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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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4) Gerichtliche Reform durch ein bürgerliches Gesetzbuch nach Muster des
Code Napoleon oder des lombardo-venetianischen oder des neapolitanischen
Gesetzbuches.

5) Regelmäßige Einziehung, der öffentlichen Einkünfte durch das fran¬
zösische System der Steuerbeitreibung.

Oestreich modificirte diesen Plan durch ein Gegcnproject so, daß er un¬
kenntlich wurde und Frankreich darauf verzichtete, solche Scheinverbesserungen
vorzuschlagen. Das wieder Cabinet war sich darin nur selbst treu, es kann
keine liberale Regierung in Italien wollen und weiß, daß sie mit der päpst¬
lichen Herrschaft unverträglich ist. Das französische Cabinet hatte seinerseits
einen empfindlichen Schlag dadurch erhalten, daß infolge einer Indiscre-
tion eine Denkschrift seines Botschafters in Rom, des Grafen Rayneval, in
Daily News abgedruckt wurde, worin die päpstliche Regierung gegen jeden
Vorwurf gerechtfertigt ward. Dieselbe war dem Diplomaten gewiß sehr dank¬
bar dafür, daß er das undankbare Geschäft der Vertheidigung übernommen,
aber er stellte ihrer Lebensfähigkeit doch ein trauriges Zeugniß aus, seine Stel¬
lung war dadurch unhaltbar geworden, er ward abberufen. Diese Denkschrift
bleibt ein merkwürdiges Document, nicht d.er Vertheidigung wegen, sondern
weil darin die Unmöglichkeit einer liberalen päpstlichen Regierung überzeugend
ausgeführt ist. Die Vertheidigung ist ganz schwach, da sie theils unwahre
Thatsachen behauptet, wie, daß Räuberei und Bestechung im Kirchenstaat
nicht schlimmer als in andern Ländern seien, und falsche Zahlen anführt, theils
eine ganz illusorische Unterscheidung zwischen Priestern und Prälaten macht.
Aus die Anklage über die Priesterverwaltung antwortet er nämlich einfach,
daß nur verhältnißmäßig wenig Priester in der Verwaltung seien. Die Curie
habe schon in Zeiten, wo sich noch niemand gegen ihre Autorität erhoben,
wohl eingesehen, daß Altar und weltliches Amt leicht in Conflict kommen
könnten und habe deshalb die Prälatur eingeführt, der überall, selbst im
Cardinalcollegium, Plätze gesichert seien, und Graf Rayneval weist nun nach,
daß die Prälaten überall in der Mehrzahl wären. Aber worauf läuft denn
der ganze Unterschied zwischen ihnen und den Priestern hinaus? Daß sie
nicht den sacerdotalen Charakter haben und keine unwiderruflichen Gelübde
ablegten. Aendert dies aber irgend etwas in ihrer wirklichen Stellung
im Leben und der Negierung? Der Cardinalstaatssccretär Antonelli ist Prälat,
er kann sich morgen verheirathen und in das bürgerliche Leben zurücktreten,
aber wie oft kommt es vor, daß ein Prälat dies thut? Weiß das Volk auch
nur, ob jemand Priester oder Prälat ist? Beide sind thatsächlich demselben
Gesetz unterworfen, und die Möglichkeit der letzteren, sich ihm zu entziehen,
ist für die Wirklichkeit ohne Bedeutung.

Dagegen müssen wir dem Diplomaten durchaus Recht geben, wenn er


4) Gerichtliche Reform durch ein bürgerliches Gesetzbuch nach Muster des
Code Napoleon oder des lombardo-venetianischen oder des neapolitanischen
Gesetzbuches.

5) Regelmäßige Einziehung, der öffentlichen Einkünfte durch das fran¬
zösische System der Steuerbeitreibung.

Oestreich modificirte diesen Plan durch ein Gegcnproject so, daß er un¬
kenntlich wurde und Frankreich darauf verzichtete, solche Scheinverbesserungen
vorzuschlagen. Das wieder Cabinet war sich darin nur selbst treu, es kann
keine liberale Regierung in Italien wollen und weiß, daß sie mit der päpst¬
lichen Herrschaft unverträglich ist. Das französische Cabinet hatte seinerseits
einen empfindlichen Schlag dadurch erhalten, daß infolge einer Indiscre-
tion eine Denkschrift seines Botschafters in Rom, des Grafen Rayneval, in
Daily News abgedruckt wurde, worin die päpstliche Regierung gegen jeden
Vorwurf gerechtfertigt ward. Dieselbe war dem Diplomaten gewiß sehr dank¬
bar dafür, daß er das undankbare Geschäft der Vertheidigung übernommen,
aber er stellte ihrer Lebensfähigkeit doch ein trauriges Zeugniß aus, seine Stel¬
lung war dadurch unhaltbar geworden, er ward abberufen. Diese Denkschrift
bleibt ein merkwürdiges Document, nicht d.er Vertheidigung wegen, sondern
weil darin die Unmöglichkeit einer liberalen päpstlichen Regierung überzeugend
ausgeführt ist. Die Vertheidigung ist ganz schwach, da sie theils unwahre
Thatsachen behauptet, wie, daß Räuberei und Bestechung im Kirchenstaat
nicht schlimmer als in andern Ländern seien, und falsche Zahlen anführt, theils
eine ganz illusorische Unterscheidung zwischen Priestern und Prälaten macht.
Aus die Anklage über die Priesterverwaltung antwortet er nämlich einfach,
daß nur verhältnißmäßig wenig Priester in der Verwaltung seien. Die Curie
habe schon in Zeiten, wo sich noch niemand gegen ihre Autorität erhoben,
wohl eingesehen, daß Altar und weltliches Amt leicht in Conflict kommen
könnten und habe deshalb die Prälatur eingeführt, der überall, selbst im
Cardinalcollegium, Plätze gesichert seien, und Graf Rayneval weist nun nach,
daß die Prälaten überall in der Mehrzahl wären. Aber worauf läuft denn
der ganze Unterschied zwischen ihnen und den Priestern hinaus? Daß sie
nicht den sacerdotalen Charakter haben und keine unwiderruflichen Gelübde
ablegten. Aendert dies aber irgend etwas in ihrer wirklichen Stellung
im Leben und der Negierung? Der Cardinalstaatssccretär Antonelli ist Prälat,
er kann sich morgen verheirathen und in das bürgerliche Leben zurücktreten,
aber wie oft kommt es vor, daß ein Prälat dies thut? Weiß das Volk auch
nur, ob jemand Priester oder Prälat ist? Beide sind thatsächlich demselben
Gesetz unterworfen, und die Möglichkeit der letzteren, sich ihm zu entziehen,
ist für die Wirklichkeit ohne Bedeutung.

Dagegen müssen wir dem Diplomaten durchaus Recht geben, wenn er


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[0193] 4) Gerichtliche Reform durch ein bürgerliches Gesetzbuch nach Muster des Code Napoleon oder des lombardo-venetianischen oder des neapolitanischen Gesetzbuches. 5) Regelmäßige Einziehung, der öffentlichen Einkünfte durch das fran¬ zösische System der Steuerbeitreibung. Oestreich modificirte diesen Plan durch ein Gegcnproject so, daß er un¬ kenntlich wurde und Frankreich darauf verzichtete, solche Scheinverbesserungen vorzuschlagen. Das wieder Cabinet war sich darin nur selbst treu, es kann keine liberale Regierung in Italien wollen und weiß, daß sie mit der päpst¬ lichen Herrschaft unverträglich ist. Das französische Cabinet hatte seinerseits einen empfindlichen Schlag dadurch erhalten, daß infolge einer Indiscre- tion eine Denkschrift seines Botschafters in Rom, des Grafen Rayneval, in Daily News abgedruckt wurde, worin die päpstliche Regierung gegen jeden Vorwurf gerechtfertigt ward. Dieselbe war dem Diplomaten gewiß sehr dank¬ bar dafür, daß er das undankbare Geschäft der Vertheidigung übernommen, aber er stellte ihrer Lebensfähigkeit doch ein trauriges Zeugniß aus, seine Stel¬ lung war dadurch unhaltbar geworden, er ward abberufen. Diese Denkschrift bleibt ein merkwürdiges Document, nicht d.er Vertheidigung wegen, sondern weil darin die Unmöglichkeit einer liberalen päpstlichen Regierung überzeugend ausgeführt ist. Die Vertheidigung ist ganz schwach, da sie theils unwahre Thatsachen behauptet, wie, daß Räuberei und Bestechung im Kirchenstaat nicht schlimmer als in andern Ländern seien, und falsche Zahlen anführt, theils eine ganz illusorische Unterscheidung zwischen Priestern und Prälaten macht. Aus die Anklage über die Priesterverwaltung antwortet er nämlich einfach, daß nur verhältnißmäßig wenig Priester in der Verwaltung seien. Die Curie habe schon in Zeiten, wo sich noch niemand gegen ihre Autorität erhoben, wohl eingesehen, daß Altar und weltliches Amt leicht in Conflict kommen könnten und habe deshalb die Prälatur eingeführt, der überall, selbst im Cardinalcollegium, Plätze gesichert seien, und Graf Rayneval weist nun nach, daß die Prälaten überall in der Mehrzahl wären. Aber worauf läuft denn der ganze Unterschied zwischen ihnen und den Priestern hinaus? Daß sie nicht den sacerdotalen Charakter haben und keine unwiderruflichen Gelübde ablegten. Aendert dies aber irgend etwas in ihrer wirklichen Stellung im Leben und der Negierung? Der Cardinalstaatssccretär Antonelli ist Prälat, er kann sich morgen verheirathen und in das bürgerliche Leben zurücktreten, aber wie oft kommt es vor, daß ein Prälat dies thut? Weiß das Volk auch nur, ob jemand Priester oder Prälat ist? Beide sind thatsächlich demselben Gesetz unterworfen, und die Möglichkeit der letzteren, sich ihm zu entziehen, ist für die Wirklichkeit ohne Bedeutung. Dagegen müssen wir dem Diplomaten durchaus Recht geben, wenn er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/193>, abgerufen am 13.06.2024.