Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sitzungen freiwillig in das Vasallenthum eines großen Feudalherrn gaben und
dessen Dienstmannen wurden. Und wie auf dem Lande der Grundherr mit
seinen Vasallen und Hörigen im gegenseitigen Wehr- und Schutzverbande
stand und in ihnen einer streitbaren Macht gebot, so gliederten sich die Bür¬
ger in den Städten nach der Gemeinsamkeit ihrer Handthierungen und Inter¬
essen in Gilden und Zünfte, indem sie an gleichberechtigten freien Genossen
einen immer bereiten Rückhalt suchten und fanden. Grade hier liegt nun der
große Fortschritt der Zunft gegen die frühere hofrechtliche Innung und der,
trotz des gleichmäßigen Zwanges zum Eintritt bei beiden, wesentliche Unter¬
schied. Während dieser Zwang bei der alten Innung als äußere Nöthigurig
zur Wahrung fremder Rechte (der herrschaftlichen Frohnen :c.) auftritt, fließt
er bei den Zünften, nach deren damaliger durchaus zeitgemäßer Bestimmung,
aus dem Wesen der Sache, und entspricht dem Interesse der Genossen. Nur
durch eine so compacte Gliederung in corporativer Form vermochte man die
nöthige Widerstandskraft sich zu sichern, und da der allein dadurch ermög¬
lichte Rechtsschutz den Einzelnen zu ihrem Gewerbebetrieb unentbehrlich war,
so erschien der Zwang zum Beitritt einerseits kaum noch nöthig, da derselbe
ja doch nicht umgangen werden konnte; andererseits aber vollkommen
gerechtfertigt. Mußten die Zunftgenossen Gut und Blut einsetzen, um die
politischen und rechtlichen Garantien, ohne welche ihr Gewerbebetrieb nicht
gedeihen mochte, zu erlangen und zu behaupten, so konnten sie nicht dulden,
daß ein Einzelner sich der durch ihre Opfer und Mühen errungenen Vortheile
bediene, ohne an den Lasten Theil zu nehmen, wodurch die letztern erkauft
wurden; und dies wäre geschehn, sobald er nicht zur Zunft trat. Deshalb
mußten auch die damaligen Staats- und Gemeindebehörden eine so natür¬
liche und billige Forderung respectiren, indem sie sonst den für das Gemein¬
wesen so wichtigen Bestand der Zünfte in Frage gestellt hätten. Auf diese
Weise tritt der von den Zünften gegen alle Fachgenossen geübte Zwang zuo
Beitritt unter den Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung und erhält
in dem Rechtsbewußtsein der Betheiligten die Weihe, als die äußere Aner¬
kennung einer ohnehin bestehenden innern Nöthigung. Der Einzelne wurde
durch die Zunft wesentlich gefördert, konnte nicht ohne sie bestehn, und die
Zunft wiederum nicht ohne den Anschluß aller Einzelnen. So wenig als
die Nothwendigkeit, das Bürgerrecht zu erwerben, um Grundstücke im Stadt¬
bezirk zu besitzen, den Schutz- und Gerichtsbann der Stadt in Anspruch
nehmen, als ein Druck empfunden wurde, so wenig dieser Zunftzwang. Viel¬
mehr war der Ausschluß vom Bürgerrecht und Zunft entehrend, im Gegenfaß
zu dem Einpferchen der Hörigen in die hofrechtlichen Innungen, dem man
sich auf jede Weise zu entziehen und durch die Zünfte, als Genossenschaften
freier Bürger, ein Ende zu machen wußte.


Sitzungen freiwillig in das Vasallenthum eines großen Feudalherrn gaben und
dessen Dienstmannen wurden. Und wie auf dem Lande der Grundherr mit
seinen Vasallen und Hörigen im gegenseitigen Wehr- und Schutzverbande
stand und in ihnen einer streitbaren Macht gebot, so gliederten sich die Bür¬
ger in den Städten nach der Gemeinsamkeit ihrer Handthierungen und Inter¬
essen in Gilden und Zünfte, indem sie an gleichberechtigten freien Genossen
einen immer bereiten Rückhalt suchten und fanden. Grade hier liegt nun der
große Fortschritt der Zunft gegen die frühere hofrechtliche Innung und der,
trotz des gleichmäßigen Zwanges zum Eintritt bei beiden, wesentliche Unter¬
schied. Während dieser Zwang bei der alten Innung als äußere Nöthigurig
zur Wahrung fremder Rechte (der herrschaftlichen Frohnen :c.) auftritt, fließt
er bei den Zünften, nach deren damaliger durchaus zeitgemäßer Bestimmung,
aus dem Wesen der Sache, und entspricht dem Interesse der Genossen. Nur
durch eine so compacte Gliederung in corporativer Form vermochte man die
nöthige Widerstandskraft sich zu sichern, und da der allein dadurch ermög¬
lichte Rechtsschutz den Einzelnen zu ihrem Gewerbebetrieb unentbehrlich war,
so erschien der Zwang zum Beitritt einerseits kaum noch nöthig, da derselbe
ja doch nicht umgangen werden konnte; andererseits aber vollkommen
gerechtfertigt. Mußten die Zunftgenossen Gut und Blut einsetzen, um die
politischen und rechtlichen Garantien, ohne welche ihr Gewerbebetrieb nicht
gedeihen mochte, zu erlangen und zu behaupten, so konnten sie nicht dulden,
daß ein Einzelner sich der durch ihre Opfer und Mühen errungenen Vortheile
bediene, ohne an den Lasten Theil zu nehmen, wodurch die letztern erkauft
wurden; und dies wäre geschehn, sobald er nicht zur Zunft trat. Deshalb
mußten auch die damaligen Staats- und Gemeindebehörden eine so natür¬
liche und billige Forderung respectiren, indem sie sonst den für das Gemein¬
wesen so wichtigen Bestand der Zünfte in Frage gestellt hätten. Auf diese
Weise tritt der von den Zünften gegen alle Fachgenossen geübte Zwang zuo
Beitritt unter den Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung und erhält
in dem Rechtsbewußtsein der Betheiligten die Weihe, als die äußere Aner¬
kennung einer ohnehin bestehenden innern Nöthigung. Der Einzelne wurde
durch die Zunft wesentlich gefördert, konnte nicht ohne sie bestehn, und die
Zunft wiederum nicht ohne den Anschluß aller Einzelnen. So wenig als
die Nothwendigkeit, das Bürgerrecht zu erwerben, um Grundstücke im Stadt¬
bezirk zu besitzen, den Schutz- und Gerichtsbann der Stadt in Anspruch
nehmen, als ein Druck empfunden wurde, so wenig dieser Zunftzwang. Viel¬
mehr war der Ausschluß vom Bürgerrecht und Zunft entehrend, im Gegenfaß
zu dem Einpferchen der Hörigen in die hofrechtlichen Innungen, dem man
sich auf jede Weise zu entziehen und durch die Zünfte, als Genossenschaften
freier Bürger, ein Ende zu machen wußte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107764"/>
          <p xml:id="ID_573" prev="#ID_572"> Sitzungen freiwillig in das Vasallenthum eines großen Feudalherrn gaben und<lb/>
dessen Dienstmannen wurden. Und wie auf dem Lande der Grundherr mit<lb/>
seinen Vasallen und Hörigen im gegenseitigen Wehr- und Schutzverbande<lb/>
stand und in ihnen einer streitbaren Macht gebot, so gliederten sich die Bür¬<lb/>
ger in den Städten nach der Gemeinsamkeit ihrer Handthierungen und Inter¬<lb/>
essen in Gilden und Zünfte, indem sie an gleichberechtigten freien Genossen<lb/>
einen immer bereiten Rückhalt suchten und fanden. Grade hier liegt nun der<lb/>
große Fortschritt der Zunft gegen die frühere hofrechtliche Innung und der,<lb/>
trotz des gleichmäßigen Zwanges zum Eintritt bei beiden, wesentliche Unter¬<lb/>
schied. Während dieser Zwang bei der alten Innung als äußere Nöthigurig<lb/>
zur Wahrung fremder Rechte (der herrschaftlichen Frohnen :c.) auftritt, fließt<lb/>
er bei den Zünften, nach deren damaliger durchaus zeitgemäßer Bestimmung,<lb/>
aus dem Wesen der Sache, und entspricht dem Interesse der Genossen. Nur<lb/>
durch eine so compacte Gliederung in corporativer Form vermochte man die<lb/>
nöthige Widerstandskraft sich zu sichern, und da der allein dadurch ermög¬<lb/>
lichte Rechtsschutz den Einzelnen zu ihrem Gewerbebetrieb unentbehrlich war,<lb/>
so erschien der Zwang zum Beitritt einerseits kaum noch nöthig, da derselbe<lb/>
ja doch nicht umgangen werden konnte; andererseits aber vollkommen<lb/>
gerechtfertigt. Mußten die Zunftgenossen Gut und Blut einsetzen, um die<lb/>
politischen und rechtlichen Garantien, ohne welche ihr Gewerbebetrieb nicht<lb/>
gedeihen mochte, zu erlangen und zu behaupten, so konnten sie nicht dulden,<lb/>
daß ein Einzelner sich der durch ihre Opfer und Mühen errungenen Vortheile<lb/>
bediene, ohne an den Lasten Theil zu nehmen, wodurch die letztern erkauft<lb/>
wurden; und dies wäre geschehn, sobald er nicht zur Zunft trat. Deshalb<lb/>
mußten auch die damaligen Staats- und Gemeindebehörden eine so natür¬<lb/>
liche und billige Forderung respectiren, indem sie sonst den für das Gemein¬<lb/>
wesen so wichtigen Bestand der Zünfte in Frage gestellt hätten. Auf diese<lb/>
Weise tritt der von den Zünften gegen alle Fachgenossen geübte Zwang zuo<lb/>
Beitritt unter den Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung und erhält<lb/>
in dem Rechtsbewußtsein der Betheiligten die Weihe, als die äußere Aner¬<lb/>
kennung einer ohnehin bestehenden innern Nöthigung. Der Einzelne wurde<lb/>
durch die Zunft wesentlich gefördert, konnte nicht ohne sie bestehn, und die<lb/>
Zunft wiederum nicht ohne den Anschluß aller Einzelnen. So wenig als<lb/>
die Nothwendigkeit, das Bürgerrecht zu erwerben, um Grundstücke im Stadt¬<lb/>
bezirk zu besitzen, den Schutz- und Gerichtsbann der Stadt in Anspruch<lb/>
nehmen, als ein Druck empfunden wurde, so wenig dieser Zunftzwang. Viel¬<lb/>
mehr war der Ausschluß vom Bürgerrecht und Zunft entehrend, im Gegenfaß<lb/>
zu dem Einpferchen der Hörigen in die hofrechtlichen Innungen, dem man<lb/>
sich auf jede Weise zu entziehen und durch die Zünfte, als Genossenschaften<lb/>
freier Bürger, ein Ende zu machen wußte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] Sitzungen freiwillig in das Vasallenthum eines großen Feudalherrn gaben und dessen Dienstmannen wurden. Und wie auf dem Lande der Grundherr mit seinen Vasallen und Hörigen im gegenseitigen Wehr- und Schutzverbande stand und in ihnen einer streitbaren Macht gebot, so gliederten sich die Bür¬ ger in den Städten nach der Gemeinsamkeit ihrer Handthierungen und Inter¬ essen in Gilden und Zünfte, indem sie an gleichberechtigten freien Genossen einen immer bereiten Rückhalt suchten und fanden. Grade hier liegt nun der große Fortschritt der Zunft gegen die frühere hofrechtliche Innung und der, trotz des gleichmäßigen Zwanges zum Eintritt bei beiden, wesentliche Unter¬ schied. Während dieser Zwang bei der alten Innung als äußere Nöthigurig zur Wahrung fremder Rechte (der herrschaftlichen Frohnen :c.) auftritt, fließt er bei den Zünften, nach deren damaliger durchaus zeitgemäßer Bestimmung, aus dem Wesen der Sache, und entspricht dem Interesse der Genossen. Nur durch eine so compacte Gliederung in corporativer Form vermochte man die nöthige Widerstandskraft sich zu sichern, und da der allein dadurch ermög¬ lichte Rechtsschutz den Einzelnen zu ihrem Gewerbebetrieb unentbehrlich war, so erschien der Zwang zum Beitritt einerseits kaum noch nöthig, da derselbe ja doch nicht umgangen werden konnte; andererseits aber vollkommen gerechtfertigt. Mußten die Zunftgenossen Gut und Blut einsetzen, um die politischen und rechtlichen Garantien, ohne welche ihr Gewerbebetrieb nicht gedeihen mochte, zu erlangen und zu behaupten, so konnten sie nicht dulden, daß ein Einzelner sich der durch ihre Opfer und Mühen errungenen Vortheile bediene, ohne an den Lasten Theil zu nehmen, wodurch die letztern erkauft wurden; und dies wäre geschehn, sobald er nicht zur Zunft trat. Deshalb mußten auch die damaligen Staats- und Gemeindebehörden eine so natür¬ liche und billige Forderung respectiren, indem sie sonst den für das Gemein¬ wesen so wichtigen Bestand der Zünfte in Frage gestellt hätten. Auf diese Weise tritt der von den Zünften gegen alle Fachgenossen geübte Zwang zuo Beitritt unter den Gesichtspunkt von Leistung und Gegenleistung und erhält in dem Rechtsbewußtsein der Betheiligten die Weihe, als die äußere Aner¬ kennung einer ohnehin bestehenden innern Nöthigung. Der Einzelne wurde durch die Zunft wesentlich gefördert, konnte nicht ohne sie bestehn, und die Zunft wiederum nicht ohne den Anschluß aller Einzelnen. So wenig als die Nothwendigkeit, das Bürgerrecht zu erwerben, um Grundstücke im Stadt¬ bezirk zu besitzen, den Schutz- und Gerichtsbann der Stadt in Anspruch nehmen, als ein Druck empfunden wurde, so wenig dieser Zunftzwang. Viel¬ mehr war der Ausschluß vom Bürgerrecht und Zunft entehrend, im Gegenfaß zu dem Einpferchen der Hörigen in die hofrechtlichen Innungen, dem man sich auf jede Weise zu entziehen und durch die Zünfte, als Genossenschaften freier Bürger, ein Ende zu machen wußte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/178>, abgerufen am 31.05.2024.