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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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französische und deutsche Kunst vergleichend gegeneinander abzuwägen. Nach
dein Schein darf man nicht schließen, um wenigsten die große pariser Kunst¬
ausstellung mit dem Münchner Unternehmen zusammenstellen. Die erstere
enthielt allein an Oelgemälden lebender französischer Meister mehr als die
Summe der in München einen sechzigjährigen Zeitraum schildernden Kunst¬
werte überhaupt beträgt. Die französische Regierung trug Sorge dafür, daß
die möglichst größte Zahl an heimischen Kunstschöpfungen ausgestellt werde,
während in München es dein guten Willen der Einzelnen und dem Zufall -
überlassen blieb, für die Vollständigkeit der Ausstellung zu sorgen. Man darf
ferner nicht vergessen, daß die Centralisation der französischen Kunst in Paris
die Vollständigkeit der Ausstellung wesentlich erleichterte, während bei uns die Viel¬
heit artistischerMittelpunkte das gemeinsame Wirken hemmt, und daß endlich Paris
als Weltstadt reichere künstlerische Kräfte an sich heranzieht, die natürlich
der französischen Schule beigezählt werden und die Ausdehnung und den
Nuhm der letzteren nicht unbedeutend verwehren. So erklärt sich das glän¬
zende Bild, das wir vor drei'Jahren von der gegenwärtigen französischen
Kunst schauten. Gehen wir aber vom Schein aus die Wesenheit zurück, so
haben wir keine Ursache, neben dem Glänze der französischen die schöne Innig¬
keit unsrer Kunst gering zu achten. Für viele Künstler und Kunstwerke geht
freilich der Maßstab der Vergleichung ab. Wir können in der französischen
Kunst z. V, Schwind und Ludwig Richter nichts Aehnliches entgegenstelle",
und grade diese beiden Männer und die durch sie bewirkte Einkehr in das
Volkstlmm möchten wir den Franzosen als die köstlichste Frucht unsers neueren
Kunststrebens entgegenhalten. Auf der andern Seite besitzt auch wieder die
französische Kunst Eigenthümlichkeiten, für welche uns das unmittelbare Ver¬
ständniß ziemlich mangelt. Wenn wir uns aber damit begnügen, die beiden
Kuustweisen nur im Ganzen und Großen aneinanderzuhalten, so ist das Ueber-
gewicht entschieden auf unsrer Seite. Wir geben zu, daß die Franzosen Dank
dein romanischen Vinde, das in ihren Adern fließt, für die sinnliche Schön¬
heit eine große Empfänglichkeit von Haus aus besitzen und das Unmalcrische
oder wol gar das Malerischwidrige viel schärfer und unmittelbarer als wir
erkennen und von sich weisen. Auch das müssen wir einräumen, daß Frank¬
reich seit 60 Jahren eine größere Zahl nicht blos berühmter, sondern wirklich
bedeutender Maler geboren hat, als wir ausweisen können. Trotzdem halten
wir den Fortschritt unsrer Kunst für viel gesicherter und ihre Zukunft sonnen¬
heller. Unsre Entwicklung war und ist eine langsamere. Die Kämpfe, die
Frankreichs Kunst vor dreißig Jahren durchgefochten hat, beginnen erst bei
uns, wenn auch unter verändertem Namen. Aber die französischen Künstler
haben längst vergessen, sich eine feste und klare Entwicklung zu sichern, tag¬
täglich wird es deutlicher, daß an die Stelle der Entwicklung ein müßiges


französische und deutsche Kunst vergleichend gegeneinander abzuwägen. Nach
dein Schein darf man nicht schließen, um wenigsten die große pariser Kunst¬
ausstellung mit dem Münchner Unternehmen zusammenstellen. Die erstere
enthielt allein an Oelgemälden lebender französischer Meister mehr als die
Summe der in München einen sechzigjährigen Zeitraum schildernden Kunst¬
werte überhaupt beträgt. Die französische Regierung trug Sorge dafür, daß
die möglichst größte Zahl an heimischen Kunstschöpfungen ausgestellt werde,
während in München es dein guten Willen der Einzelnen und dem Zufall -
überlassen blieb, für die Vollständigkeit der Ausstellung zu sorgen. Man darf
ferner nicht vergessen, daß die Centralisation der französischen Kunst in Paris
die Vollständigkeit der Ausstellung wesentlich erleichterte, während bei uns die Viel¬
heit artistischerMittelpunkte das gemeinsame Wirken hemmt, und daß endlich Paris
als Weltstadt reichere künstlerische Kräfte an sich heranzieht, die natürlich
der französischen Schule beigezählt werden und die Ausdehnung und den
Nuhm der letzteren nicht unbedeutend verwehren. So erklärt sich das glän¬
zende Bild, das wir vor drei'Jahren von der gegenwärtigen französischen
Kunst schauten. Gehen wir aber vom Schein aus die Wesenheit zurück, so
haben wir keine Ursache, neben dem Glänze der französischen die schöne Innig¬
keit unsrer Kunst gering zu achten. Für viele Künstler und Kunstwerke geht
freilich der Maßstab der Vergleichung ab. Wir können in der französischen
Kunst z. V, Schwind und Ludwig Richter nichts Aehnliches entgegenstelle»,
und grade diese beiden Männer und die durch sie bewirkte Einkehr in das
Volkstlmm möchten wir den Franzosen als die köstlichste Frucht unsers neueren
Kunststrebens entgegenhalten. Auf der andern Seite besitzt auch wieder die
französische Kunst Eigenthümlichkeiten, für welche uns das unmittelbare Ver¬
ständniß ziemlich mangelt. Wenn wir uns aber damit begnügen, die beiden
Kuustweisen nur im Ganzen und Großen aneinanderzuhalten, so ist das Ueber-
gewicht entschieden auf unsrer Seite. Wir geben zu, daß die Franzosen Dank
dein romanischen Vinde, das in ihren Adern fließt, für die sinnliche Schön¬
heit eine große Empfänglichkeit von Haus aus besitzen und das Unmalcrische
oder wol gar das Malerischwidrige viel schärfer und unmittelbarer als wir
erkennen und von sich weisen. Auch das müssen wir einräumen, daß Frank¬
reich seit 60 Jahren eine größere Zahl nicht blos berühmter, sondern wirklich
bedeutender Maler geboren hat, als wir ausweisen können. Trotzdem halten
wir den Fortschritt unsrer Kunst für viel gesicherter und ihre Zukunft sonnen¬
heller. Unsre Entwicklung war und ist eine langsamere. Die Kämpfe, die
Frankreichs Kunst vor dreißig Jahren durchgefochten hat, beginnen erst bei
uns, wenn auch unter verändertem Namen. Aber die französischen Künstler
haben längst vergessen, sich eine feste und klare Entwicklung zu sichern, tag¬
täglich wird es deutlicher, daß an die Stelle der Entwicklung ein müßiges


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[0159] französische und deutsche Kunst vergleichend gegeneinander abzuwägen. Nach dein Schein darf man nicht schließen, um wenigsten die große pariser Kunst¬ ausstellung mit dem Münchner Unternehmen zusammenstellen. Die erstere enthielt allein an Oelgemälden lebender französischer Meister mehr als die Summe der in München einen sechzigjährigen Zeitraum schildernden Kunst¬ werte überhaupt beträgt. Die französische Regierung trug Sorge dafür, daß die möglichst größte Zahl an heimischen Kunstschöpfungen ausgestellt werde, während in München es dein guten Willen der Einzelnen und dem Zufall - überlassen blieb, für die Vollständigkeit der Ausstellung zu sorgen. Man darf ferner nicht vergessen, daß die Centralisation der französischen Kunst in Paris die Vollständigkeit der Ausstellung wesentlich erleichterte, während bei uns die Viel¬ heit artistischerMittelpunkte das gemeinsame Wirken hemmt, und daß endlich Paris als Weltstadt reichere künstlerische Kräfte an sich heranzieht, die natürlich der französischen Schule beigezählt werden und die Ausdehnung und den Nuhm der letzteren nicht unbedeutend verwehren. So erklärt sich das glän¬ zende Bild, das wir vor drei'Jahren von der gegenwärtigen französischen Kunst schauten. Gehen wir aber vom Schein aus die Wesenheit zurück, so haben wir keine Ursache, neben dem Glänze der französischen die schöne Innig¬ keit unsrer Kunst gering zu achten. Für viele Künstler und Kunstwerke geht freilich der Maßstab der Vergleichung ab. Wir können in der französischen Kunst z. V, Schwind und Ludwig Richter nichts Aehnliches entgegenstelle», und grade diese beiden Männer und die durch sie bewirkte Einkehr in das Volkstlmm möchten wir den Franzosen als die köstlichste Frucht unsers neueren Kunststrebens entgegenhalten. Auf der andern Seite besitzt auch wieder die französische Kunst Eigenthümlichkeiten, für welche uns das unmittelbare Ver¬ ständniß ziemlich mangelt. Wenn wir uns aber damit begnügen, die beiden Kuustweisen nur im Ganzen und Großen aneinanderzuhalten, so ist das Ueber- gewicht entschieden auf unsrer Seite. Wir geben zu, daß die Franzosen Dank dein romanischen Vinde, das in ihren Adern fließt, für die sinnliche Schön¬ heit eine große Empfänglichkeit von Haus aus besitzen und das Unmalcrische oder wol gar das Malerischwidrige viel schärfer und unmittelbarer als wir erkennen und von sich weisen. Auch das müssen wir einräumen, daß Frank¬ reich seit 60 Jahren eine größere Zahl nicht blos berühmter, sondern wirklich bedeutender Maler geboren hat, als wir ausweisen können. Trotzdem halten wir den Fortschritt unsrer Kunst für viel gesicherter und ihre Zukunft sonnen¬ heller. Unsre Entwicklung war und ist eine langsamere. Die Kämpfe, die Frankreichs Kunst vor dreißig Jahren durchgefochten hat, beginnen erst bei uns, wenn auch unter verändertem Namen. Aber die französischen Künstler haben längst vergessen, sich eine feste und klare Entwicklung zu sichern, tag¬ täglich wird es deutlicher, daß an die Stelle der Entwicklung ein müßiges

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/159>, abgerufen am 16.06.2024.