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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Die Dragomane, von denen es in Jerusalem gleichfalls sehr viele gibt,
sind mit Recht zu den Plagen des Orients gerechnet worden. Verschlagene,
vielgeriebcne. oft unverschämte Bursche, fordern.sie für ihre Dienste, wenn viel
Nachfrage ist, ungebührlich hohe Preise und nach der Rückkunft natürlich ebenfalls
Extratrinkgelder, und selten halten sie ein, was mit ihnen ausgemacht ist, auch
kann man sich auf ihre Angaben in Betreff von Alterthümern niemals ver¬
lassen. Um eine Antwort sind sie nie verlegen. Thut's die Wahrheit nicht,
denkt der Schelm, so thut's die Lüge.

Ich war so glücklich, eines solchen Patrons entrathen zu können. Kauf-
mann Löwenthal versah die Stelle eines Dragomans, besorgte Pferde, Maul¬
thier, Proviant und Zelt und vermittelte, mit dem Arabischen nicht unbekannt,
der Verkehr mit den Beduinen. Donnerstag den 5. Mai, gegen 1" Uhr
morgens, brachen wir auf, ritten aus dem Jaffathor in das Hinnomthal hinab,
und dann aus dem Thal Josaphat nach der Straße hinauf, die um den Oel-
verg herum nach Bethanien führt, und waren nach etwa drei Viertelstunde"
im Dorfe des Lazarus. Unsere Karavane bestand aus Löwenthal, mir. einem
Webergesellen aus dem Brandenburgischen, der. um den Jordan und das
todte Meer gratis zu sehen, als unser Diener mitging, und einem türkische"
Maulthiertreiber. Ich und Löwenthal waren allein beritten. Der Handmerkö-
bursch hatte es im Vertrauen auf seine Füße, die ihn von Stambul bis Jeru¬
salem getragen, verschmäht, den ihm angebotenen Esel anzunehmen, ein Leicht¬
sinn, der ihm, wenn wir weniger gutherzige Seelen gewesen wären, sehr übel
bekommen sein würde. Ein Maulthier war mit dem Zelt, ein anderes mit
der Kamme oder Proviantkiste und dem Bettzeug beladen. Von unsrer 'Be¬
deckung ließ sich anfangs niemand blicken.

So kamen wir nach Bethanien, welches jetzt El Asarieh heißt. Es ist
ein häßliches Dorf, halb Ruine, halb Schutt- und Nothhaufen, parfümirr ">it
dem Geruch brennenden Düngers, der hier wie überall auf dem Lande u'"
Jerusalem das Hauptfeuerungsmittel ist. Daneben stehen einige Fruchtbäume,
auch sieht man in den Senkungen zur Seite Getreidefelder. Die Einwohner
sind Mohammedaner. Man zeigt hier das Haus des Lazarus. das Ha"s
Simons des Aussätzigen und andere Mönchslügen. Interessanter ist das so¬
genannte Grub des Lazarus. welches unzweifelhaft eine Gruft aus dem Alter¬
thum ist. Ein Fellah leuchtete uns mit einem Endchen Wachsstock in das
tellerartige Fclsengcmach hinab. Auf einer schmalen Treppe von fünfundzwan¬
zig Stufen steigt man in ein Gewölbe hinunter, unter dem sich etliche Stufe"
tiefer ein zweites kleineres öffnet, in welchem der Bruder Marias und M"r-
thas gelegen haben soll, als Jesus ihm sein "Lazarus, komm heraus!" zuritt-
Spashaft war die Hast, mit der sich, als wir das Grab wieder verließen, d>c
Nachbarschaft herzudrängte, um Bakschisch zu fordern. Nachdem der Man",


Die Dragomane, von denen es in Jerusalem gleichfalls sehr viele gibt,
sind mit Recht zu den Plagen des Orients gerechnet worden. Verschlagene,
vielgeriebcne. oft unverschämte Bursche, fordern.sie für ihre Dienste, wenn viel
Nachfrage ist, ungebührlich hohe Preise und nach der Rückkunft natürlich ebenfalls
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kann man sich auf ihre Angaben in Betreff von Alterthümern niemals ver¬
lassen. Um eine Antwort sind sie nie verlegen. Thut's die Wahrheit nicht,
denkt der Schelm, so thut's die Lüge.

Ich war so glücklich, eines solchen Patrons entrathen zu können. Kauf-
mann Löwenthal versah die Stelle eines Dragomans, besorgte Pferde, Maul¬
thier, Proviant und Zelt und vermittelte, mit dem Arabischen nicht unbekannt,
der Verkehr mit den Beduinen. Donnerstag den 5. Mai, gegen 1» Uhr
morgens, brachen wir auf, ritten aus dem Jaffathor in das Hinnomthal hinab,
und dann aus dem Thal Josaphat nach der Straße hinauf, die um den Oel-
verg herum nach Bethanien führt, und waren nach etwa drei Viertelstunde»
im Dorfe des Lazarus. Unsere Karavane bestand aus Löwenthal, mir. einem
Webergesellen aus dem Brandenburgischen, der. um den Jordan und das
todte Meer gratis zu sehen, als unser Diener mitging, und einem türkische"
Maulthiertreiber. Ich und Löwenthal waren allein beritten. Der Handmerkö-
bursch hatte es im Vertrauen auf seine Füße, die ihn von Stambul bis Jeru¬
salem getragen, verschmäht, den ihm angebotenen Esel anzunehmen, ein Leicht¬
sinn, der ihm, wenn wir weniger gutherzige Seelen gewesen wären, sehr übel
bekommen sein würde. Ein Maulthier war mit dem Zelt, ein anderes mit
der Kamme oder Proviantkiste und dem Bettzeug beladen. Von unsrer 'Be¬
deckung ließ sich anfangs niemand blicken.

So kamen wir nach Bethanien, welches jetzt El Asarieh heißt. Es ist
ein häßliches Dorf, halb Ruine, halb Schutt- und Nothhaufen, parfümirr »>it
dem Geruch brennenden Düngers, der hier wie überall auf dem Lande u'»
Jerusalem das Hauptfeuerungsmittel ist. Daneben stehen einige Fruchtbäume,
auch sieht man in den Senkungen zur Seite Getreidefelder. Die Einwohner
sind Mohammedaner. Man zeigt hier das Haus des Lazarus. das Ha"s
Simons des Aussätzigen und andere Mönchslügen. Interessanter ist das so¬
genannte Grub des Lazarus. welches unzweifelhaft eine Gruft aus dem Alter¬
thum ist. Ein Fellah leuchtete uns mit einem Endchen Wachsstock in das
tellerartige Fclsengcmach hinab. Auf einer schmalen Treppe von fünfundzwan¬
zig Stufen steigt man in ein Gewölbe hinunter, unter dem sich etliche Stufe»
tiefer ein zweites kleineres öffnet, in welchem der Bruder Marias und M"r-
thas gelegen haben soll, als Jesus ihm sein „Lazarus, komm heraus!" zuritt-
Spashaft war die Hast, mit der sich, als wir das Grab wieder verließen, d>c
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/438>, abgerufen am 14.05.2024.