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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Aus alledem geht unwiderleglich so viel hervor, daß die Zunft ihrer hi¬
storischen Entstehung und Entwicklung nach in der Hauptsache kein wirthschast-
Uches, sondern ein mehr politisches Institut war. Mochten sich auch hierund
d" gewisse sociale Zwecke beigesellen, z. B. Krankenpflege der Genossen, Sorge
für deren Witwen und Hinterlassene u. tgi., wesentlich waren dieselben sür
die Zünfte nicht, und kommen daher auch durchaus nicht bei allen vor. Das
Wesentliche der Zunft war und blieb, daß sie ihren Mitgliedern diejenigen
äußern Bedingungen im bürgerlichen Leben, ohne welche lohnender Gewerbe¬
betrieb wie politischer Einfluß nicht denkbar sind, gewährte, Sicherheit und
Rechtsschutz und eine Stimme in den öffentlichen Angelegenheiten. In den
Gewerbebetrieb des Einzelnen griff aber die Zunft niemals ein. niemals unter¬
stützte sie ihn in seinem Geschäft, wie dies denn auch in jenen Zeiten im All¬
gemeinen nicht Bedürfniß war. Am allerwenigsten war die Zunft dazu be¬
stimmt, die Handwerker gegen andere, der ihrigen überlegene Betriebsweisen
zu schützen, die es damals nicht gab. Besonders existirte die den Handwerkern
s° feindliche Fabrikindustrie noch gar nicht, die man in unserer Zeit durch den
Zunftzwang sich so gern vom Halse schaffen möchte. Vielmehr war das Hand¬
werk selbst die Blüte des damaligen Gewerbfleißes. die Zunft die geharnischte
Phalanx des Fortschrittes. Es gab damals keine vollkommenere Production,
keine mehr fortgeschrittenen Leute, als die Handwerker, nicht blos in Hinsicht
"us das Gewerbe, sondern auch in allen andern Beziehungen des öffentlichen
"ut Privatlebens. Wo irgend eine fruchtbare neue Idee, ein großes öffent¬
liches Interesse, ein bürgerlicher und humaner Fortschritt in Frage kamen,
w^en sie die Vorkämpfer und Befreier ihrer Zeit, und indem sie im Kampf
gegen den Druck der Feudalherrn, gegen das ausschließliche Geschlechterregi-
went, der bürgerlichen und Gemeindefreihcit zum Siege verhalfen. verdanken
Wir ihnen zum guten Theil eine der Hauptgrundlagen der neuern Civilisation.

Allein diese das Wesen der Zunft bedingende Aufgabe, wornach sich die¬
selbe als die verkörperte Selbsthilfe der Handwerker auf bürgerlich-politischem
Gebiet darstellt, ist mit der fortschreitenden Ausbildung des Rechtsstaates er-
wschen. Das, was ich in den unruhigen Zeiten des Faustrechts, gestützt auf
wanstige Genossen, mir mit Gewalt ertrotzen mußte, gewährt der Staat der
^uzen allen seinen Angehörigen von selbst. Schutz der Person und des
Eigenthums. Sicherheit des Verkehrs und Frieden, diese unschätzbaren Güter,
°due welche Wohlstand und Bildung keine bleibende Stätte haben, darf der
schwächste bei uns beanspruchen, und der Stärkste muß sie respectiren, soll
'du nicht die Wucht der in der Staatsgewalt organisirten Gesammtheit zer¬
schmettern. Je mehr der moderne Staat sich im Laufe der Zeit zu einheit-
^er Leitung consolidirte. je klarer er sich seiner Aufgabe bewußt wurde, desto
""hr sank das Zunftwesen von seiner sonstigen Bedeutung herab, bis esin


Aus alledem geht unwiderleglich so viel hervor, daß die Zunft ihrer hi¬
storischen Entstehung und Entwicklung nach in der Hauptsache kein wirthschast-
Uches, sondern ein mehr politisches Institut war. Mochten sich auch hierund
d" gewisse sociale Zwecke beigesellen, z. B. Krankenpflege der Genossen, Sorge
für deren Witwen und Hinterlassene u. tgi., wesentlich waren dieselben sür
die Zünfte nicht, und kommen daher auch durchaus nicht bei allen vor. Das
Wesentliche der Zunft war und blieb, daß sie ihren Mitgliedern diejenigen
äußern Bedingungen im bürgerlichen Leben, ohne welche lohnender Gewerbe¬
betrieb wie politischer Einfluß nicht denkbar sind, gewährte, Sicherheit und
Rechtsschutz und eine Stimme in den öffentlichen Angelegenheiten. In den
Gewerbebetrieb des Einzelnen griff aber die Zunft niemals ein. niemals unter¬
stützte sie ihn in seinem Geschäft, wie dies denn auch in jenen Zeiten im All¬
gemeinen nicht Bedürfniß war. Am allerwenigsten war die Zunft dazu be¬
stimmt, die Handwerker gegen andere, der ihrigen überlegene Betriebsweisen
zu schützen, die es damals nicht gab. Besonders existirte die den Handwerkern
s° feindliche Fabrikindustrie noch gar nicht, die man in unserer Zeit durch den
Zunftzwang sich so gern vom Halse schaffen möchte. Vielmehr war das Hand¬
werk selbst die Blüte des damaligen Gewerbfleißes. die Zunft die geharnischte
Phalanx des Fortschrittes. Es gab damals keine vollkommenere Production,
keine mehr fortgeschrittenen Leute, als die Handwerker, nicht blos in Hinsicht
«us das Gewerbe, sondern auch in allen andern Beziehungen des öffentlichen
"ut Privatlebens. Wo irgend eine fruchtbare neue Idee, ein großes öffent¬
liches Interesse, ein bürgerlicher und humaner Fortschritt in Frage kamen,
w^en sie die Vorkämpfer und Befreier ihrer Zeit, und indem sie im Kampf
gegen den Druck der Feudalherrn, gegen das ausschließliche Geschlechterregi-
went, der bürgerlichen und Gemeindefreihcit zum Siege verhalfen. verdanken
Wir ihnen zum guten Theil eine der Hauptgrundlagen der neuern Civilisation.

Allein diese das Wesen der Zunft bedingende Aufgabe, wornach sich die¬
selbe als die verkörperte Selbsthilfe der Handwerker auf bürgerlich-politischem
Gebiet darstellt, ist mit der fortschreitenden Ausbildung des Rechtsstaates er-
wschen. Das, was ich in den unruhigen Zeiten des Faustrechts, gestützt auf
wanstige Genossen, mir mit Gewalt ertrotzen mußte, gewährt der Staat der
^uzen allen seinen Angehörigen von selbst. Schutz der Person und des
Eigenthums. Sicherheit des Verkehrs und Frieden, diese unschätzbaren Güter,
°due welche Wohlstand und Bildung keine bleibende Stätte haben, darf der
schwächste bei uns beanspruchen, und der Stärkste muß sie respectiren, soll
'du nicht die Wucht der in der Staatsgewalt organisirten Gesammtheit zer¬
schmettern. Je mehr der moderne Staat sich im Laufe der Zeit zu einheit-
^er Leitung consolidirte. je klarer er sich seiner Aufgabe bewußt wurde, desto
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[0179] Aus alledem geht unwiderleglich so viel hervor, daß die Zunft ihrer hi¬ storischen Entstehung und Entwicklung nach in der Hauptsache kein wirthschast- Uches, sondern ein mehr politisches Institut war. Mochten sich auch hierund d" gewisse sociale Zwecke beigesellen, z. B. Krankenpflege der Genossen, Sorge für deren Witwen und Hinterlassene u. tgi., wesentlich waren dieselben sür die Zünfte nicht, und kommen daher auch durchaus nicht bei allen vor. Das Wesentliche der Zunft war und blieb, daß sie ihren Mitgliedern diejenigen äußern Bedingungen im bürgerlichen Leben, ohne welche lohnender Gewerbe¬ betrieb wie politischer Einfluß nicht denkbar sind, gewährte, Sicherheit und Rechtsschutz und eine Stimme in den öffentlichen Angelegenheiten. In den Gewerbebetrieb des Einzelnen griff aber die Zunft niemals ein. niemals unter¬ stützte sie ihn in seinem Geschäft, wie dies denn auch in jenen Zeiten im All¬ gemeinen nicht Bedürfniß war. Am allerwenigsten war die Zunft dazu be¬ stimmt, die Handwerker gegen andere, der ihrigen überlegene Betriebsweisen zu schützen, die es damals nicht gab. Besonders existirte die den Handwerkern s° feindliche Fabrikindustrie noch gar nicht, die man in unserer Zeit durch den Zunftzwang sich so gern vom Halse schaffen möchte. Vielmehr war das Hand¬ werk selbst die Blüte des damaligen Gewerbfleißes. die Zunft die geharnischte Phalanx des Fortschrittes. Es gab damals keine vollkommenere Production, keine mehr fortgeschrittenen Leute, als die Handwerker, nicht blos in Hinsicht «us das Gewerbe, sondern auch in allen andern Beziehungen des öffentlichen "ut Privatlebens. Wo irgend eine fruchtbare neue Idee, ein großes öffent¬ liches Interesse, ein bürgerlicher und humaner Fortschritt in Frage kamen, w^en sie die Vorkämpfer und Befreier ihrer Zeit, und indem sie im Kampf gegen den Druck der Feudalherrn, gegen das ausschließliche Geschlechterregi- went, der bürgerlichen und Gemeindefreihcit zum Siege verhalfen. verdanken Wir ihnen zum guten Theil eine der Hauptgrundlagen der neuern Civilisation. Allein diese das Wesen der Zunft bedingende Aufgabe, wornach sich die¬ selbe als die verkörperte Selbsthilfe der Handwerker auf bürgerlich-politischem Gebiet darstellt, ist mit der fortschreitenden Ausbildung des Rechtsstaates er- wschen. Das, was ich in den unruhigen Zeiten des Faustrechts, gestützt auf wanstige Genossen, mir mit Gewalt ertrotzen mußte, gewährt der Staat der ^uzen allen seinen Angehörigen von selbst. Schutz der Person und des Eigenthums. Sicherheit des Verkehrs und Frieden, diese unschätzbaren Güter, °due welche Wohlstand und Bildung keine bleibende Stätte haben, darf der schwächste bei uns beanspruchen, und der Stärkste muß sie respectiren, soll 'du nicht die Wucht der in der Staatsgewalt organisirten Gesammtheit zer¬ schmettern. Je mehr der moderne Staat sich im Laufe der Zeit zu einheit- ^er Leitung consolidirte. je klarer er sich seiner Aufgabe bewußt wurde, desto ""hr sank das Zunftwesen von seiner sonstigen Bedeutung herab, bis esin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/179>, abgerufen am 29.05.2024.