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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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abhängig von freier Communication mit derSccküste; durch die Pässe und sel¬
tenen Thaleinschnitte der steilen dalmatischen Gebirge drangen schon in der
Römerzeit italische Kaufleute und römische Heerschaaren in die isolirte Land¬
schaft ein. Oestreich hat ein starkes Interesse, die Bildung eines selbststän-
digen Staates im Süden der Donau zu verhindern und ein noch grö¬
ßeres, die fruchtbaren Thäler für sich zu erwerben. Eine Vergrößerung
Oestreichs in diesen Landschaften aber liegt auch im deutschen Interesse.
Zunächst weil eine entsprechende Vergrößerung Pre-ußens die politische
Folge sein müßte, ferner aber, weil jeder Fortschritt Oestreichs in diesen
Landschaften ein wesentlicher Fortschritt deutscher Intelligenz und Kraft
fein würde.

Aus alle dem ergeben sich folgende Möglichkeiten für die Entwickelung
der Südslavenländer in der nächsten Zukunft. Entweder erwirbt Oestreich
bei der großen Auftheilung der Türkei, welche uns unvermeidlich scheint, die
Thäler der Narenta und die böhmischen Hügellandschaften für sich. In die¬
sem Fall wird Serbien schwerlich den Druck aushalte", welcher durch den
großen Nachbarstaat von zwei Seiten auf sein Territorium ausgeübt wird,
und in diesem Fall wird die Zukunft der Südslavenländer die sein, im
Schatten des östreichischen Doppeladlers deutsche Cultur zu erwerben. Ein
Schicksal, welches wir um so weniger für ein Unglück hakten, da schon jetzt
Mvntenegnner und Serben ihre politischen Abhandlungen deutsch zu schreiben
genöthigt sind, wenn sie auch nur vou deu Gebildeten anderer Slavenstämme
gelesen sein wollen. Dies Schicksal aber wird den Serbenländern werden,
falls Oestreich nicht mit Consequenz eine Politik verfolgt, welche den Staat
isolirt. Sollte sich aber die Türkei unter Verhältnissen auflösen, welche für
Oestreich im höchste" Grade nachtheilig wären, so ist Serbien die Möglich¬
keit gegeben, als selbstständiger Staat Bosnien, die Herzegowina, und
Bulgarien an sich zu ziehen. Und in diesem Fall würde ein Slavenreich
von etwa fünf Millionen Menschen die Landbauer von den schwarzen Bergen
bis zum schwarzen Meer umspannen. Das ist zwar nicht wahrscheinlich, aber
es ist nicht unmöglich.

Ein serbischer Politiker nun, der in die Zukunft seines Vaterlandes hinein¬
denkt, kann ans diese letzten Möglichkeiten keinen directen Einfluß ausüben.
Wol aber kann er dazu beitragen, sein Vaterland tüchtig und geachtet zu
machen. Die letzte elende Senatsvcrschwörung war nicht angethan, ein Helles
Bild von den Culturzuständcn Serbiens zu geben. Wir freuen uns, daß
dein vorliegenden Buch' gelingen wird, freundlichere Ansichten über Leben und
Bildung im Süden Belgrads zu verbreiten.

Wer aber irgend welchen Einfluß auf Serbiens Politik ausübt, der
sollte -- so meinen wir -- alles daran setzen, dem gegenwärtigen Fürsten


abhängig von freier Communication mit derSccküste; durch die Pässe und sel¬
tenen Thaleinschnitte der steilen dalmatischen Gebirge drangen schon in der
Römerzeit italische Kaufleute und römische Heerschaaren in die isolirte Land¬
schaft ein. Oestreich hat ein starkes Interesse, die Bildung eines selbststän-
digen Staates im Süden der Donau zu verhindern und ein noch grö¬
ßeres, die fruchtbaren Thäler für sich zu erwerben. Eine Vergrößerung
Oestreichs in diesen Landschaften aber liegt auch im deutschen Interesse.
Zunächst weil eine entsprechende Vergrößerung Pre-ußens die politische
Folge sein müßte, ferner aber, weil jeder Fortschritt Oestreichs in diesen
Landschaften ein wesentlicher Fortschritt deutscher Intelligenz und Kraft
fein würde.

Aus alle dem ergeben sich folgende Möglichkeiten für die Entwickelung
der Südslavenländer in der nächsten Zukunft. Entweder erwirbt Oestreich
bei der großen Auftheilung der Türkei, welche uns unvermeidlich scheint, die
Thäler der Narenta und die böhmischen Hügellandschaften für sich. In die¬
sem Fall wird Serbien schwerlich den Druck aushalte», welcher durch den
großen Nachbarstaat von zwei Seiten auf sein Territorium ausgeübt wird,
und in diesem Fall wird die Zukunft der Südslavenländer die sein, im
Schatten des östreichischen Doppeladlers deutsche Cultur zu erwerben. Ein
Schicksal, welches wir um so weniger für ein Unglück hakten, da schon jetzt
Mvntenegnner und Serben ihre politischen Abhandlungen deutsch zu schreiben
genöthigt sind, wenn sie auch nur vou deu Gebildeten anderer Slavenstämme
gelesen sein wollen. Dies Schicksal aber wird den Serbenländern werden,
falls Oestreich nicht mit Consequenz eine Politik verfolgt, welche den Staat
isolirt. Sollte sich aber die Türkei unter Verhältnissen auflösen, welche für
Oestreich im höchste» Grade nachtheilig wären, so ist Serbien die Möglich¬
keit gegeben, als selbstständiger Staat Bosnien, die Herzegowina, und
Bulgarien an sich zu ziehen. Und in diesem Fall würde ein Slavenreich
von etwa fünf Millionen Menschen die Landbauer von den schwarzen Bergen
bis zum schwarzen Meer umspannen. Das ist zwar nicht wahrscheinlich, aber
es ist nicht unmöglich.

Ein serbischer Politiker nun, der in die Zukunft seines Vaterlandes hinein¬
denkt, kann ans diese letzten Möglichkeiten keinen directen Einfluß ausüben.
Wol aber kann er dazu beitragen, sein Vaterland tüchtig und geachtet zu
machen. Die letzte elende Senatsvcrschwörung war nicht angethan, ein Helles
Bild von den Culturzuständcn Serbiens zu geben. Wir freuen uns, daß
dein vorliegenden Buch' gelingen wird, freundlichere Ansichten über Leben und
Bildung im Süden Belgrads zu verbreiten.

Wer aber irgend welchen Einfluß auf Serbiens Politik ausübt, der
sollte — so meinen wir — alles daran setzen, dem gegenwärtigen Fürsten


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[0432] abhängig von freier Communication mit derSccküste; durch die Pässe und sel¬ tenen Thaleinschnitte der steilen dalmatischen Gebirge drangen schon in der Römerzeit italische Kaufleute und römische Heerschaaren in die isolirte Land¬ schaft ein. Oestreich hat ein starkes Interesse, die Bildung eines selbststän- digen Staates im Süden der Donau zu verhindern und ein noch grö¬ ßeres, die fruchtbaren Thäler für sich zu erwerben. Eine Vergrößerung Oestreichs in diesen Landschaften aber liegt auch im deutschen Interesse. Zunächst weil eine entsprechende Vergrößerung Pre-ußens die politische Folge sein müßte, ferner aber, weil jeder Fortschritt Oestreichs in diesen Landschaften ein wesentlicher Fortschritt deutscher Intelligenz und Kraft fein würde. Aus alle dem ergeben sich folgende Möglichkeiten für die Entwickelung der Südslavenländer in der nächsten Zukunft. Entweder erwirbt Oestreich bei der großen Auftheilung der Türkei, welche uns unvermeidlich scheint, die Thäler der Narenta und die böhmischen Hügellandschaften für sich. In die¬ sem Fall wird Serbien schwerlich den Druck aushalte», welcher durch den großen Nachbarstaat von zwei Seiten auf sein Territorium ausgeübt wird, und in diesem Fall wird die Zukunft der Südslavenländer die sein, im Schatten des östreichischen Doppeladlers deutsche Cultur zu erwerben. Ein Schicksal, welches wir um so weniger für ein Unglück hakten, da schon jetzt Mvntenegnner und Serben ihre politischen Abhandlungen deutsch zu schreiben genöthigt sind, wenn sie auch nur vou deu Gebildeten anderer Slavenstämme gelesen sein wollen. Dies Schicksal aber wird den Serbenländern werden, falls Oestreich nicht mit Consequenz eine Politik verfolgt, welche den Staat isolirt. Sollte sich aber die Türkei unter Verhältnissen auflösen, welche für Oestreich im höchste» Grade nachtheilig wären, so ist Serbien die Möglich¬ keit gegeben, als selbstständiger Staat Bosnien, die Herzegowina, und Bulgarien an sich zu ziehen. Und in diesem Fall würde ein Slavenreich von etwa fünf Millionen Menschen die Landbauer von den schwarzen Bergen bis zum schwarzen Meer umspannen. Das ist zwar nicht wahrscheinlich, aber es ist nicht unmöglich. Ein serbischer Politiker nun, der in die Zukunft seines Vaterlandes hinein¬ denkt, kann ans diese letzten Möglichkeiten keinen directen Einfluß ausüben. Wol aber kann er dazu beitragen, sein Vaterland tüchtig und geachtet zu machen. Die letzte elende Senatsvcrschwörung war nicht angethan, ein Helles Bild von den Culturzuständcn Serbiens zu geben. Wir freuen uns, daß dein vorliegenden Buch' gelingen wird, freundlichere Ansichten über Leben und Bildung im Süden Belgrads zu verbreiten. Wer aber irgend welchen Einfluß auf Serbiens Politik ausübt, der sollte — so meinen wir — alles daran setzen, dem gegenwärtigen Fürsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/432>, abgerufen am 13.05.2024.