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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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mit dem es in seiner Eigenschaft als Industriestadt viel verglichen wird, der
weitem übertroffen. Die dortigen Baumwollenlords haben, so spießbürgerlich
sie in vielen Beziehungen denken mögen, mancherlei für den Schmuck des
Lebens durch die Künste gethan. Und was noch mehr werth ist, die dortigen
Arbeiter besitzen, obgleich ihre Elementarbildung sich mit der ihrer deutsche"
Berufsgenossen nicht vergleichen läßt, einen sehr regen Sinn für Künste und
Wissenschaften, die nicht zum Fache gehören. Sie lassen sich in ihren Athe¬
näums Shakespeares Dramen und Handels Messias vorführen, hören gern
den "Lecturers" zu, die über Naturkunde. Geschichte und andere Wissenschaften
populäre Vorträge halten, üben sich in "Debating Clubs" im Denken und
freien Sprechen. Nicht wenige endlich von den "Hands" der Fabriken Man¬
chesters verwenden ihre Sonntagsnachmittage, welche die deutschen College"
verkegeln oder vertanzen, zu Ausflügen ins Freie, wo sie Pflanzen, Insekten
oder Gesteine sammeln.

Steht nun das deutsche Manchester dem britischen in einigen Seiten des
Bildungsstrebens und. wie bekannt, auch in der Großartigkeit des Geschäfts¬
betriebes nach, so kann es sich nach andern Richtungen hin wiederum ver¬
schiedener sehr erheblicher Vorzüge vor diesem rühmen. Chemnitz hat keine
Redeübungsvereine sür Arbeiter, keine Concert- und Lesesäle für die unteren
Classen der Gesellschaft, aber es hat auch keine ungesunden schmuzigen Ar¬
beiterquartiere, keine in löcherigen Röcken und zerfetzten Beinkleidern herum'
wankenden Bettler, keine "Ginpalaces" mit abschreckend verthierten Snufern,
keine religiöse Sektirerei mit ihren widerlichen Folgen; es bedarf keiner
Nachtasyle für Obdachlose und es entbehrt nicht guter Elementarschulen, '"
denen alle, auch die in den Fabriken arbeitenden Kinder unterrichtet werden.
Möge es, rufen wir mit dem Verfasser, diese Vorzüge immer^ behaupten
und zugleich den löblichen Eigenschaften, durch die sich Manchester auszeichnet,
rüstig nachstreben.

Wie Chemnitz sich durch den regen Geist seiner Bevölkerung sehr wesent¬
lich von der bei aller körperlichen Arbeit doch als schlaff zu bezeichnenden
Art der Obererzgebirger unterscheidet, so Zwickau. die dritte größere Stadt
des Erzgebirges von dem unschönen nüchternen Chemnitz durch seine anrnv-
thige Lage und seine zum Theil noch sehr alterthümliche Physiognomie. Die
Stadt ist von sanften, hierund dort bewaldeten Höhen umgeben, die Mulde,
die an ihr vorüberfließt, ist ein ansehnlicher Fluß. Die Altstadt Zwickau
macht fast den Eindruck eines kleinen Nürnberg. Dichtgeschlossene Zeilen von
Häusern mit hohen steilen Dächern, solid und altväterisch bilden die Gassen-
Der Markt versetzt durch Gebäude eigenartigsten Gepräges, wie den Gasthof
zum Anker, das Rathhaus und den Giebel des Gewandhauses, lebhaft ins
sechzehnte Jahrhundert, wo Thomas Münzer und andere Schwarmgeister hier


mit dem es in seiner Eigenschaft als Industriestadt viel verglichen wird, der
weitem übertroffen. Die dortigen Baumwollenlords haben, so spießbürgerlich
sie in vielen Beziehungen denken mögen, mancherlei für den Schmuck des
Lebens durch die Künste gethan. Und was noch mehr werth ist, die dortigen
Arbeiter besitzen, obgleich ihre Elementarbildung sich mit der ihrer deutsche»
Berufsgenossen nicht vergleichen läßt, einen sehr regen Sinn für Künste und
Wissenschaften, die nicht zum Fache gehören. Sie lassen sich in ihren Athe¬
näums Shakespeares Dramen und Handels Messias vorführen, hören gern
den „Lecturers" zu, die über Naturkunde. Geschichte und andere Wissenschaften
populäre Vorträge halten, üben sich in „Debating Clubs" im Denken und
freien Sprechen. Nicht wenige endlich von den „Hands" der Fabriken Man¬
chesters verwenden ihre Sonntagsnachmittage, welche die deutschen College»
verkegeln oder vertanzen, zu Ausflügen ins Freie, wo sie Pflanzen, Insekten
oder Gesteine sammeln.

Steht nun das deutsche Manchester dem britischen in einigen Seiten des
Bildungsstrebens und. wie bekannt, auch in der Großartigkeit des Geschäfts¬
betriebes nach, so kann es sich nach andern Richtungen hin wiederum ver¬
schiedener sehr erheblicher Vorzüge vor diesem rühmen. Chemnitz hat keine
Redeübungsvereine sür Arbeiter, keine Concert- und Lesesäle für die unteren
Classen der Gesellschaft, aber es hat auch keine ungesunden schmuzigen Ar¬
beiterquartiere, keine in löcherigen Röcken und zerfetzten Beinkleidern herum'
wankenden Bettler, keine „Ginpalaces" mit abschreckend verthierten Snufern,
keine religiöse Sektirerei mit ihren widerlichen Folgen; es bedarf keiner
Nachtasyle für Obdachlose und es entbehrt nicht guter Elementarschulen, '»
denen alle, auch die in den Fabriken arbeitenden Kinder unterrichtet werden.
Möge es, rufen wir mit dem Verfasser, diese Vorzüge immer^ behaupten
und zugleich den löblichen Eigenschaften, durch die sich Manchester auszeichnet,
rüstig nachstreben.

Wie Chemnitz sich durch den regen Geist seiner Bevölkerung sehr wesent¬
lich von der bei aller körperlichen Arbeit doch als schlaff zu bezeichnenden
Art der Obererzgebirger unterscheidet, so Zwickau. die dritte größere Stadt
des Erzgebirges von dem unschönen nüchternen Chemnitz durch seine anrnv-
thige Lage und seine zum Theil noch sehr alterthümliche Physiognomie. Die
Stadt ist von sanften, hierund dort bewaldeten Höhen umgeben, die Mulde,
die an ihr vorüberfließt, ist ein ansehnlicher Fluß. Die Altstadt Zwickau
macht fast den Eindruck eines kleinen Nürnberg. Dichtgeschlossene Zeilen von
Häusern mit hohen steilen Dächern, solid und altväterisch bilden die Gassen-
Der Markt versetzt durch Gebäude eigenartigsten Gepräges, wie den Gasthof
zum Anker, das Rathhaus und den Giebel des Gewandhauses, lebhaft ins
sechzehnte Jahrhundert, wo Thomas Münzer und andere Schwarmgeister hier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/192>, abgerufen am 09.06.2024.