Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Noch schlimmer ist dies bei den sogenannten Hassitten oder Altgläubigen
einer Sekte, die in Erfüllung ihrer religiösen Pflichten noch strenger ist und
beim Gebet aus vollem Halse schreit. Das Morgengebet nimmt gewöhnlich
eine Stunde, bisweilen mehr in Anspruch; vor Verrichtung desselben dürfen
sie noch nichts genossen haben. Die übrigen Gebete werden mit Ausnahme
des sür den Abend vorgeschriebenen im Hause verrichtet.

Wenn sich die Juden gewaschen haben, sagen sie während des Abtrock-
nens ein kurzes Gebet, ebenso vor dem Essen. Abends, d. i. bei Sonnen¬
untergang, versammeln sie sich wieder in der Schule und verhalten sich grade
so wie am Morgen. Die Frauen sind diesen Ceremonien nicht unterworfen
und gehen nur an einigen großen Festtagen im Jahre in die Synagoge,
und dann sind sie von den Männern getrennt in einem besondern Raume
für sich. Unverheirathete Mädchen sind auch davon ausgeschlossen. Trotzdem
daß der Talmud und alle übrigen Gebetbücher in hebräischer Sprache geschrie¬
ben sind, verstehen doch nur wenige dieselbe. Ihre gewöhnliche Umgangs¬
sprache ist ein verdorbenes Deutsch, vermischt mit vielen hebräischen Wörtern.
Beim Schreiben bedienen sie sich der hebräischen Buchstaben und so mangel¬
haft ihre sonstige Schulbildung ist, so versteht doch jeder Jude wenigstens
hebräisch zu lesen und zu schreiben.

Mit großer Gewissenhaftigkeit feiern sie ihre vielen Feste. Der Sabbath,
oder, wie er gewöhnlich genannt wird, der Schabbeß, beginnt am Freitag
Abend mit Aufgang des Abendsternes und dauert bis Sonnabend Abend um
dieselbe Zeit. Gleich zu Anfang des Schabbeß begeben sich die Männer in die
Schule und verbleiben dort im Gebet mehr als eine Stunde. ' Während die¬
ser Zeit werden zu Hause der Kronleuchter, den auch der Aermste in seiner Stube
hängen hat, und verschiedene andere Wand- und Armleuchter angezündet, so
daß die von Juden bewohnten Stadttheile in den ersten Stunden der Nacht
des Freitags den Eindruck einer Illumination machen.

Die Kost ist an diesem Tage reichlich und gut und b>-steht vorzüglich in
Fischspeisen. -- Der Schabbeßabend wird stets in der Familie verlebt, keines¬
wegs aber zu Besuche" von Verwandten oder öffentlichen Orte" benutzt, über¬
haupt wird der Schabbeß in der größten Unthäti'gkeit zugebracht, und selbst die
unbedeutendsten Beschäftigungen müssen unterbleiben. Ein Jude darf während
des Schabbeß weder Feuer noch Licht anzünden oder auslöschen, deswegen
werden die Lichter stets kurz vor Beginn des Schabbeß angebrannt, und bren¬
nen dann so lange, bis sie von selbst verlöschen. Rauche" ist nicht erlaubt.
Schreiben, lesen, Briefe öffnen, Geld in die Hand nehmen, über Laud gehen
oder fahren ebenfalls nicht.. Auch gekocht kaun nicht werden, deshalb müssen
den Tag vorher schon die Speisen bereitet sein, und dann entweder kalt oder
aufgewärmt genossen werden. Statt des Brotes werden am Schabbeß soge-


Noch schlimmer ist dies bei den sogenannten Hassitten oder Altgläubigen
einer Sekte, die in Erfüllung ihrer religiösen Pflichten noch strenger ist und
beim Gebet aus vollem Halse schreit. Das Morgengebet nimmt gewöhnlich
eine Stunde, bisweilen mehr in Anspruch; vor Verrichtung desselben dürfen
sie noch nichts genossen haben. Die übrigen Gebete werden mit Ausnahme
des sür den Abend vorgeschriebenen im Hause verrichtet.

Wenn sich die Juden gewaschen haben, sagen sie während des Abtrock-
nens ein kurzes Gebet, ebenso vor dem Essen. Abends, d. i. bei Sonnen¬
untergang, versammeln sie sich wieder in der Schule und verhalten sich grade
so wie am Morgen. Die Frauen sind diesen Ceremonien nicht unterworfen
und gehen nur an einigen großen Festtagen im Jahre in die Synagoge,
und dann sind sie von den Männern getrennt in einem besondern Raume
für sich. Unverheirathete Mädchen sind auch davon ausgeschlossen. Trotzdem
daß der Talmud und alle übrigen Gebetbücher in hebräischer Sprache geschrie¬
ben sind, verstehen doch nur wenige dieselbe. Ihre gewöhnliche Umgangs¬
sprache ist ein verdorbenes Deutsch, vermischt mit vielen hebräischen Wörtern.
Beim Schreiben bedienen sie sich der hebräischen Buchstaben und so mangel¬
haft ihre sonstige Schulbildung ist, so versteht doch jeder Jude wenigstens
hebräisch zu lesen und zu schreiben.

Mit großer Gewissenhaftigkeit feiern sie ihre vielen Feste. Der Sabbath,
oder, wie er gewöhnlich genannt wird, der Schabbeß, beginnt am Freitag
Abend mit Aufgang des Abendsternes und dauert bis Sonnabend Abend um
dieselbe Zeit. Gleich zu Anfang des Schabbeß begeben sich die Männer in die
Schule und verbleiben dort im Gebet mehr als eine Stunde. ' Während die¬
ser Zeit werden zu Hause der Kronleuchter, den auch der Aermste in seiner Stube
hängen hat, und verschiedene andere Wand- und Armleuchter angezündet, so
daß die von Juden bewohnten Stadttheile in den ersten Stunden der Nacht
des Freitags den Eindruck einer Illumination machen.

Die Kost ist an diesem Tage reichlich und gut und b>-steht vorzüglich in
Fischspeisen. — Der Schabbeßabend wird stets in der Familie verlebt, keines¬
wegs aber zu Besuche» von Verwandten oder öffentlichen Orte» benutzt, über¬
haupt wird der Schabbeß in der größten Unthäti'gkeit zugebracht, und selbst die
unbedeutendsten Beschäftigungen müssen unterbleiben. Ein Jude darf während
des Schabbeß weder Feuer noch Licht anzünden oder auslöschen, deswegen
werden die Lichter stets kurz vor Beginn des Schabbeß angebrannt, und bren¬
nen dann so lange, bis sie von selbst verlöschen. Rauche» ist nicht erlaubt.
Schreiben, lesen, Briefe öffnen, Geld in die Hand nehmen, über Laud gehen
oder fahren ebenfalls nicht.. Auch gekocht kaun nicht werden, deshalb müssen
den Tag vorher schon die Speisen bereitet sein, und dann entweder kalt oder
aufgewärmt genossen werden. Statt des Brotes werden am Schabbeß soge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105715"/>
          <p xml:id="ID_1134"> Noch schlimmer ist dies bei den sogenannten Hassitten oder Altgläubigen<lb/>
einer Sekte, die in Erfüllung ihrer religiösen Pflichten noch strenger ist und<lb/>
beim Gebet aus vollem Halse schreit. Das Morgengebet nimmt gewöhnlich<lb/>
eine Stunde, bisweilen mehr in Anspruch; vor Verrichtung desselben dürfen<lb/>
sie noch nichts genossen haben. Die übrigen Gebete werden mit Ausnahme<lb/>
des sür den Abend vorgeschriebenen im Hause verrichtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1135"> Wenn sich die Juden gewaschen haben, sagen sie während des Abtrock-<lb/>
nens ein kurzes Gebet, ebenso vor dem Essen. Abends, d. i. bei Sonnen¬<lb/>
untergang, versammeln sie sich wieder in der Schule und verhalten sich grade<lb/>
so wie am Morgen. Die Frauen sind diesen Ceremonien nicht unterworfen<lb/>
und gehen nur an einigen großen Festtagen im Jahre in die Synagoge,<lb/>
und dann sind sie von den Männern getrennt in einem besondern Raume<lb/>
für sich. Unverheirathete Mädchen sind auch davon ausgeschlossen. Trotzdem<lb/>
daß der Talmud und alle übrigen Gebetbücher in hebräischer Sprache geschrie¬<lb/>
ben sind, verstehen doch nur wenige dieselbe. Ihre gewöhnliche Umgangs¬<lb/>
sprache ist ein verdorbenes Deutsch, vermischt mit vielen hebräischen Wörtern.<lb/>
Beim Schreiben bedienen sie sich der hebräischen Buchstaben und so mangel¬<lb/>
haft ihre sonstige Schulbildung ist, so versteht doch jeder Jude wenigstens<lb/>
hebräisch zu lesen und zu schreiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1136"> Mit großer Gewissenhaftigkeit feiern sie ihre vielen Feste. Der Sabbath,<lb/>
oder, wie er gewöhnlich genannt wird, der Schabbeß, beginnt am Freitag<lb/>
Abend mit Aufgang des Abendsternes und dauert bis Sonnabend Abend um<lb/>
dieselbe Zeit. Gleich zu Anfang des Schabbeß begeben sich die Männer in die<lb/>
Schule und verbleiben dort im Gebet mehr als eine Stunde. ' Während die¬<lb/>
ser Zeit werden zu Hause der Kronleuchter, den auch der Aermste in seiner Stube<lb/>
hängen hat, und verschiedene andere Wand- und Armleuchter angezündet, so<lb/>
daß die von Juden bewohnten Stadttheile in den ersten Stunden der Nacht<lb/>
des Freitags den Eindruck einer Illumination machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1137" next="#ID_1138"> Die Kost ist an diesem Tage reichlich und gut und b&gt;-steht vorzüglich in<lb/>
Fischspeisen. &#x2014; Der Schabbeßabend wird stets in der Familie verlebt, keines¬<lb/>
wegs aber zu Besuche» von Verwandten oder öffentlichen Orte» benutzt, über¬<lb/>
haupt wird der Schabbeß in der größten Unthäti'gkeit zugebracht, und selbst die<lb/>
unbedeutendsten Beschäftigungen müssen unterbleiben. Ein Jude darf während<lb/>
des Schabbeß weder Feuer noch Licht anzünden oder auslöschen, deswegen<lb/>
werden die Lichter stets kurz vor Beginn des Schabbeß angebrannt, und bren¬<lb/>
nen dann so lange, bis sie von selbst verlöschen. Rauche» ist nicht erlaubt.<lb/>
Schreiben, lesen, Briefe öffnen, Geld in die Hand nehmen, über Laud gehen<lb/>
oder fahren ebenfalls nicht.. Auch gekocht kaun nicht werden, deshalb müssen<lb/>
den Tag vorher schon die Speisen bereitet sein, und dann entweder kalt oder<lb/>
aufgewärmt genossen werden. Statt des Brotes werden am Schabbeß soge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] Noch schlimmer ist dies bei den sogenannten Hassitten oder Altgläubigen einer Sekte, die in Erfüllung ihrer religiösen Pflichten noch strenger ist und beim Gebet aus vollem Halse schreit. Das Morgengebet nimmt gewöhnlich eine Stunde, bisweilen mehr in Anspruch; vor Verrichtung desselben dürfen sie noch nichts genossen haben. Die übrigen Gebete werden mit Ausnahme des sür den Abend vorgeschriebenen im Hause verrichtet. Wenn sich die Juden gewaschen haben, sagen sie während des Abtrock- nens ein kurzes Gebet, ebenso vor dem Essen. Abends, d. i. bei Sonnen¬ untergang, versammeln sie sich wieder in der Schule und verhalten sich grade so wie am Morgen. Die Frauen sind diesen Ceremonien nicht unterworfen und gehen nur an einigen großen Festtagen im Jahre in die Synagoge, und dann sind sie von den Männern getrennt in einem besondern Raume für sich. Unverheirathete Mädchen sind auch davon ausgeschlossen. Trotzdem daß der Talmud und alle übrigen Gebetbücher in hebräischer Sprache geschrie¬ ben sind, verstehen doch nur wenige dieselbe. Ihre gewöhnliche Umgangs¬ sprache ist ein verdorbenes Deutsch, vermischt mit vielen hebräischen Wörtern. Beim Schreiben bedienen sie sich der hebräischen Buchstaben und so mangel¬ haft ihre sonstige Schulbildung ist, so versteht doch jeder Jude wenigstens hebräisch zu lesen und zu schreiben. Mit großer Gewissenhaftigkeit feiern sie ihre vielen Feste. Der Sabbath, oder, wie er gewöhnlich genannt wird, der Schabbeß, beginnt am Freitag Abend mit Aufgang des Abendsternes und dauert bis Sonnabend Abend um dieselbe Zeit. Gleich zu Anfang des Schabbeß begeben sich die Männer in die Schule und verbleiben dort im Gebet mehr als eine Stunde. ' Während die¬ ser Zeit werden zu Hause der Kronleuchter, den auch der Aermste in seiner Stube hängen hat, und verschiedene andere Wand- und Armleuchter angezündet, so daß die von Juden bewohnten Stadttheile in den ersten Stunden der Nacht des Freitags den Eindruck einer Illumination machen. Die Kost ist an diesem Tage reichlich und gut und b>-steht vorzüglich in Fischspeisen. — Der Schabbeßabend wird stets in der Familie verlebt, keines¬ wegs aber zu Besuche» von Verwandten oder öffentlichen Orte» benutzt, über¬ haupt wird der Schabbeß in der größten Unthäti'gkeit zugebracht, und selbst die unbedeutendsten Beschäftigungen müssen unterbleiben. Ein Jude darf während des Schabbeß weder Feuer noch Licht anzünden oder auslöschen, deswegen werden die Lichter stets kurz vor Beginn des Schabbeß angebrannt, und bren¬ nen dann so lange, bis sie von selbst verlöschen. Rauche» ist nicht erlaubt. Schreiben, lesen, Briefe öffnen, Geld in die Hand nehmen, über Laud gehen oder fahren ebenfalls nicht.. Auch gekocht kaun nicht werden, deshalb müssen den Tag vorher schon die Speisen bereitet sein, und dann entweder kalt oder aufgewärmt genossen werden. Statt des Brotes werden am Schabbeß soge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/438>, abgerufen am 14.05.2024.