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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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behauptete, waren vereinzelte Vorlande, die schlecht mit dem Reichsiörpcr zu¬
sammenhingen, durch den wormser Frieden (1743) verlor es noch Stücke der
Lombardei, Tortona und Norera an Piemont. und der Tessino vom Lago
Maggiore bis an den Po ward die Grenze gegen seinen westlichen Nachbar.
Venedigs Gebiet war noch unangetastet. Die Revolutionskriege änderten diese
Lage. Piemont ward das Opfer sür die Koalition und gleichmäßig von Frank¬
reich und Oestreich mißhandelt, letzteres dagegen breitete sich aus und wurde
hier für seine Verluste in Deutschland und den Niederlanden entschädigt; nach
wechselndem Kriegsglück ging es beim Frieden mit dem Erwerb Venedigs und
Dalmatiens hervor, wodurch seine italienischen Besitzungen eine compacte. mit
den übrigen Provinzen wohl zusammenhängende Masse wurden, und so da¬
stehend wurde es als Großmacht der tonangebende Staat der apenninischen Halb¬
insel. Nur zögernd und weil es dies nicht hindern konnte, gab es die Ver¬
einigung des genuesischen Gebiets mit Piemont zu, jede Vergrößerung nach
Osten, die sür seine Eroberungen nur schwach compensirt hätte, wußte es zu
verhindern, mit dem übrigen Italien hing es nur durch die'schmale parme¬
sanische Grenze zusammen. Chiala citirt ein Memorandum, welches der sar¬
dinische Gesandte. Graf d'Aglio. aus dem wiener Congreß Lord Castlereagh über¬
reichte, in dem die Stellung Piemonts erörtert wurde. "Man hat," heißt es in
demselben, "dem turiner Hofe den Wunsch sich zu vergrößern vorgeworfen, aber
wenn der wiener Hof in seiner Absicht beharrte. alle Gebiete zu behalten, die
er jetzt in Italien innehat, würde er denselben Vorwurf verdienen. Die
Fürsten des Hauses Savonen zwischen zwei mächtige Nachbarn, welche stets
ihre Staaten eifersüchtig bewachen, gestellt, haben natürlicherweise nach Mitteln
suchen müssen, sich zu verstärken und zu vergrößern, je mehr sich ihre Nach¬
barn ausdehnten und je mehr das Militärsystem sich in einem Maße aus-
bildete, wie das in frühern Jahrhunderten unbekannt war. Früher hatte
Piemont, gegen Frankreich durch die Alpen einigermaßen sicher gestellt,' wenig¬
stens auf der italienischen Seite durch die Schwäche seiner Nachbarstaaten
keinen Grund der Beunruhigung. Allerdings war auch damals das Haus
Oestreich ein mächtiger Nachbar, aber weder durch die Ausdehnung seiner Be¬
sitzungen, noch durch deren Lage furchtbar. Das Herzogthum Mailand war
von den andern östreichischen Erbstaaten getrennt, die Zahl der Truppen wäh¬
rend des Friedenszustandes gering, in Kriegszeiten aber machte diese Entfer¬
nung es Piemont möglich, sich in Vertheidigungszustand zu setzen. Wenn
nun aber jetzt eine schon furchtbare Macht die Absicht kundgibt, sich den besten
und größten Theil Italiens anzueignen und sem Gebiet bis zur Grenze Pie-
monts auszudehnen, so darf man die Anstrengungen, die der turiner Hof machen
würde um eine Gebietserweiterung und Hilfsquellen, welche der Gefahr, von
der er bedroht ist, entsprechen, nicht als Begehrlichkeit bezeichnen. In diesem


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behauptete, waren vereinzelte Vorlande, die schlecht mit dem Reichsiörpcr zu¬
sammenhingen, durch den wormser Frieden (1743) verlor es noch Stücke der
Lombardei, Tortona und Norera an Piemont. und der Tessino vom Lago
Maggiore bis an den Po ward die Grenze gegen seinen westlichen Nachbar.
Venedigs Gebiet war noch unangetastet. Die Revolutionskriege änderten diese
Lage. Piemont ward das Opfer sür die Koalition und gleichmäßig von Frank¬
reich und Oestreich mißhandelt, letzteres dagegen breitete sich aus und wurde
hier für seine Verluste in Deutschland und den Niederlanden entschädigt; nach
wechselndem Kriegsglück ging es beim Frieden mit dem Erwerb Venedigs und
Dalmatiens hervor, wodurch seine italienischen Besitzungen eine compacte. mit
den übrigen Provinzen wohl zusammenhängende Masse wurden, und so da¬
stehend wurde es als Großmacht der tonangebende Staat der apenninischen Halb¬
insel. Nur zögernd und weil es dies nicht hindern konnte, gab es die Ver¬
einigung des genuesischen Gebiets mit Piemont zu, jede Vergrößerung nach
Osten, die sür seine Eroberungen nur schwach compensirt hätte, wußte es zu
verhindern, mit dem übrigen Italien hing es nur durch die'schmale parme¬
sanische Grenze zusammen. Chiala citirt ein Memorandum, welches der sar¬
dinische Gesandte. Graf d'Aglio. aus dem wiener Congreß Lord Castlereagh über¬
reichte, in dem die Stellung Piemonts erörtert wurde. „Man hat," heißt es in
demselben, „dem turiner Hofe den Wunsch sich zu vergrößern vorgeworfen, aber
wenn der wiener Hof in seiner Absicht beharrte. alle Gebiete zu behalten, die
er jetzt in Italien innehat, würde er denselben Vorwurf verdienen. Die
Fürsten des Hauses Savonen zwischen zwei mächtige Nachbarn, welche stets
ihre Staaten eifersüchtig bewachen, gestellt, haben natürlicherweise nach Mitteln
suchen müssen, sich zu verstärken und zu vergrößern, je mehr sich ihre Nach¬
barn ausdehnten und je mehr das Militärsystem sich in einem Maße aus-
bildete, wie das in frühern Jahrhunderten unbekannt war. Früher hatte
Piemont, gegen Frankreich durch die Alpen einigermaßen sicher gestellt,' wenig¬
stens auf der italienischen Seite durch die Schwäche seiner Nachbarstaaten
keinen Grund der Beunruhigung. Allerdings war auch damals das Haus
Oestreich ein mächtiger Nachbar, aber weder durch die Ausdehnung seiner Be¬
sitzungen, noch durch deren Lage furchtbar. Das Herzogthum Mailand war
von den andern östreichischen Erbstaaten getrennt, die Zahl der Truppen wäh¬
rend des Friedenszustandes gering, in Kriegszeiten aber machte diese Entfer¬
nung es Piemont möglich, sich in Vertheidigungszustand zu setzen. Wenn
nun aber jetzt eine schon furchtbare Macht die Absicht kundgibt, sich den besten
und größten Theil Italiens anzueignen und sem Gebiet bis zur Grenze Pie-
monts auszudehnen, so darf man die Anstrengungen, die der turiner Hof machen
würde um eine Gebietserweiterung und Hilfsquellen, welche der Gefahr, von
der er bedroht ist, entsprechen, nicht als Begehrlichkeit bezeichnen. In diesem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/99>, abgerufen am 23.05.2024.