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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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völlige Aufhebung in Aussicht gestellt. In dem Großherzogthum Baden
^steht kein Wucherverbot. In Belgien liegen den Kammern Abrogations-
entwürfe vor, welche der Justizminister eingebracht hat. In Hamburg finden
^U' dieselbe erfreuliche Erscheinung, indem die sogenannte Commerzdeputation
>e betreffenden Gesetzentwürfe eindringlich befürwortet hat.

Es scheint nun, als ob diese Zeugnisse und die der Milderungstendenz
Zur Seite stehenden doctrinüren und legislativen Autoritäten dem alten Spruch
^' Wissenschaft auch in den noch zurückstehender Ländern jetzt größere Kraft
^ben, und daß man darauf verzichten wird, das Bestehende länger festzuhalten,
g^ eine neue Auflage des Wucherverbotcs herausgeben zu wollen.

Die nächsten landständischen Versammlungen werden hierüber in Hannover
und Preußen Entscheidung bringen. In Preußen namentlich fanden schon
mehren Jahren sehr eingehende Berathungen über diesen Gegenstand statt,
Mu hohe, in die socialen Verhältnisse so tief eingreifende Bedeutung damit
olle Anerkennung gefunden hat. Zuerst waren die sämmtlichen Handelskammern
^ud kaufmännischen Corporationen des Landes zu umfassenden Gutachten auf¬
gefordert worden. Obschon die große Mehrzahl die unbedingte und schleunige
ufhebung dringend befürwortete, so waren doch auffallenderweise einige ba¬
ngen, und diese Erscheinung veranlaßte das Ministerium, sämmtliche königliche
Vierungen zur ebenmäßigen Begutachtung aufzufordern. So gerüstet hat
^ gute Sache bei der nächsten Session der Kammern einen leichten Sieg
^ hoffen.

, Auch in Oestreich haben die von der Negierung zu begutachtenden Be¬
ichte" aufgeforderten Gerichte sich fast einstimmig bejahend ausgesprochen und
erden demnach auch hier diese Gesetze in der nächsten Zeit aufgehoben wer¬
ben.

Alle Verbote und Strafgesetze bezüglich des Wuchers sind durchaus un-
^"ügend und illusorisch, weil nur in den seltensten Fällen ein solches Verge-
^" zur Anzeige kommt; denn der Beschädigte schämt sich es zu sagen, daß
'e Noth ihn gezwungen hatte, Hilfe bei einem Wucherer zu suchen. Neben
/eher Scham ist es die Furcht, den geringen Credit, welchen er vielleicht noch
^setzt -- ode,, ^et) oft nur zu besitzen wähnt -- sich vollends zu verscherzen,
er weiß, daß ihm niemand mehr borgt, wenn es bekannt wird, daß er zu
verzweifelten Mitteln habe seine Zuflucht nehmen müssen. Endlich ist es
'e Furcht, nachdem er so mittellos geworden, sich auf solche Weise Geld ver-
^"sser zu müssen, er werde durch die Anzeige des mit ihm getriebenen Wu-
jeden anderen Wucherer abschrecken, ihm in ähnlicher Lage zu helfen.

^ Kommt nun aber doch einmal ein Wucherer -- unter vielen tausend Fäl-
" vielleicht einer -- zur Kenntniß des Richters, so ist der bei dem Leugnen
Angeschuldigten zu führende Beweis, wenn nicht durchaus unmöglich, so


^'enjboten III. 1859. 50

völlige Aufhebung in Aussicht gestellt. In dem Großherzogthum Baden
^steht kein Wucherverbot. In Belgien liegen den Kammern Abrogations-
entwürfe vor, welche der Justizminister eingebracht hat. In Hamburg finden
^U' dieselbe erfreuliche Erscheinung, indem die sogenannte Commerzdeputation
>e betreffenden Gesetzentwürfe eindringlich befürwortet hat.

Es scheint nun, als ob diese Zeugnisse und die der Milderungstendenz
Zur Seite stehenden doctrinüren und legislativen Autoritäten dem alten Spruch
^' Wissenschaft auch in den noch zurückstehender Ländern jetzt größere Kraft
^ben, und daß man darauf verzichten wird, das Bestehende länger festzuhalten,
g^ eine neue Auflage des Wucherverbotcs herausgeben zu wollen.

Die nächsten landständischen Versammlungen werden hierüber in Hannover
und Preußen Entscheidung bringen. In Preußen namentlich fanden schon
mehren Jahren sehr eingehende Berathungen über diesen Gegenstand statt,
Mu hohe, in die socialen Verhältnisse so tief eingreifende Bedeutung damit
olle Anerkennung gefunden hat. Zuerst waren die sämmtlichen Handelskammern
^ud kaufmännischen Corporationen des Landes zu umfassenden Gutachten auf¬
gefordert worden. Obschon die große Mehrzahl die unbedingte und schleunige
ufhebung dringend befürwortete, so waren doch auffallenderweise einige ba¬
ngen, und diese Erscheinung veranlaßte das Ministerium, sämmtliche königliche
Vierungen zur ebenmäßigen Begutachtung aufzufordern. So gerüstet hat
^ gute Sache bei der nächsten Session der Kammern einen leichten Sieg
^ hoffen.

, Auch in Oestreich haben die von der Negierung zu begutachtenden Be¬
ichte» aufgeforderten Gerichte sich fast einstimmig bejahend ausgesprochen und
erden demnach auch hier diese Gesetze in der nächsten Zeit aufgehoben wer¬
ben.

Alle Verbote und Strafgesetze bezüglich des Wuchers sind durchaus un-
^"ügend und illusorisch, weil nur in den seltensten Fällen ein solches Verge-
^" zur Anzeige kommt; denn der Beschädigte schämt sich es zu sagen, daß
'e Noth ihn gezwungen hatte, Hilfe bei einem Wucherer zu suchen. Neben
/eher Scham ist es die Furcht, den geringen Credit, welchen er vielleicht noch
^setzt — ode,, ^et) oft nur zu besitzen wähnt — sich vollends zu verscherzen,
er weiß, daß ihm niemand mehr borgt, wenn es bekannt wird, daß er zu
verzweifelten Mitteln habe seine Zuflucht nehmen müssen. Endlich ist es
'e Furcht, nachdem er so mittellos geworden, sich auf solche Weise Geld ver-
^"sser zu müssen, er werde durch die Anzeige des mit ihm getriebenen Wu-
jeden anderen Wucherer abschrecken, ihm in ähnlicher Lage zu helfen.

^ Kommt nun aber doch einmal ein Wucherer — unter vielen tausend Fäl-
" vielleicht einer — zur Kenntniß des Richters, so ist der bei dem Leugnen
Angeschuldigten zu führende Beweis, wenn nicht durchaus unmöglich, so


^'enjboten III. 1859. 50
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[0407] völlige Aufhebung in Aussicht gestellt. In dem Großherzogthum Baden ^steht kein Wucherverbot. In Belgien liegen den Kammern Abrogations- entwürfe vor, welche der Justizminister eingebracht hat. In Hamburg finden ^U' dieselbe erfreuliche Erscheinung, indem die sogenannte Commerzdeputation >e betreffenden Gesetzentwürfe eindringlich befürwortet hat. Es scheint nun, als ob diese Zeugnisse und die der Milderungstendenz Zur Seite stehenden doctrinüren und legislativen Autoritäten dem alten Spruch ^' Wissenschaft auch in den noch zurückstehender Ländern jetzt größere Kraft ^ben, und daß man darauf verzichten wird, das Bestehende länger festzuhalten, g^ eine neue Auflage des Wucherverbotcs herausgeben zu wollen. Die nächsten landständischen Versammlungen werden hierüber in Hannover und Preußen Entscheidung bringen. In Preußen namentlich fanden schon mehren Jahren sehr eingehende Berathungen über diesen Gegenstand statt, Mu hohe, in die socialen Verhältnisse so tief eingreifende Bedeutung damit olle Anerkennung gefunden hat. Zuerst waren die sämmtlichen Handelskammern ^ud kaufmännischen Corporationen des Landes zu umfassenden Gutachten auf¬ gefordert worden. Obschon die große Mehrzahl die unbedingte und schleunige ufhebung dringend befürwortete, so waren doch auffallenderweise einige ba¬ ngen, und diese Erscheinung veranlaßte das Ministerium, sämmtliche königliche Vierungen zur ebenmäßigen Begutachtung aufzufordern. So gerüstet hat ^ gute Sache bei der nächsten Session der Kammern einen leichten Sieg ^ hoffen. , Auch in Oestreich haben die von der Negierung zu begutachtenden Be¬ ichte» aufgeforderten Gerichte sich fast einstimmig bejahend ausgesprochen und erden demnach auch hier diese Gesetze in der nächsten Zeit aufgehoben wer¬ ben. Alle Verbote und Strafgesetze bezüglich des Wuchers sind durchaus un- ^"ügend und illusorisch, weil nur in den seltensten Fällen ein solches Verge- ^" zur Anzeige kommt; denn der Beschädigte schämt sich es zu sagen, daß 'e Noth ihn gezwungen hatte, Hilfe bei einem Wucherer zu suchen. Neben /eher Scham ist es die Furcht, den geringen Credit, welchen er vielleicht noch ^setzt — ode,, ^et) oft nur zu besitzen wähnt — sich vollends zu verscherzen, er weiß, daß ihm niemand mehr borgt, wenn es bekannt wird, daß er zu verzweifelten Mitteln habe seine Zuflucht nehmen müssen. Endlich ist es 'e Furcht, nachdem er so mittellos geworden, sich auf solche Weise Geld ver- ^"sser zu müssen, er werde durch die Anzeige des mit ihm getriebenen Wu- jeden anderen Wucherer abschrecken, ihm in ähnlicher Lage zu helfen. ^ Kommt nun aber doch einmal ein Wucherer — unter vielen tausend Fäl- " vielleicht einer — zur Kenntniß des Richters, so ist der bei dem Leugnen Angeschuldigten zu führende Beweis, wenn nicht durchaus unmöglich, so ^'enjboten III. 1859. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/407>, abgerufen am 17.06.2024.