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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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bekannte, sprichwörtlich gewordene, ewig heitere, unablässig lächelnde
Himmel.

Dies ungefähr ist das Griechenland, wie es sich uns aus den Elementen
der Schulbildung zusammensetzte. Das heutige Hellas kümmerte den Gym¬
nasiasten wenig. Es war ihm, wenn er überhaupt daran erinnert wurde, in
seinen Grundzügen das alte, nur daß die Städte in Ruinen lagen, die er
sich ungemein zahlreich und großartig dachte, daß an die Stelle der blutrothen
Kriegsmantel bairisch-blaue Uniformen getreten waren, und daß man sich in
Civil statt mit der althellenischer Chlamys mit der albanesischen Fustanella
und der türkischen Tressenjacke bekleidete.

Bei besserem Bekanntwerden mit den Werken des Alterthums und den
über dasselbe angestellten Untersuchungen der Neueren verwandelt sich vieles
von jenen Gebilden einer kritiklos arbeitenden Jugendphantasie in sein Gegen¬
theil. Anderes nimmt mindestens weniger ideale Farbe und Gestalt an und
wird, indem es sich nun mit den Erscheinungen und Verhältnissen unsres mo¬
dernen Lebens vergleichen läßt, begreiflicher. Das Land und Volk von Alt¬
hellas bleibt dabei schön, aber es ist eine andere Schönheit. Wir nehmen
genauere Karten zur Hand, wir unterrichten uns in archäologischen Schriften
und Reisebeschreibungen. Berge erheben sich, wo vorher Ebne war, Wälder
verschwinden, und Flüsse trocknen ein. Die früher ausnahmslose Anmuth
läßt Lücken und hin und wieder sogar Beispiele vom Gegentheil erkennen.
Das g, ig. Lykurg dressirte Sparta wird beinahe vollständig zur Mythe. Die
Wiesen Arkadiens verdienen diesen Namen nur in sehr uneigentlichen Sinne.
Seine appetitlichen empfindsamen Pegnitzschäfer werden zu wilden, zottigen,
schmuzigen Gebirgsleuten. Die Marmorbauten der Städte, selbst die von
Athen, beschränken sich auf eine Anzahl von Tempeln und andern öffentlichen
Gebäuden, ja der ganze Peloponnes hat nicht ein einziges Architekturwerk
von diesem Gestein aufzuweisen. Die classischen Stellungen und der wohl-
ftudirte Faltenwurf werden -- Athen und vielleicht noch Korinth ausgenommen --
in die Friese, auf die Postamente der Standbilder und in den Dunstkreis eini¬
ger Dandies und Hetären verwiesen. Endlich ziehen über das Antlitz des
ewig lächelnden Himmels sehr bemerkenswerthe Wolken, welche in das ideale
Paradies den realsten Regen in reichlichen Strömen ergießen und bisweilen
selbst Schnee fallen lassen, der grade so weiß und so kalt wie unser Schnee ist.

Noch größer und radicaler ist die Revolution, welche spätere Studien in
den Vorstellungen, die man sich in der Jugend vom heutigen Griechenland
bildete, hervorrufen müssen. In der That, hier bleibt bei genauerem Forschen
und Berichtiger von dem früheren Gedankenbau kaum ein Stein auf dem
andern. Aber wie gründlich wir auch aufräumen, wie sehr wir beflissen sind,
ein anderes, auf die Wirklichkeit basirtes Gebäude in uns aufzuführen und


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bekannte, sprichwörtlich gewordene, ewig heitere, unablässig lächelnde
Himmel.

Dies ungefähr ist das Griechenland, wie es sich uns aus den Elementen
der Schulbildung zusammensetzte. Das heutige Hellas kümmerte den Gym¬
nasiasten wenig. Es war ihm, wenn er überhaupt daran erinnert wurde, in
seinen Grundzügen das alte, nur daß die Städte in Ruinen lagen, die er
sich ungemein zahlreich und großartig dachte, daß an die Stelle der blutrothen
Kriegsmantel bairisch-blaue Uniformen getreten waren, und daß man sich in
Civil statt mit der althellenischer Chlamys mit der albanesischen Fustanella
und der türkischen Tressenjacke bekleidete.

Bei besserem Bekanntwerden mit den Werken des Alterthums und den
über dasselbe angestellten Untersuchungen der Neueren verwandelt sich vieles
von jenen Gebilden einer kritiklos arbeitenden Jugendphantasie in sein Gegen¬
theil. Anderes nimmt mindestens weniger ideale Farbe und Gestalt an und
wird, indem es sich nun mit den Erscheinungen und Verhältnissen unsres mo¬
dernen Lebens vergleichen läßt, begreiflicher. Das Land und Volk von Alt¬
hellas bleibt dabei schön, aber es ist eine andere Schönheit. Wir nehmen
genauere Karten zur Hand, wir unterrichten uns in archäologischen Schriften
und Reisebeschreibungen. Berge erheben sich, wo vorher Ebne war, Wälder
verschwinden, und Flüsse trocknen ein. Die früher ausnahmslose Anmuth
läßt Lücken und hin und wieder sogar Beispiele vom Gegentheil erkennen.
Das g, ig. Lykurg dressirte Sparta wird beinahe vollständig zur Mythe. Die
Wiesen Arkadiens verdienen diesen Namen nur in sehr uneigentlichen Sinne.
Seine appetitlichen empfindsamen Pegnitzschäfer werden zu wilden, zottigen,
schmuzigen Gebirgsleuten. Die Marmorbauten der Städte, selbst die von
Athen, beschränken sich auf eine Anzahl von Tempeln und andern öffentlichen
Gebäuden, ja der ganze Peloponnes hat nicht ein einziges Architekturwerk
von diesem Gestein aufzuweisen. Die classischen Stellungen und der wohl-
ftudirte Faltenwurf werden — Athen und vielleicht noch Korinth ausgenommen —
in die Friese, auf die Postamente der Standbilder und in den Dunstkreis eini¬
ger Dandies und Hetären verwiesen. Endlich ziehen über das Antlitz des
ewig lächelnden Himmels sehr bemerkenswerthe Wolken, welche in das ideale
Paradies den realsten Regen in reichlichen Strömen ergießen und bisweilen
selbst Schnee fallen lassen, der grade so weiß und so kalt wie unser Schnee ist.

Noch größer und radicaler ist die Revolution, welche spätere Studien in
den Vorstellungen, die man sich in der Jugend vom heutigen Griechenland
bildete, hervorrufen müssen. In der That, hier bleibt bei genauerem Forschen
und Berichtiger von dem früheren Gedankenbau kaum ein Stein auf dem
andern. Aber wie gründlich wir auch aufräumen, wie sehr wir beflissen sind,
ein anderes, auf die Wirklichkeit basirtes Gebäude in uns aufzuführen und


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[0171] bekannte, sprichwörtlich gewordene, ewig heitere, unablässig lächelnde Himmel. Dies ungefähr ist das Griechenland, wie es sich uns aus den Elementen der Schulbildung zusammensetzte. Das heutige Hellas kümmerte den Gym¬ nasiasten wenig. Es war ihm, wenn er überhaupt daran erinnert wurde, in seinen Grundzügen das alte, nur daß die Städte in Ruinen lagen, die er sich ungemein zahlreich und großartig dachte, daß an die Stelle der blutrothen Kriegsmantel bairisch-blaue Uniformen getreten waren, und daß man sich in Civil statt mit der althellenischer Chlamys mit der albanesischen Fustanella und der türkischen Tressenjacke bekleidete. Bei besserem Bekanntwerden mit den Werken des Alterthums und den über dasselbe angestellten Untersuchungen der Neueren verwandelt sich vieles von jenen Gebilden einer kritiklos arbeitenden Jugendphantasie in sein Gegen¬ theil. Anderes nimmt mindestens weniger ideale Farbe und Gestalt an und wird, indem es sich nun mit den Erscheinungen und Verhältnissen unsres mo¬ dernen Lebens vergleichen läßt, begreiflicher. Das Land und Volk von Alt¬ hellas bleibt dabei schön, aber es ist eine andere Schönheit. Wir nehmen genauere Karten zur Hand, wir unterrichten uns in archäologischen Schriften und Reisebeschreibungen. Berge erheben sich, wo vorher Ebne war, Wälder verschwinden, und Flüsse trocknen ein. Die früher ausnahmslose Anmuth läßt Lücken und hin und wieder sogar Beispiele vom Gegentheil erkennen. Das g, ig. Lykurg dressirte Sparta wird beinahe vollständig zur Mythe. Die Wiesen Arkadiens verdienen diesen Namen nur in sehr uneigentlichen Sinne. Seine appetitlichen empfindsamen Pegnitzschäfer werden zu wilden, zottigen, schmuzigen Gebirgsleuten. Die Marmorbauten der Städte, selbst die von Athen, beschränken sich auf eine Anzahl von Tempeln und andern öffentlichen Gebäuden, ja der ganze Peloponnes hat nicht ein einziges Architekturwerk von diesem Gestein aufzuweisen. Die classischen Stellungen und der wohl- ftudirte Faltenwurf werden — Athen und vielleicht noch Korinth ausgenommen — in die Friese, auf die Postamente der Standbilder und in den Dunstkreis eini¬ ger Dandies und Hetären verwiesen. Endlich ziehen über das Antlitz des ewig lächelnden Himmels sehr bemerkenswerthe Wolken, welche in das ideale Paradies den realsten Regen in reichlichen Strömen ergießen und bisweilen selbst Schnee fallen lassen, der grade so weiß und so kalt wie unser Schnee ist. Noch größer und radicaler ist die Revolution, welche spätere Studien in den Vorstellungen, die man sich in der Jugend vom heutigen Griechenland bildete, hervorrufen müssen. In der That, hier bleibt bei genauerem Forschen und Berichtiger von dem früheren Gedankenbau kaum ein Stein auf dem andern. Aber wie gründlich wir auch aufräumen, wie sehr wir beflissen sind, ein anderes, auf die Wirklichkeit basirtes Gebäude in uns aufzuführen und 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/171>, abgerufen am 17.06.2024.