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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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nannte Strilzel gegessen, die in Form unsern Weihnachtsstollen gleichen, indeß
der Rosinen und Mandeln entbehren. Außer Gebetbüchern dürfen die Juden
am Schabbcß nichts bei sich, tragen, weder Geld noch sonst etwas; selbst das
Taschentuch wird als Contrebande angesehen.

Ist ein Jsraelit auf der Reise, so unterbricht er sür diesen Tag dieselbe.
Auch die Dienstboten müssen, selbst wenn sie Christen sind, während dieser
geheiligten vierundzwanzig Stunden ruhen, und können zu keiner Arbeit ver¬
wendet werden. Ueber irgend ein Geschäft in dieser Zeit mit einem Juden
reden oder gar eines abschließen wollen. ist unmöglich und wenn es noch
so einträglich für ihn erschiene. Alles dies gilt aber nicht nur für den Schnbbeß,
sondern durchgängig für alle ihre Feste, von denen manche z. B. das Laub-
hüttenfest im Anfang Herbst wochenlang dauern. Dieses Fest, dessen Ursprung
sich bekanntlich in ihre früheste Geschichte verliert, wird im Freien gefeiert, und
werden dazu vor den Wohnungen der Juden Lauben angelegt, in denen sie
einen Theil des Tages und der Nacht zubringen müssen. -- Während des
"langen Tages", der ihr Hauptfest ist, müssen sie fasten und sich beständig in der
Synagoge aufhalten, wobei sie einen besondern Anzug tragen, der in einem
langen weißen Talar, mit mehr oder weniger prachtvollen Goldstickereien be¬
steht. Dagegen sind Schuhe und Stiefeln von den Füßen verbannt und sie
gehen in bloßen Strümpfen. Am langen Tag erscheinen auch die Jüdinnen
im Tempel.

Der Act der Ehe ist bei ihnen nicht mit der Feierlichkeit verbunden als
bei Christen, indessen erfüllen sie ihre Pflichten als Gatten meistens gewissen¬
haft. Die Verheirathung geschieht oft schon in den frühesten Kinderjahren,
und man findet Brautpaare, wo die Braut 13, der Bräutigam 14 Jahr
zählt, so daß ein Großvater von 30--"2 Jahren keine Seltenheit ist. Die
Hochzeit wird gewöhnlich Abends, oft auch um Mitternacht gefeiert, wo dann
das Brautpaar und die Hochzeitsgäste die Straßen -mit Musik durchziehen.
Den Schluß bildet ein Ball, bei dem der Eintritt gegen Entrve jedermann
freisteht. Die eigentliche Trauung ist ohne viele Ceremonie und die' Ehe kann
ebenso leicht, wie sie geschlossen, auch gelöst werden. Sind beide Theile ein¬
verstanden, so geschieht dies ohne Einmischung der Gerichte oder des Nabbi-
nats und. hindert dann keine Partei, sich einige Tage später wieder zu ver¬
mählen. Eine Witwe mit Kindern kann ebenfalls gleich nach dein Tode ihres
Mannes heirathen, ist sie jedoch kinderlos, so darf sie erst.dann sich von neuem
verehelichen, wenn sie von den Verwandten ihres verstorbenen Mannes frei¬
gesprochen wurde, was gewöhnlich nach einem oder zwei Jahren, oft aber, und be¬
sonders wenn Streitigkeit oder Feindseligkeit unier ihnen herrschen, gar nicht
geschieht. Sobald ein Mädchen heirathet, werden ihr die Haare ganz kurz
verschnitten und durch eine Perücke erhebt -- nach unsern Begriffen eine der


nannte Strilzel gegessen, die in Form unsern Weihnachtsstollen gleichen, indeß
der Rosinen und Mandeln entbehren. Außer Gebetbüchern dürfen die Juden
am Schabbcß nichts bei sich, tragen, weder Geld noch sonst etwas; selbst das
Taschentuch wird als Contrebande angesehen.

Ist ein Jsraelit auf der Reise, so unterbricht er sür diesen Tag dieselbe.
Auch die Dienstboten müssen, selbst wenn sie Christen sind, während dieser
geheiligten vierundzwanzig Stunden ruhen, und können zu keiner Arbeit ver¬
wendet werden. Ueber irgend ein Geschäft in dieser Zeit mit einem Juden
reden oder gar eines abschließen wollen. ist unmöglich und wenn es noch
so einträglich für ihn erschiene. Alles dies gilt aber nicht nur für den Schnbbeß,
sondern durchgängig für alle ihre Feste, von denen manche z. B. das Laub-
hüttenfest im Anfang Herbst wochenlang dauern. Dieses Fest, dessen Ursprung
sich bekanntlich in ihre früheste Geschichte verliert, wird im Freien gefeiert, und
werden dazu vor den Wohnungen der Juden Lauben angelegt, in denen sie
einen Theil des Tages und der Nacht zubringen müssen. -- Während des
„langen Tages", der ihr Hauptfest ist, müssen sie fasten und sich beständig in der
Synagoge aufhalten, wobei sie einen besondern Anzug tragen, der in einem
langen weißen Talar, mit mehr oder weniger prachtvollen Goldstickereien be¬
steht. Dagegen sind Schuhe und Stiefeln von den Füßen verbannt und sie
gehen in bloßen Strümpfen. Am langen Tag erscheinen auch die Jüdinnen
im Tempel.

Der Act der Ehe ist bei ihnen nicht mit der Feierlichkeit verbunden als
bei Christen, indessen erfüllen sie ihre Pflichten als Gatten meistens gewissen¬
haft. Die Verheirathung geschieht oft schon in den frühesten Kinderjahren,
und man findet Brautpaare, wo die Braut 13, der Bräutigam 14 Jahr
zählt, so daß ein Großvater von 30—»2 Jahren keine Seltenheit ist. Die
Hochzeit wird gewöhnlich Abends, oft auch um Mitternacht gefeiert, wo dann
das Brautpaar und die Hochzeitsgäste die Straßen -mit Musik durchziehen.
Den Schluß bildet ein Ball, bei dem der Eintritt gegen Entrve jedermann
freisteht. Die eigentliche Trauung ist ohne viele Ceremonie und die' Ehe kann
ebenso leicht, wie sie geschlossen, auch gelöst werden. Sind beide Theile ein¬
verstanden, so geschieht dies ohne Einmischung der Gerichte oder des Nabbi-
nats und. hindert dann keine Partei, sich einige Tage später wieder zu ver¬
mählen. Eine Witwe mit Kindern kann ebenfalls gleich nach dein Tode ihres
Mannes heirathen, ist sie jedoch kinderlos, so darf sie erst.dann sich von neuem
verehelichen, wenn sie von den Verwandten ihres verstorbenen Mannes frei¬
gesprochen wurde, was gewöhnlich nach einem oder zwei Jahren, oft aber, und be¬
sonders wenn Streitigkeit oder Feindseligkeit unier ihnen herrschen, gar nicht
geschieht. Sobald ein Mädchen heirathet, werden ihr die Haare ganz kurz
verschnitten und durch eine Perücke erhebt — nach unsern Begriffen eine der


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[0439] nannte Strilzel gegessen, die in Form unsern Weihnachtsstollen gleichen, indeß der Rosinen und Mandeln entbehren. Außer Gebetbüchern dürfen die Juden am Schabbcß nichts bei sich, tragen, weder Geld noch sonst etwas; selbst das Taschentuch wird als Contrebande angesehen. Ist ein Jsraelit auf der Reise, so unterbricht er sür diesen Tag dieselbe. Auch die Dienstboten müssen, selbst wenn sie Christen sind, während dieser geheiligten vierundzwanzig Stunden ruhen, und können zu keiner Arbeit ver¬ wendet werden. Ueber irgend ein Geschäft in dieser Zeit mit einem Juden reden oder gar eines abschließen wollen. ist unmöglich und wenn es noch so einträglich für ihn erschiene. Alles dies gilt aber nicht nur für den Schnbbeß, sondern durchgängig für alle ihre Feste, von denen manche z. B. das Laub- hüttenfest im Anfang Herbst wochenlang dauern. Dieses Fest, dessen Ursprung sich bekanntlich in ihre früheste Geschichte verliert, wird im Freien gefeiert, und werden dazu vor den Wohnungen der Juden Lauben angelegt, in denen sie einen Theil des Tages und der Nacht zubringen müssen. -- Während des „langen Tages", der ihr Hauptfest ist, müssen sie fasten und sich beständig in der Synagoge aufhalten, wobei sie einen besondern Anzug tragen, der in einem langen weißen Talar, mit mehr oder weniger prachtvollen Goldstickereien be¬ steht. Dagegen sind Schuhe und Stiefeln von den Füßen verbannt und sie gehen in bloßen Strümpfen. Am langen Tag erscheinen auch die Jüdinnen im Tempel. Der Act der Ehe ist bei ihnen nicht mit der Feierlichkeit verbunden als bei Christen, indessen erfüllen sie ihre Pflichten als Gatten meistens gewissen¬ haft. Die Verheirathung geschieht oft schon in den frühesten Kinderjahren, und man findet Brautpaare, wo die Braut 13, der Bräutigam 14 Jahr zählt, so daß ein Großvater von 30—»2 Jahren keine Seltenheit ist. Die Hochzeit wird gewöhnlich Abends, oft auch um Mitternacht gefeiert, wo dann das Brautpaar und die Hochzeitsgäste die Straßen -mit Musik durchziehen. Den Schluß bildet ein Ball, bei dem der Eintritt gegen Entrve jedermann freisteht. Die eigentliche Trauung ist ohne viele Ceremonie und die' Ehe kann ebenso leicht, wie sie geschlossen, auch gelöst werden. Sind beide Theile ein¬ verstanden, so geschieht dies ohne Einmischung der Gerichte oder des Nabbi- nats und. hindert dann keine Partei, sich einige Tage später wieder zu ver¬ mählen. Eine Witwe mit Kindern kann ebenfalls gleich nach dein Tode ihres Mannes heirathen, ist sie jedoch kinderlos, so darf sie erst.dann sich von neuem verehelichen, wenn sie von den Verwandten ihres verstorbenen Mannes frei¬ gesprochen wurde, was gewöhnlich nach einem oder zwei Jahren, oft aber, und be¬ sonders wenn Streitigkeit oder Feindseligkeit unier ihnen herrschen, gar nicht geschieht. Sobald ein Mädchen heirathet, werden ihr die Haare ganz kurz verschnitten und durch eine Perücke erhebt — nach unsern Begriffen eine der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/439>, abgerufen am 29.05.2024.