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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Verbindung Baierns mit Ludwig dem Vierzehnten gegen Oestreich, der sieben¬
jährige Krieg, der Rheinbund, ja selbst die wiener Bundesacte sind die Zeug¬
nisse für die^se Wahrheit. Die Träger der Souveränetät sind in Deutschland
einzig und allein die deutschen Fürsten, und wer von einer Einheit Deutsch¬
lands träumt, muß sich zuerst klar machen, wie er mit diesen abzurechnen hat ;
die vier Stämme werden gegen seine Bemühungen nicht das Mindeste einwenden.

Wahr ist es. daß auch jener Traum der Einheit nicht stattfinden könnte,
wenn nicht diesen physischen Mächten gegenüber eine moralische Macht sich
laut und immer lauter geltend machte : die Nation, die hauptsächlicd durch die
aus dem Protestantismus hervorgegangen? classische Literatur gebildet ist.
Wenn nun der Gedanke sehr nahe liegt, dieser einheitlichen moralischen Macht
den trennenden physischen Mächten gegenüber einen staatlichen Ausdruck zu
geben, so ist er doch unhaltbar.

Auch der Verfasser wird hauptsächlich durch die gegenwärtige nationale
Begeisterung bestimmt, eine organische Entwicklung Deutschlands auch in diesem
Sinn für möglich zu halten. Wir führen, um ihn nicht etwa mißzuverstehn.
seinen Schluß wörtlich an: "Die Neichseinheit wurde dadurch untergraben,
daß die größern Fürsten auf der einen Seite die Befugnisse des Kaisers, d. h,
W Exccutivgewalt. allmälig an sich rissen, und daß sie zugleich auf der an¬
dern Seite alle Rechte und Funktionen der Reichsversammlung sich anmaßten,
also vollziehende und gesetzgebende Gewalt in einer Körperschaft vereinigten,
was sowol den allgemeinen Gesellschaftsgesetzen zuwider, wie ein Vergehn
gegen die germanische Natur war. Die Aneignung der vollziehenden Gewalt
durch die Fürsten kann als historisch berechtigte Entwicklung hingenommen
werden, we.it sie aus dem geschichtlich erwachsenen Stammesparticularismus
beruht; allein die Anmaßung der Befugnisse der Reichsversammlung war anti¬
national, der natürlichen geschichtlichen Entwicklung zuwider, und mußte zum
Unheil führen, weil sie nach zwei Richtungen hin wider die Naturgesetze der
germanischen Stnatcnbildung verstieß. -- weil sie einerseits die Volksvertretung
factisch aufhob, und andrerseits die historisch nothwendig gewordene Unter¬
ordnung des Stammes und des Einzclstaates unter die Gesammtheit vernich¬
tete. Wenn also auch aus Schonung sür tue historische Entwicklung des Par-
ticulari,sans der deutschen Stämme. - welcher freilich in neuester Zeit sehr im
Erlosch^ begriffen ist. im Angesicht der riesigen Einigungsmittel, der Eisen¬
bahnen, .des gemeinsamen Geisteslebens und der gemeinsamen Gefahr -- die
Executivgcwalt der deutschen Nation bei dem Bunde verhältnißmäßig gleich¬
berechtigter Einzelstaaten verbleiben kann - so bleibt doch eine Forderung
unabwendbar, wie der Wille des Schicksals stehe. -- die Wiederherstellung
der deutschen Nationalvertretung."

Bon her fixen Idee des Verfassers, .die Macht .der Fürsten beruhe aus


Verbindung Baierns mit Ludwig dem Vierzehnten gegen Oestreich, der sieben¬
jährige Krieg, der Rheinbund, ja selbst die wiener Bundesacte sind die Zeug¬
nisse für die^se Wahrheit. Die Träger der Souveränetät sind in Deutschland
einzig und allein die deutschen Fürsten, und wer von einer Einheit Deutsch¬
lands träumt, muß sich zuerst klar machen, wie er mit diesen abzurechnen hat ;
die vier Stämme werden gegen seine Bemühungen nicht das Mindeste einwenden.

Wahr ist es. daß auch jener Traum der Einheit nicht stattfinden könnte,
wenn nicht diesen physischen Mächten gegenüber eine moralische Macht sich
laut und immer lauter geltend machte : die Nation, die hauptsächlicd durch die
aus dem Protestantismus hervorgegangen? classische Literatur gebildet ist.
Wenn nun der Gedanke sehr nahe liegt, dieser einheitlichen moralischen Macht
den trennenden physischen Mächten gegenüber einen staatlichen Ausdruck zu
geben, so ist er doch unhaltbar.

Auch der Verfasser wird hauptsächlich durch die gegenwärtige nationale
Begeisterung bestimmt, eine organische Entwicklung Deutschlands auch in diesem
Sinn für möglich zu halten. Wir führen, um ihn nicht etwa mißzuverstehn.
seinen Schluß wörtlich an: „Die Neichseinheit wurde dadurch untergraben,
daß die größern Fürsten auf der einen Seite die Befugnisse des Kaisers, d. h,
W Exccutivgewalt. allmälig an sich rissen, und daß sie zugleich auf der an¬
dern Seite alle Rechte und Funktionen der Reichsversammlung sich anmaßten,
also vollziehende und gesetzgebende Gewalt in einer Körperschaft vereinigten,
was sowol den allgemeinen Gesellschaftsgesetzen zuwider, wie ein Vergehn
gegen die germanische Natur war. Die Aneignung der vollziehenden Gewalt
durch die Fürsten kann als historisch berechtigte Entwicklung hingenommen
werden, we.it sie aus dem geschichtlich erwachsenen Stammesparticularismus
beruht; allein die Anmaßung der Befugnisse der Reichsversammlung war anti¬
national, der natürlichen geschichtlichen Entwicklung zuwider, und mußte zum
Unheil führen, weil sie nach zwei Richtungen hin wider die Naturgesetze der
germanischen Stnatcnbildung verstieß. — weil sie einerseits die Volksvertretung
factisch aufhob, und andrerseits die historisch nothwendig gewordene Unter¬
ordnung des Stammes und des Einzclstaates unter die Gesammtheit vernich¬
tete. Wenn also auch aus Schonung sür tue historische Entwicklung des Par-
ticulari,sans der deutschen Stämme. - welcher freilich in neuester Zeit sehr im
Erlosch^ begriffen ist. im Angesicht der riesigen Einigungsmittel, der Eisen¬
bahnen, .des gemeinsamen Geisteslebens und der gemeinsamen Gefahr — die
Executivgcwalt der deutschen Nation bei dem Bunde verhältnißmäßig gleich¬
berechtigter Einzelstaaten verbleiben kann - so bleibt doch eine Forderung
unabwendbar, wie der Wille des Schicksals stehe. — die Wiederherstellung
der deutschen Nationalvertretung."

Bon her fixen Idee des Verfassers, .die Macht .der Fürsten beruhe aus


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[0043] Verbindung Baierns mit Ludwig dem Vierzehnten gegen Oestreich, der sieben¬ jährige Krieg, der Rheinbund, ja selbst die wiener Bundesacte sind die Zeug¬ nisse für die^se Wahrheit. Die Träger der Souveränetät sind in Deutschland einzig und allein die deutschen Fürsten, und wer von einer Einheit Deutsch¬ lands träumt, muß sich zuerst klar machen, wie er mit diesen abzurechnen hat ; die vier Stämme werden gegen seine Bemühungen nicht das Mindeste einwenden. Wahr ist es. daß auch jener Traum der Einheit nicht stattfinden könnte, wenn nicht diesen physischen Mächten gegenüber eine moralische Macht sich laut und immer lauter geltend machte : die Nation, die hauptsächlicd durch die aus dem Protestantismus hervorgegangen? classische Literatur gebildet ist. Wenn nun der Gedanke sehr nahe liegt, dieser einheitlichen moralischen Macht den trennenden physischen Mächten gegenüber einen staatlichen Ausdruck zu geben, so ist er doch unhaltbar. Auch der Verfasser wird hauptsächlich durch die gegenwärtige nationale Begeisterung bestimmt, eine organische Entwicklung Deutschlands auch in diesem Sinn für möglich zu halten. Wir führen, um ihn nicht etwa mißzuverstehn. seinen Schluß wörtlich an: „Die Neichseinheit wurde dadurch untergraben, daß die größern Fürsten auf der einen Seite die Befugnisse des Kaisers, d. h, W Exccutivgewalt. allmälig an sich rissen, und daß sie zugleich auf der an¬ dern Seite alle Rechte und Funktionen der Reichsversammlung sich anmaßten, also vollziehende und gesetzgebende Gewalt in einer Körperschaft vereinigten, was sowol den allgemeinen Gesellschaftsgesetzen zuwider, wie ein Vergehn gegen die germanische Natur war. Die Aneignung der vollziehenden Gewalt durch die Fürsten kann als historisch berechtigte Entwicklung hingenommen werden, we.it sie aus dem geschichtlich erwachsenen Stammesparticularismus beruht; allein die Anmaßung der Befugnisse der Reichsversammlung war anti¬ national, der natürlichen geschichtlichen Entwicklung zuwider, und mußte zum Unheil führen, weil sie nach zwei Richtungen hin wider die Naturgesetze der germanischen Stnatcnbildung verstieß. — weil sie einerseits die Volksvertretung factisch aufhob, und andrerseits die historisch nothwendig gewordene Unter¬ ordnung des Stammes und des Einzclstaates unter die Gesammtheit vernich¬ tete. Wenn also auch aus Schonung sür tue historische Entwicklung des Par- ticulari,sans der deutschen Stämme. - welcher freilich in neuester Zeit sehr im Erlosch^ begriffen ist. im Angesicht der riesigen Einigungsmittel, der Eisen¬ bahnen, .des gemeinsamen Geisteslebens und der gemeinsamen Gefahr — die Executivgcwalt der deutschen Nation bei dem Bunde verhältnißmäßig gleich¬ berechtigter Einzelstaaten verbleiben kann - so bleibt doch eine Forderung unabwendbar, wie der Wille des Schicksals stehe. — die Wiederherstellung der deutschen Nationalvertretung." Bon her fixen Idee des Verfassers, .die Macht .der Fürsten beruhe aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/43>, abgerufen am 14.05.2024.