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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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doch fällt ihm ein, daß der junge Mann wol zu einem Rendezvous komme,
er lobt Lucinde sehr, empfiehlt ihr, ihn festlich zu bewirthen, über¬
gibt ihr die Schlüssel zu Keller und Küche, weist die Domestiken an, ihr in
allen Dingen zu gehorchen, und reist darauf" mit seinem Sohn auf einem
andern Wege ab. Vorher hat er ihr eröffnet, daß Klingsohr eigentlich sein
Sohn ist und sie bevollmächtigt, ihm dies Geheimniß mitzutheilen.

Klingsohr wird zu seiner Verwunderung feierlich empfangen, Lucinde
läßt auftragen, was nur in Küche und Keller vorräthig ist, namentlich viel
Champagner, der zuletzt aus Biergläsern getrunken wird. Er declamirt Verse
aus Heine, sie entdeckt ihm das Mysterium seiner Geburt, die Lakaien warten
dazu auf. Endlich liegen beide schon unterm Tisch, da tritt bestürzt ein
Diener ein, der dem Doctor mittheilt, man habe seinen Vater ermordet im
Walde gefunden. Er sucht Lucinde aufzurütteln, aber sie ist so betrunken,
daß es ihm nicht gelingt; zuletzt läßt er sie auf dem beschmuzten Boden
liegen und eilt fort. Als sie erwacht, erfährt sie gleichfalls die schreckliche
Begebenheit und ist bald mit aller Welt davon überzeugt, daß der Kron¬
syndikus der Mörder sei: auch uns läßt der Dichter darüber kaum in Zweifel.

Den andern Tag kommt der Kronsyndikus zurück, und hat mit dem
Doctor eine Konferenz, wobei stark Burgunder getrunken wird. Diese endigt
damit, daß beide Arm in Arm sich zum Untersuchungsrichter begeben und ihm
die Sache so darstellen, daß sich gegen den Kronsyndikus kein Verdacht erhebt.
Der Hauptgrund des Verdachts liegt in einem Fetzen Tuch, den man bei dem
Ermordeten gefunden und den der Doctor heimlich auf die Seite zu schassen
weiß. Anstatt ihn aber zu verbrennen, verwahrt er ihn sorgfältig in einer
Brieftasche. Der Kronsyndikus erkennt nun die Verlobung der jungen Leute
(der verrückte Kammerherr ist in Gewahrsam gebracht) feierlich an, und schickt
beide, reichlich ausgestattet nach Hamburg, wo Lucinde ihre Bildung vervoll¬
kommnen soll, und wo der Doctor Vorlesungen über Aesthetik.und Geschichte
hält. Lucinde bewegt sich viel in feiner Gesellschaft und wird immer subter
gegen ihren Bräutigam, dessen Citate aus Heine ihr nicht mehr imponiren.
Infolge dessen sührt er mit seinen alten Universitätsfreunden ein ziemlich
dissolutes Leben. Hier trifft ihn eines Tages der Kammerherr, der seinem
Gewahrsam entsprungen ist, und prügelt den Entführer seiner Geliebten öffent¬
lich durch. Klingsohr fordert ihn auf Pistolen, obgleich er weiß, daß er sein
Bruder ist, und schießt ihn ohne Weiteres todt.----

Er erhält dafür ein Jahr Festungshaft, die er sonderbarerweise -- in
Kiel abzubüßen hat. Der Kronsyndikus, nun ganz weich geworden, (man er¬
fährt bei der Gelegenheit, daß er noch eine Frau in Italien hat und über¬
haupt in ebenso bunte genealogische Verwicklungen verstrickt ist, wie die Ritter von
Geist) -- ermahnt Lucinde, den Doctor, der trotz des Brudermordes doch


doch fällt ihm ein, daß der junge Mann wol zu einem Rendezvous komme,
er lobt Lucinde sehr, empfiehlt ihr, ihn festlich zu bewirthen, über¬
gibt ihr die Schlüssel zu Keller und Küche, weist die Domestiken an, ihr in
allen Dingen zu gehorchen, und reist darauf« mit seinem Sohn auf einem
andern Wege ab. Vorher hat er ihr eröffnet, daß Klingsohr eigentlich sein
Sohn ist und sie bevollmächtigt, ihm dies Geheimniß mitzutheilen.

Klingsohr wird zu seiner Verwunderung feierlich empfangen, Lucinde
läßt auftragen, was nur in Küche und Keller vorräthig ist, namentlich viel
Champagner, der zuletzt aus Biergläsern getrunken wird. Er declamirt Verse
aus Heine, sie entdeckt ihm das Mysterium seiner Geburt, die Lakaien warten
dazu auf. Endlich liegen beide schon unterm Tisch, da tritt bestürzt ein
Diener ein, der dem Doctor mittheilt, man habe seinen Vater ermordet im
Walde gefunden. Er sucht Lucinde aufzurütteln, aber sie ist so betrunken,
daß es ihm nicht gelingt; zuletzt läßt er sie auf dem beschmuzten Boden
liegen und eilt fort. Als sie erwacht, erfährt sie gleichfalls die schreckliche
Begebenheit und ist bald mit aller Welt davon überzeugt, daß der Kron¬
syndikus der Mörder sei: auch uns läßt der Dichter darüber kaum in Zweifel.

Den andern Tag kommt der Kronsyndikus zurück, und hat mit dem
Doctor eine Konferenz, wobei stark Burgunder getrunken wird. Diese endigt
damit, daß beide Arm in Arm sich zum Untersuchungsrichter begeben und ihm
die Sache so darstellen, daß sich gegen den Kronsyndikus kein Verdacht erhebt.
Der Hauptgrund des Verdachts liegt in einem Fetzen Tuch, den man bei dem
Ermordeten gefunden und den der Doctor heimlich auf die Seite zu schassen
weiß. Anstatt ihn aber zu verbrennen, verwahrt er ihn sorgfältig in einer
Brieftasche. Der Kronsyndikus erkennt nun die Verlobung der jungen Leute
(der verrückte Kammerherr ist in Gewahrsam gebracht) feierlich an, und schickt
beide, reichlich ausgestattet nach Hamburg, wo Lucinde ihre Bildung vervoll¬
kommnen soll, und wo der Doctor Vorlesungen über Aesthetik.und Geschichte
hält. Lucinde bewegt sich viel in feiner Gesellschaft und wird immer subter
gegen ihren Bräutigam, dessen Citate aus Heine ihr nicht mehr imponiren.
Infolge dessen sührt er mit seinen alten Universitätsfreunden ein ziemlich
dissolutes Leben. Hier trifft ihn eines Tages der Kammerherr, der seinem
Gewahrsam entsprungen ist, und prügelt den Entführer seiner Geliebten öffent¬
lich durch. Klingsohr fordert ihn auf Pistolen, obgleich er weiß, daß er sein
Bruder ist, und schießt ihn ohne Weiteres todt.--—

Er erhält dafür ein Jahr Festungshaft, die er sonderbarerweise — in
Kiel abzubüßen hat. Der Kronsyndikus, nun ganz weich geworden, (man er¬
fährt bei der Gelegenheit, daß er noch eine Frau in Italien hat und über¬
haupt in ebenso bunte genealogische Verwicklungen verstrickt ist, wie die Ritter von
Geist) — ermahnt Lucinde, den Doctor, der trotz des Brudermordes doch


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[0198] doch fällt ihm ein, daß der junge Mann wol zu einem Rendezvous komme, er lobt Lucinde sehr, empfiehlt ihr, ihn festlich zu bewirthen, über¬ gibt ihr die Schlüssel zu Keller und Küche, weist die Domestiken an, ihr in allen Dingen zu gehorchen, und reist darauf« mit seinem Sohn auf einem andern Wege ab. Vorher hat er ihr eröffnet, daß Klingsohr eigentlich sein Sohn ist und sie bevollmächtigt, ihm dies Geheimniß mitzutheilen. Klingsohr wird zu seiner Verwunderung feierlich empfangen, Lucinde läßt auftragen, was nur in Küche und Keller vorräthig ist, namentlich viel Champagner, der zuletzt aus Biergläsern getrunken wird. Er declamirt Verse aus Heine, sie entdeckt ihm das Mysterium seiner Geburt, die Lakaien warten dazu auf. Endlich liegen beide schon unterm Tisch, da tritt bestürzt ein Diener ein, der dem Doctor mittheilt, man habe seinen Vater ermordet im Walde gefunden. Er sucht Lucinde aufzurütteln, aber sie ist so betrunken, daß es ihm nicht gelingt; zuletzt läßt er sie auf dem beschmuzten Boden liegen und eilt fort. Als sie erwacht, erfährt sie gleichfalls die schreckliche Begebenheit und ist bald mit aller Welt davon überzeugt, daß der Kron¬ syndikus der Mörder sei: auch uns läßt der Dichter darüber kaum in Zweifel. Den andern Tag kommt der Kronsyndikus zurück, und hat mit dem Doctor eine Konferenz, wobei stark Burgunder getrunken wird. Diese endigt damit, daß beide Arm in Arm sich zum Untersuchungsrichter begeben und ihm die Sache so darstellen, daß sich gegen den Kronsyndikus kein Verdacht erhebt. Der Hauptgrund des Verdachts liegt in einem Fetzen Tuch, den man bei dem Ermordeten gefunden und den der Doctor heimlich auf die Seite zu schassen weiß. Anstatt ihn aber zu verbrennen, verwahrt er ihn sorgfältig in einer Brieftasche. Der Kronsyndikus erkennt nun die Verlobung der jungen Leute (der verrückte Kammerherr ist in Gewahrsam gebracht) feierlich an, und schickt beide, reichlich ausgestattet nach Hamburg, wo Lucinde ihre Bildung vervoll¬ kommnen soll, und wo der Doctor Vorlesungen über Aesthetik.und Geschichte hält. Lucinde bewegt sich viel in feiner Gesellschaft und wird immer subter gegen ihren Bräutigam, dessen Citate aus Heine ihr nicht mehr imponiren. Infolge dessen sührt er mit seinen alten Universitätsfreunden ein ziemlich dissolutes Leben. Hier trifft ihn eines Tages der Kammerherr, der seinem Gewahrsam entsprungen ist, und prügelt den Entführer seiner Geliebten öffent¬ lich durch. Klingsohr fordert ihn auf Pistolen, obgleich er weiß, daß er sein Bruder ist, und schießt ihn ohne Weiteres todt.--— Er erhält dafür ein Jahr Festungshaft, die er sonderbarerweise — in Kiel abzubüßen hat. Der Kronsyndikus, nun ganz weich geworden, (man er¬ fährt bei der Gelegenheit, daß er noch eine Frau in Italien hat und über¬ haupt in ebenso bunte genealogische Verwicklungen verstrickt ist, wie die Ritter von Geist) — ermahnt Lucinde, den Doctor, der trotz des Brudermordes doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/198>, abgerufen am 16.06.2024.