihn, bescheint, wie er setzt ganz inne wird, auch die Landschaft. Das<lb/>
Behagen wird zur Beschaulichkeit, zu einer innerlichen Schöpfung, und ohne daß<lb/>
der Träumende sich dessen bewußt wird, ist Saul auch unter den Propheten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_89"> Die Sonne ist das große Mysterium des Morgenlandes. Sie vor allem<lb/>
ist es, welche jene Magie auf das Leben des Fremden in Aegypten ausströmt.<lb/>
Er hat die Empfindung, als ob er ihr Licht mit der Luft einathme, eine äthe¬<lb/>
rische, schwer in Worte ;u fassende Empfindung, ein Vorschmack von Leben<lb/>
und Weben im ewigen Licht. Man fühlt es warm in den Adern, wie edlen<lb/>
Wein. Das ganze Körpersystem saugt mit allen Poren Sonnenschein ein.<lb/>
Man sieht mit andern Augen, hört mit andern Ohren, lebt in einer andern<lb/>
Welt. Ein warmes, tiefinniges Behagen senkt sich vom Himmel auf das Herz,<lb/>
füllt es und befruchtet es zu rosenfarbenen stillen Träumen, in welche wie¬<lb/>
derum Gedanken an die ungeheure Vergangenheit des Landes ihre Schatten<lb/>
weisen und jene milde Wehmuth erzeugen, die auch in den Bechern und Augen<lb/>
der Seligen schwimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Die ägyptische Sonne strahlt nicht, da keine Wolken sie stören. Sie scheint.<lb/>
Sie schießt ihr Licht nicht, sondern gießt es aus. Die Formen der Landschaf¬<lb/>
ten in unserm Norden heben sich scharf und streng wie Gebilde des Wintern<lb/>
frohes vom Himmel ab. Die Linien des Morgenlandes und vorzüglich die<lb/>
der Niloase verschmelzen mit der Bläue droben und miteinander. Die Sonne<lb/>
ist die Vermittlerin, sie trennt nicht, sondern vermählt die einzelnen Schön¬<lb/>
heiten des Gemäldes. Und in derselben Weise wirkt sie auf das Gemüth.<lb/>
Stimmungen, unbestimmte Empfindungen, bunte Schemen drängen sich an die<lb/>
Stelle der Gedanken, eine Fata Morgana gaukelt mit tausend und tausend<lb/>
Bildern, schwankend, flackernd, verfließend, sich umgestaltend und wieder zer¬<lb/>
gehend über dem Spiegel der Seele &#x2014; es ist, als ob auch unser Leibliches<lb/>
zerfließen wollte, um mitzukreisen und mitzuschwebcn in dem Neigen der gött¬<lb/>
lichen Phantasien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Altes und Neues, Kleinliches und Erhabenes geht an uns vorüber im<lb/>
bunten Wechsel. Wir verstehen das Flüstern des Stromes am Bug der Da-<lb/>
habiel). Er murmelt von dem Geheimniß seiner Quelle, von dem niegesehenen<lb/>
Mondgebirge tief im Binnenlande, und er gedenkt der Tage, wo er einer<lb/>
von den vier Flüssen des Paradieses war. Wir fühlen die Bedeutung des<lb/>
leisen Stöhnens der Sakiahs; es ist die Tradition der alten Linosklage, ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] spiegelt, auch das nicht leicht erregbare Gemüth mit ihrem Zauber bestrickt. Zuerst ist es uur ein dumpfes, inhaltsloses Brüten, dem des Fakirs gleich, der nur für das leere Wort Om lebt. Wie der Fakir sich dabei aus die Nasen¬ spitze blickt, so blickt der Chowadschi, aus dem Dach seiner Kajüte sitzend, auf die Wollen seines Pfeifenkopfs. Dann wird es Heller.und Heller. Die Qual der Langeweile ist einem Gefühl des Behagens gewichen. Die Sonne des Orients bescheint ihn, bescheint, wie er setzt ganz inne wird, auch die Landschaft. Das Behagen wird zur Beschaulichkeit, zu einer innerlichen Schöpfung, und ohne daß der Träumende sich dessen bewußt wird, ist Saul auch unter den Propheten. Die Sonne ist das große Mysterium des Morgenlandes. Sie vor allem ist es, welche jene Magie auf das Leben des Fremden in Aegypten ausströmt. Er hat die Empfindung, als ob er ihr Licht mit der Luft einathme, eine äthe¬ rische, schwer in Worte ;u fassende Empfindung, ein Vorschmack von Leben und Weben im ewigen Licht. Man fühlt es warm in den Adern, wie edlen Wein. Das ganze Körpersystem saugt mit allen Poren Sonnenschein ein. Man sieht mit andern Augen, hört mit andern Ohren, lebt in einer andern Welt. Ein warmes, tiefinniges Behagen senkt sich vom Himmel auf das Herz, füllt es und befruchtet es zu rosenfarbenen stillen Träumen, in welche wie¬ derum Gedanken an die ungeheure Vergangenheit des Landes ihre Schatten weisen und jene milde Wehmuth erzeugen, die auch in den Bechern und Augen der Seligen schwimmt. Die ägyptische Sonne strahlt nicht, da keine Wolken sie stören. Sie scheint. Sie schießt ihr Licht nicht, sondern gießt es aus. Die Formen der Landschaf¬ ten in unserm Norden heben sich scharf und streng wie Gebilde des Wintern frohes vom Himmel ab. Die Linien des Morgenlandes und vorzüglich die der Niloase verschmelzen mit der Bläue droben und miteinander. Die Sonne ist die Vermittlerin, sie trennt nicht, sondern vermählt die einzelnen Schön¬ heiten des Gemäldes. Und in derselben Weise wirkt sie auf das Gemüth. Stimmungen, unbestimmte Empfindungen, bunte Schemen drängen sich an die Stelle der Gedanken, eine Fata Morgana gaukelt mit tausend und tausend Bildern, schwankend, flackernd, verfließend, sich umgestaltend und wieder zer¬ gehend über dem Spiegel der Seele — es ist, als ob auch unser Leibliches zerfließen wollte, um mitzukreisen und mitzuschwebcn in dem Neigen der gött¬ lichen Phantasien. Altes und Neues, Kleinliches und Erhabenes geht an uns vorüber im bunten Wechsel. Wir verstehen das Flüstern des Stromes am Bug der Da- habiel). Er murmelt von dem Geheimniß seiner Quelle, von dem niegesehenen Mondgebirge tief im Binnenlande, und er gedenkt der Tage, wo er einer von den vier Flüssen des Paradieses war. Wir fühlen die Bedeutung des leisen Stöhnens der Sakiahs; es ist die Tradition der alten Linosklage, ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/42>, abgerufen am 15.05.2024.