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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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beim Vornamen titulirt wird. Man denke sich einen Geheimen Rath, wel¬
cher Signore Augusto, Herr August oder Herr Wilhelm genannt wird. Diese
gesellschaftliche Gleichheit geht sogar so weit, daß selbst der Verbrecher kaum
eine Stufe niedriger sinkt und keine ständische Gliederung hervorruft. Die
Wache unterhält sich ganz harmlos mit dem Galeerensklaven, der ihrer Ob¬
hut anvertraut ist, und der Soldat wartet geduldig und ehrerbietig vor dem
Laden, in dem der zur Arbeit geführte Sträfling sich Schnupftabak kauft.

Der freiwillige Gehorsam, der sich selbst eine Schranke auferlegt, um
einem gemeinsamen höheren Zweck zu dienen, die Ehrfurcht, der ritterliche
Sinn, der aus sittlicher Pflicht in strenger Unterordnung seinen Beruf sieht,
das war dem alten Römer so wenig beizubringen wie es gegenwärtig dem
neuen ist. Die Päpste nannten Deutschland "terra "zlzeÄiöntiire", Deutschland,
das die große Bresche der Reformation in die starren Formen des Katholicis¬
mus geschossen, und stellten den Italienern niemals ein so befriedigendes
Zeugniß einer guten Gesinnung aus. Auch die Völker des Alterthums ge¬
horchten nur gezwungen, sie kannten nur Freiheit oder Sklaverei, Herr oder
Diener, wie selbst Aristoteles die Knechtschaft als die Grundlage der Freiheit
für nothwendig hält; jene Freiheit, welche nur innerhalb eines genau be¬
stimmten Kreises sich entfalten will, und in der Begrenzung sich bescheidet, die
stolz auf das eigne Recht das Recht anderer achtet, sie fand in der roma¬
nischen Race keinen fruchtbaren Boden.

Eine Schwärmerei für mittelalterliche, feudale Institutionen, für das
Helldunkel der Romantik ist dem Italiener, der in der Natur nicht einmal
das Zwielicht der Dämmerung erblickt, kaum mit Worten deutlich zu machen.
Er liebt so sehr das volle, frische Leben, daß, wenn das Christenthum die
Religion des Opfers und der Demuth ist, sein Christenthum auf schwachen
Füßen steht. In Rom, am Sitze des Stellvertreters Christi, wie selten ist da
ein Christusbild zu finden! Wo man nur hinblickt in jedes offenstehende Haus,
in jedem Laden, in der unscheinbarsten Kapelle immer nur die Madonna mit
dem Kinde: nirgend der Märtyrer Christus, der an dem Kreuze blutet. Für
die Leiden Christi hat der Römer keinen empfänglichen Sinn, der poetische
Madonnencultus, die himmlische Liebe der Jungfrau, das fesselt das Feuer
seiner Sinne und erfüllt seine Phantasie mit den schönsten Bildern. Es sind
so viele Madonnenbilder fast in allen Straßen, daß sie früher, bevor die
Franzosen die Gasbeleuchtung einführten, da sie des Abends erhellt werden,
fast die einzige Illumination der ewigen Stadt waren; man konnte damals
mit vollem Rechte behaupten, daß nur von der Madonna das Licht ausging,
das über Rom strahlte. -- Oft dient selbst das Conterfei der Himmelskönigin,
das an einer Häuserecke prangt, zugleich als Warnungstafel, und das, worauf
in anderen Städten die Polizei achtet, ist hier der Mutter Gottes empfohlen.


beim Vornamen titulirt wird. Man denke sich einen Geheimen Rath, wel¬
cher Signore Augusto, Herr August oder Herr Wilhelm genannt wird. Diese
gesellschaftliche Gleichheit geht sogar so weit, daß selbst der Verbrecher kaum
eine Stufe niedriger sinkt und keine ständische Gliederung hervorruft. Die
Wache unterhält sich ganz harmlos mit dem Galeerensklaven, der ihrer Ob¬
hut anvertraut ist, und der Soldat wartet geduldig und ehrerbietig vor dem
Laden, in dem der zur Arbeit geführte Sträfling sich Schnupftabak kauft.

Der freiwillige Gehorsam, der sich selbst eine Schranke auferlegt, um
einem gemeinsamen höheren Zweck zu dienen, die Ehrfurcht, der ritterliche
Sinn, der aus sittlicher Pflicht in strenger Unterordnung seinen Beruf sieht,
das war dem alten Römer so wenig beizubringen wie es gegenwärtig dem
neuen ist. Die Päpste nannten Deutschland „terra «zlzeÄiöntiire", Deutschland,
das die große Bresche der Reformation in die starren Formen des Katholicis¬
mus geschossen, und stellten den Italienern niemals ein so befriedigendes
Zeugniß einer guten Gesinnung aus. Auch die Völker des Alterthums ge¬
horchten nur gezwungen, sie kannten nur Freiheit oder Sklaverei, Herr oder
Diener, wie selbst Aristoteles die Knechtschaft als die Grundlage der Freiheit
für nothwendig hält; jene Freiheit, welche nur innerhalb eines genau be¬
stimmten Kreises sich entfalten will, und in der Begrenzung sich bescheidet, die
stolz auf das eigne Recht das Recht anderer achtet, sie fand in der roma¬
nischen Race keinen fruchtbaren Boden.

Eine Schwärmerei für mittelalterliche, feudale Institutionen, für das
Helldunkel der Romantik ist dem Italiener, der in der Natur nicht einmal
das Zwielicht der Dämmerung erblickt, kaum mit Worten deutlich zu machen.
Er liebt so sehr das volle, frische Leben, daß, wenn das Christenthum die
Religion des Opfers und der Demuth ist, sein Christenthum auf schwachen
Füßen steht. In Rom, am Sitze des Stellvertreters Christi, wie selten ist da
ein Christusbild zu finden! Wo man nur hinblickt in jedes offenstehende Haus,
in jedem Laden, in der unscheinbarsten Kapelle immer nur die Madonna mit
dem Kinde: nirgend der Märtyrer Christus, der an dem Kreuze blutet. Für
die Leiden Christi hat der Römer keinen empfänglichen Sinn, der poetische
Madonnencultus, die himmlische Liebe der Jungfrau, das fesselt das Feuer
seiner Sinne und erfüllt seine Phantasie mit den schönsten Bildern. Es sind
so viele Madonnenbilder fast in allen Straßen, daß sie früher, bevor die
Franzosen die Gasbeleuchtung einführten, da sie des Abends erhellt werden,
fast die einzige Illumination der ewigen Stadt waren; man konnte damals
mit vollem Rechte behaupten, daß nur von der Madonna das Licht ausging,
das über Rom strahlte. — Oft dient selbst das Conterfei der Himmelskönigin,
das an einer Häuserecke prangt, zugleich als Warnungstafel, und das, worauf
in anderen Städten die Polizei achtet, ist hier der Mutter Gottes empfohlen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/38>, abgerufen am 14.05.2024.