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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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behauptet, durch die verlangten Reformen der Verwaltung würden die wahr¬
haften Schwierigkeiten der Lage keineswegs gehoben. Er schildert den Verfall
der geistlichen Macht Roms und die tiefe Erniedrigung des Papstthums durch
die Flucht'von Pius. "Es war jetzt nicht mehr die heilige Arche, gegen die alle
Anfeindung machtlos scheitern mußte. Alle Zugeständnisse halfen nichts, seine
Existenz wurde in Frage gestellt, man gewöhnte sich an die Idee, es ver¬
schwinden zu sehen." -- Aber wo sind die Mittel, diesen Zustand zu verbes¬
sern? "Eine populäre Regierung ist unmöglich, ear comment eonZtituer un
regime ac liberte et Ac cliLeussion en xresence Ü'un xouvoir iniÄMbls en
matiöre spirituelle et exclusivement blrse sur le xi'ineixe et'autorite'?"
Man hat vorgeschlagen, die Negierung des h. Vaters zu theilen, und die
Legationen und Marken durch einen Delegaten verwalten zu lassen. Darin
liegt eine große Gefahr, man würde in wenigen Monaten in Bologna
die Absetzung des Papstes proclamiren und Krieg gegen Oestreich anfangen.
Es hieße dem Papst eine Unfähigkeitserklärung geben, "er wird dem nie zu"
stimmen, aber in jedem Falle würde das Papstthum dadurch von einem tödt-
lichen Streiche getroffen werden." -- Was ist also der Schluß des Staats¬
mannes, da alle diese Mittel unmöglich sind? "Ich glaube nicht, daß alle
Fragen dieser Welt eine definitive Lösung haben, die römische Frage hat nach
meinem Gefühl eine solche nicht. Man kann also nur durch einen wohl¬
wollenden und aufmerksamen Schutz die Gefahren einer Katastrophe abwen¬
den und ein Provisorium verlängern, das wenigstens das große Verdienst
hat, Europa zahllose Uebel zu ersparen. Sollen die französischen Truppen,
welche mehr eine moralische als materielle Stütze sind (?), zurückberufen
werden, so ist dies besser, als durch Rathschläge oder Combinationen der
weltlichen Gewalt des Papstes den Gnadenstoß zu geben. Bei der großen
Aufregung der Gemüther in Italien und dem tiefen Eindruck, den die Ver¬
öffentlichung der Protokolle hervorgebracht, kann man sich unmöglich des
Gefühls tiefer Beunruhigung über die Zukunft des Papstthums erwehren.
Wenn man sich nicht in Acht nimmt, so wird das schrecklichste Problem sich
vor Europa hinstellen, schrecklich, weil es die tiefsten und brennendsten Leiden¬
schaften des menschlichen Herzens berührt."

Man sieht, dies ist keine Lösung, sondern die Verzweiflung an jeder
Lösung der päpstlichen Frage. Gibt es denn eine Lösung? Wir glauben
keine vollständige, wenn die weltliche Gewalt des Papstes aufrecht erhalten
werden soll. Ein Palliativmittel, wenn der Papst dazu einwilligte, wäre,
seine unbeschränkte Herrschaft auf Rom und die Romagna zu beschränken, für
den übrigen Theil des Kirchenstaates nur seine Suzeränetät bestehen zu lassen
und den Städten wie Bologna, Ferrara, Ancona u. s. w. ihre alte muni¬
cipale Selbststündigkeit wiederzugeben. Aber selbst, wenn unwahrscheinlicher-


behauptet, durch die verlangten Reformen der Verwaltung würden die wahr¬
haften Schwierigkeiten der Lage keineswegs gehoben. Er schildert den Verfall
der geistlichen Macht Roms und die tiefe Erniedrigung des Papstthums durch
die Flucht'von Pius. „Es war jetzt nicht mehr die heilige Arche, gegen die alle
Anfeindung machtlos scheitern mußte. Alle Zugeständnisse halfen nichts, seine
Existenz wurde in Frage gestellt, man gewöhnte sich an die Idee, es ver¬
schwinden zu sehen." — Aber wo sind die Mittel, diesen Zustand zu verbes¬
sern? „Eine populäre Regierung ist unmöglich, ear comment eonZtituer un
regime ac liberte et Ac cliLeussion en xresence Ü'un xouvoir iniÄMbls en
matiöre spirituelle et exclusivement blrse sur le xi'ineixe et'autorite'?"
Man hat vorgeschlagen, die Negierung des h. Vaters zu theilen, und die
Legationen und Marken durch einen Delegaten verwalten zu lassen. Darin
liegt eine große Gefahr, man würde in wenigen Monaten in Bologna
die Absetzung des Papstes proclamiren und Krieg gegen Oestreich anfangen.
Es hieße dem Papst eine Unfähigkeitserklärung geben, „er wird dem nie zu»
stimmen, aber in jedem Falle würde das Papstthum dadurch von einem tödt-
lichen Streiche getroffen werden." — Was ist also der Schluß des Staats¬
mannes, da alle diese Mittel unmöglich sind? „Ich glaube nicht, daß alle
Fragen dieser Welt eine definitive Lösung haben, die römische Frage hat nach
meinem Gefühl eine solche nicht. Man kann also nur durch einen wohl¬
wollenden und aufmerksamen Schutz die Gefahren einer Katastrophe abwen¬
den und ein Provisorium verlängern, das wenigstens das große Verdienst
hat, Europa zahllose Uebel zu ersparen. Sollen die französischen Truppen,
welche mehr eine moralische als materielle Stütze sind (?), zurückberufen
werden, so ist dies besser, als durch Rathschläge oder Combinationen der
weltlichen Gewalt des Papstes den Gnadenstoß zu geben. Bei der großen
Aufregung der Gemüther in Italien und dem tiefen Eindruck, den die Ver¬
öffentlichung der Protokolle hervorgebracht, kann man sich unmöglich des
Gefühls tiefer Beunruhigung über die Zukunft des Papstthums erwehren.
Wenn man sich nicht in Acht nimmt, so wird das schrecklichste Problem sich
vor Europa hinstellen, schrecklich, weil es die tiefsten und brennendsten Leiden¬
schaften des menschlichen Herzens berührt."

Man sieht, dies ist keine Lösung, sondern die Verzweiflung an jeder
Lösung der päpstlichen Frage. Gibt es denn eine Lösung? Wir glauben
keine vollständige, wenn die weltliche Gewalt des Papstes aufrecht erhalten
werden soll. Ein Palliativmittel, wenn der Papst dazu einwilligte, wäre,
seine unbeschränkte Herrschaft auf Rom und die Romagna zu beschränken, für
den übrigen Theil des Kirchenstaates nur seine Suzeränetät bestehen zu lassen
und den Städten wie Bologna, Ferrara, Ancona u. s. w. ihre alte muni¬
cipale Selbststündigkeit wiederzugeben. Aber selbst, wenn unwahrscheinlicher-


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[0194] behauptet, durch die verlangten Reformen der Verwaltung würden die wahr¬ haften Schwierigkeiten der Lage keineswegs gehoben. Er schildert den Verfall der geistlichen Macht Roms und die tiefe Erniedrigung des Papstthums durch die Flucht'von Pius. „Es war jetzt nicht mehr die heilige Arche, gegen die alle Anfeindung machtlos scheitern mußte. Alle Zugeständnisse halfen nichts, seine Existenz wurde in Frage gestellt, man gewöhnte sich an die Idee, es ver¬ schwinden zu sehen." — Aber wo sind die Mittel, diesen Zustand zu verbes¬ sern? „Eine populäre Regierung ist unmöglich, ear comment eonZtituer un regime ac liberte et Ac cliLeussion en xresence Ü'un xouvoir iniÄMbls en matiöre spirituelle et exclusivement blrse sur le xi'ineixe et'autorite'?" Man hat vorgeschlagen, die Negierung des h. Vaters zu theilen, und die Legationen und Marken durch einen Delegaten verwalten zu lassen. Darin liegt eine große Gefahr, man würde in wenigen Monaten in Bologna die Absetzung des Papstes proclamiren und Krieg gegen Oestreich anfangen. Es hieße dem Papst eine Unfähigkeitserklärung geben, „er wird dem nie zu» stimmen, aber in jedem Falle würde das Papstthum dadurch von einem tödt- lichen Streiche getroffen werden." — Was ist also der Schluß des Staats¬ mannes, da alle diese Mittel unmöglich sind? „Ich glaube nicht, daß alle Fragen dieser Welt eine definitive Lösung haben, die römische Frage hat nach meinem Gefühl eine solche nicht. Man kann also nur durch einen wohl¬ wollenden und aufmerksamen Schutz die Gefahren einer Katastrophe abwen¬ den und ein Provisorium verlängern, das wenigstens das große Verdienst hat, Europa zahllose Uebel zu ersparen. Sollen die französischen Truppen, welche mehr eine moralische als materielle Stütze sind (?), zurückberufen werden, so ist dies besser, als durch Rathschläge oder Combinationen der weltlichen Gewalt des Papstes den Gnadenstoß zu geben. Bei der großen Aufregung der Gemüther in Italien und dem tiefen Eindruck, den die Ver¬ öffentlichung der Protokolle hervorgebracht, kann man sich unmöglich des Gefühls tiefer Beunruhigung über die Zukunft des Papstthums erwehren. Wenn man sich nicht in Acht nimmt, so wird das schrecklichste Problem sich vor Europa hinstellen, schrecklich, weil es die tiefsten und brennendsten Leiden¬ schaften des menschlichen Herzens berührt." Man sieht, dies ist keine Lösung, sondern die Verzweiflung an jeder Lösung der päpstlichen Frage. Gibt es denn eine Lösung? Wir glauben keine vollständige, wenn die weltliche Gewalt des Papstes aufrecht erhalten werden soll. Ein Palliativmittel, wenn der Papst dazu einwilligte, wäre, seine unbeschränkte Herrschaft auf Rom und die Romagna zu beschränken, für den übrigen Theil des Kirchenstaates nur seine Suzeränetät bestehen zu lassen und den Städten wie Bologna, Ferrara, Ancona u. s. w. ihre alte muni¬ cipale Selbststündigkeit wiederzugeben. Aber selbst, wenn unwahrscheinlicher-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/194>, abgerufen am 20.05.2024.