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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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hatte an Oestreich die Forderung gestellt, die Spccialverträge aufzugeben-
diese Forderung wurde durch den Fürsten Windischgrätz zurückgewiesen. Preußen
verlangte den Oberbefehl, nicht über die Bundesarmee in den Formen der
Bundesverfassung, sondern über die nichtöstreichischcn Bundescontingente.
dies Verlangen wurde durch den letzten Antrag Oestreichs, den Prinzen von
Preußen zum Bundesfeldherrn zu ernennen, paralysirt. Wäre also der Frieden
nicht geschlossen worden, so wäre Preußen, das sich bereits auf dem Landtag
gegen Frankreich ausgesprochen und dann seine Armee mobilisirt hatte, wad>-
scheinlich genöthigt gewesen, auch aus die Bedingungen seiner Gegner M
einen Krieg zu unternehmen, der im eignen Lande höchst unpopulär war, u"d
wofür man ihm von keiner Seite würde gedankt haben. Daß dieser Ausgab
vermieden ist, gereicht uns zur besondern Genugthuung.

Folgende Grundsätze scheinen uns in der Politik unwiderleglich. Will man
ausschließlich seinen Vortheil im Auge halten, so kann das Geheimniß unter
Umständen nützlich sein; will man dagegen ganz ehrlich und pflichtgetreu ver¬
fahren, so kann man nicht offen genug zu Werke gehn. Denn im Stillen
zweifelt doch jeder daran, daß ein Staatsmann bei gesunden Sinnen blos
nach dem Katechismus und dem kategorischen Imperativ verfahren wird; non
setzt also bei dem, der schweigt, einen geheimen Hintergedanken voraus.
in diesem Fall war es doppelt nöthig, daß Preußen seine Ehrlichkeit aller
Welt so handgreiflich vor Augen stellte, daß auch der Ungläubigste nicht daran
zweifeln konnte.

Es ist in ganz Europa keinem Menschen unbekannt, daß Preußens geo¬
graphische Lage, wie sie durch die wiener Verträge geschaffen ist, als erste
Lebensbedingung seines wirklichen Fortschritts die Nothw endigten auflegt, ^
zu arrondiren; wenn nicht in der beliebten Form des vorigen Jahrhunderts,
durch Ländertausch, so wenigstens durch Separatbündnisse, die mehr oder
weniger den Anstrich der Mediatisirung haben. Jedermann setzt voraus, daß
Preußen die Absicht haben muß, jede Krisis, die seinem mächtigen nachden
die Hände bindet, zu diesem Zweck zu benutzen. Das Mißtrauen ist d">^
die Lage der Sache vollkommen gerechtfertigt. Wenn Preußen also die
ficht nicht hat, auf diesem Wege vorwärtszugehn (und es hatte in der Tb"
die entschiedene Absicht, es nicht zu thun), so muß es, man lasse uns den
Ausdruck hingehn, mit allen Glocken läuten. Statt dessen hat es in einige"
der wichtigsten Zeitmomente, z. B. gleich nach der Mobilisiru ng, ein so räthsel¬
haftes Stillschweigen bewahrt, daß auch seinen Freunden nicht klar wurde,
was es eigentlich wollte.

Warum haben denn die kleinen deutschen Regierungen von Anfang ""
so laut in die Kricgsfanfare gestoßen? Patriotismus, Liebe zu Oestreich n. s>
das alles hat wol auch seine Rolle gespielt; aber nicht das kleinste Me'v


hatte an Oestreich die Forderung gestellt, die Spccialverträge aufzugeben-
diese Forderung wurde durch den Fürsten Windischgrätz zurückgewiesen. Preußen
verlangte den Oberbefehl, nicht über die Bundesarmee in den Formen der
Bundesverfassung, sondern über die nichtöstreichischcn Bundescontingente.
dies Verlangen wurde durch den letzten Antrag Oestreichs, den Prinzen von
Preußen zum Bundesfeldherrn zu ernennen, paralysirt. Wäre also der Frieden
nicht geschlossen worden, so wäre Preußen, das sich bereits auf dem Landtag
gegen Frankreich ausgesprochen und dann seine Armee mobilisirt hatte, wad>-
scheinlich genöthigt gewesen, auch aus die Bedingungen seiner Gegner M
einen Krieg zu unternehmen, der im eignen Lande höchst unpopulär war, u»d
wofür man ihm von keiner Seite würde gedankt haben. Daß dieser Ausgab
vermieden ist, gereicht uns zur besondern Genugthuung.

Folgende Grundsätze scheinen uns in der Politik unwiderleglich. Will man
ausschließlich seinen Vortheil im Auge halten, so kann das Geheimniß unter
Umständen nützlich sein; will man dagegen ganz ehrlich und pflichtgetreu ver¬
fahren, so kann man nicht offen genug zu Werke gehn. Denn im Stillen
zweifelt doch jeder daran, daß ein Staatsmann bei gesunden Sinnen blos
nach dem Katechismus und dem kategorischen Imperativ verfahren wird; non
setzt also bei dem, der schweigt, einen geheimen Hintergedanken voraus.
in diesem Fall war es doppelt nöthig, daß Preußen seine Ehrlichkeit aller
Welt so handgreiflich vor Augen stellte, daß auch der Ungläubigste nicht daran
zweifeln konnte.

Es ist in ganz Europa keinem Menschen unbekannt, daß Preußens geo¬
graphische Lage, wie sie durch die wiener Verträge geschaffen ist, als erste
Lebensbedingung seines wirklichen Fortschritts die Nothw endigten auflegt, ^
zu arrondiren; wenn nicht in der beliebten Form des vorigen Jahrhunderts,
durch Ländertausch, so wenigstens durch Separatbündnisse, die mehr oder
weniger den Anstrich der Mediatisirung haben. Jedermann setzt voraus, daß
Preußen die Absicht haben muß, jede Krisis, die seinem mächtigen nachden
die Hände bindet, zu diesem Zweck zu benutzen. Das Mißtrauen ist d»>^
die Lage der Sache vollkommen gerechtfertigt. Wenn Preußen also die
ficht nicht hat, auf diesem Wege vorwärtszugehn (und es hatte in der Tb"
die entschiedene Absicht, es nicht zu thun), so muß es, man lasse uns den
Ausdruck hingehn, mit allen Glocken läuten. Statt dessen hat es in einige"
der wichtigsten Zeitmomente, z. B. gleich nach der Mobilisiru ng, ein so räthsel¬
haftes Stillschweigen bewahrt, daß auch seinen Freunden nicht klar wurde,
was es eigentlich wollte.

Warum haben denn die kleinen deutschen Regierungen von Anfang ""
so laut in die Kricgsfanfare gestoßen? Patriotismus, Liebe zu Oestreich n. s>
das alles hat wol auch seine Rolle gespielt; aber nicht das kleinste Me'v


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[0370] hatte an Oestreich die Forderung gestellt, die Spccialverträge aufzugeben- diese Forderung wurde durch den Fürsten Windischgrätz zurückgewiesen. Preußen verlangte den Oberbefehl, nicht über die Bundesarmee in den Formen der Bundesverfassung, sondern über die nichtöstreichischcn Bundescontingente. dies Verlangen wurde durch den letzten Antrag Oestreichs, den Prinzen von Preußen zum Bundesfeldherrn zu ernennen, paralysirt. Wäre also der Frieden nicht geschlossen worden, so wäre Preußen, das sich bereits auf dem Landtag gegen Frankreich ausgesprochen und dann seine Armee mobilisirt hatte, wad>- scheinlich genöthigt gewesen, auch aus die Bedingungen seiner Gegner M einen Krieg zu unternehmen, der im eignen Lande höchst unpopulär war, u»d wofür man ihm von keiner Seite würde gedankt haben. Daß dieser Ausgab vermieden ist, gereicht uns zur besondern Genugthuung. Folgende Grundsätze scheinen uns in der Politik unwiderleglich. Will man ausschließlich seinen Vortheil im Auge halten, so kann das Geheimniß unter Umständen nützlich sein; will man dagegen ganz ehrlich und pflichtgetreu ver¬ fahren, so kann man nicht offen genug zu Werke gehn. Denn im Stillen zweifelt doch jeder daran, daß ein Staatsmann bei gesunden Sinnen blos nach dem Katechismus und dem kategorischen Imperativ verfahren wird; non setzt also bei dem, der schweigt, einen geheimen Hintergedanken voraus. in diesem Fall war es doppelt nöthig, daß Preußen seine Ehrlichkeit aller Welt so handgreiflich vor Augen stellte, daß auch der Ungläubigste nicht daran zweifeln konnte. Es ist in ganz Europa keinem Menschen unbekannt, daß Preußens geo¬ graphische Lage, wie sie durch die wiener Verträge geschaffen ist, als erste Lebensbedingung seines wirklichen Fortschritts die Nothw endigten auflegt, ^ zu arrondiren; wenn nicht in der beliebten Form des vorigen Jahrhunderts, durch Ländertausch, so wenigstens durch Separatbündnisse, die mehr oder weniger den Anstrich der Mediatisirung haben. Jedermann setzt voraus, daß Preußen die Absicht haben muß, jede Krisis, die seinem mächtigen nachden die Hände bindet, zu diesem Zweck zu benutzen. Das Mißtrauen ist d»>^ die Lage der Sache vollkommen gerechtfertigt. Wenn Preußen also die ficht nicht hat, auf diesem Wege vorwärtszugehn (und es hatte in der Tb" die entschiedene Absicht, es nicht zu thun), so muß es, man lasse uns den Ausdruck hingehn, mit allen Glocken läuten. Statt dessen hat es in einige" der wichtigsten Zeitmomente, z. B. gleich nach der Mobilisiru ng, ein so räthsel¬ haftes Stillschweigen bewahrt, daß auch seinen Freunden nicht klar wurde, was es eigentlich wollte. Warum haben denn die kleinen deutschen Regierungen von Anfang "" so laut in die Kricgsfanfare gestoßen? Patriotismus, Liebe zu Oestreich n. s> das alles hat wol auch seine Rolle gespielt; aber nicht das kleinste Me'v

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/370>, abgerufen am 23.05.2024.