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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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unter ihm befindliche Felsenhöhle hinab, wo die Legende Jesum geboren sein
läßt. Während die Kirche ziemlich schmucklos ist. kommt die Kapelle, in die
man die Höhle verwandelt hat, an Pracht der Grabeskirche in Jerusalem
gleich. Wände und Loden des Raumes, der eine Länge von etwa achtzehn
und eine Breite von sechs Schritten hat und ungefähr zehn Fuß hoch ist, sind
mit weißen Marmorplatten belegt. Mehr als dreißig Hängelampen werfen
im Verein mit mehren Leuchtern ein Helles Licht ans die verschiedenen heilige"
Gegenstände in der Grotte. Die besonders verehrten Stellen sind mit seidnen
Stoffen behängen. Hinten im Osten der Höhle ist die Stelle, wo Mur"
entbunden wurde. Sie wird durch einen Altar bezeichnet, unter dem sich
einer Nische eine Tafel von weißem Marmor befindet, auf welcher man, um¬
geben von den Strahlen einer Sonne von Silber und Jaspis, die Worte liest-
"Nie 6<z vn'g'ins Uaria, ^esus Lliiiijtus rmws oft." Etwa fünf Schritte süd¬
lich vou hier steigt man auf sechs Stufen in die kleine Grotte hinab, wo die
Krippe stand, die dem Jesuskind als Wiege diente. Ein ausgehöhlter Marmor-
block stellt jetzt die Krippe vor, die drei großen Silberleuchtcr davor sollen die
Hirten, die hier anbeteten, nach anderer Deutung die römische, die griechische und
die armenische Kirche vorstellen, welche sie hierher gestiftet haben. Der Krippe
gegenüber sieht man den Altar der drei Könige aus dem Morgenland, der um
dem Orte stehen soll, wo jene ältesten Hadschis dem göttlichen Kinde Gold,
Weihrauch und Myrrhen opferten. Die Lampen der Krippcngrotte tragen das
östreichische Wappen. Die Gemälde, welche die Kapelle schmücken, sind meist
Kopien nach Rafael, anch ist ein Originalbild von Giacomo Palma darunter.
Endlich besitzt dieses unterirdische Heiligthum auch eine kleine Orgel.

Der Franciscanermönch, der mir dies alles erklärte, war ein recht freund¬
licher Mann. Sein Gesicht und seine Rede entsprach der Physiognomie des
Ortes, d>e sich so wesentlich von der des heiligen Grabes unterscheidet, wie
dre helle heitere Weihnacht von der düstern schwermüthigen Pracht des katho¬
lischen Charfreitcigs. Aber auch hier steht im Hintergrund der allgemeine H"v
und Zank. Bis auf den Zoll weiß man. wie weit die Grotte den Katholiken,
den Griechen oder Armeniern gehört. Die Silbcrsonne der Geburtsstclle wurde
wegen ihrer lateinischen Inschrift von den Griechen, als sie in den vierziger,
Jahren die Oberhand gewonnen, weggenommen, und nun stritt man sich
lange darüber, bis der von den Diplomaten geängstigte Sultan den gordischen
Knoten damit durchhieb, daß er auf seine Kosten die Sonne wieder machen ließ-


M. B.


Verantwortlicher Redacteur: IX Möris Busch -- Verlag von F. L, Herbig
i" Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

unter ihm befindliche Felsenhöhle hinab, wo die Legende Jesum geboren sein
läßt. Während die Kirche ziemlich schmucklos ist. kommt die Kapelle, in die
man die Höhle verwandelt hat, an Pracht der Grabeskirche in Jerusalem
gleich. Wände und Loden des Raumes, der eine Länge von etwa achtzehn
und eine Breite von sechs Schritten hat und ungefähr zehn Fuß hoch ist, sind
mit weißen Marmorplatten belegt. Mehr als dreißig Hängelampen werfen
im Verein mit mehren Leuchtern ein Helles Licht ans die verschiedenen heilige»
Gegenstände in der Grotte. Die besonders verehrten Stellen sind mit seidnen
Stoffen behängen. Hinten im Osten der Höhle ist die Stelle, wo Mur"
entbunden wurde. Sie wird durch einen Altar bezeichnet, unter dem sich
einer Nische eine Tafel von weißem Marmor befindet, auf welcher man, um¬
geben von den Strahlen einer Sonne von Silber und Jaspis, die Worte liest-
„Nie 6<z vn'g'ins Uaria, ^esus Lliiiijtus rmws oft." Etwa fünf Schritte süd¬
lich vou hier steigt man auf sechs Stufen in die kleine Grotte hinab, wo die
Krippe stand, die dem Jesuskind als Wiege diente. Ein ausgehöhlter Marmor-
block stellt jetzt die Krippe vor, die drei großen Silberleuchtcr davor sollen die
Hirten, die hier anbeteten, nach anderer Deutung die römische, die griechische und
die armenische Kirche vorstellen, welche sie hierher gestiftet haben. Der Krippe
gegenüber sieht man den Altar der drei Könige aus dem Morgenland, der um
dem Orte stehen soll, wo jene ältesten Hadschis dem göttlichen Kinde Gold,
Weihrauch und Myrrhen opferten. Die Lampen der Krippcngrotte tragen das
östreichische Wappen. Die Gemälde, welche die Kapelle schmücken, sind meist
Kopien nach Rafael, anch ist ein Originalbild von Giacomo Palma darunter.
Endlich besitzt dieses unterirdische Heiligthum auch eine kleine Orgel.

Der Franciscanermönch, der mir dies alles erklärte, war ein recht freund¬
licher Mann. Sein Gesicht und seine Rede entsprach der Physiognomie des
Ortes, d>e sich so wesentlich von der des heiligen Grabes unterscheidet, wie
dre helle heitere Weihnacht von der düstern schwermüthigen Pracht des katho¬
lischen Charfreitcigs. Aber auch hier steht im Hintergrund der allgemeine H"v
und Zank. Bis auf den Zoll weiß man. wie weit die Grotte den Katholiken,
den Griechen oder Armeniern gehört. Die Silbcrsonne der Geburtsstclle wurde
wegen ihrer lateinischen Inschrift von den Griechen, als sie in den vierziger,
Jahren die Oberhand gewonnen, weggenommen, und nun stritt man sich
lange darüber, bis der von den Diplomaten geängstigte Sultan den gordischen
Knoten damit durchhieb, daß er auf seine Kosten die Sonne wieder machen ließ-


M. B.


Verantwortlicher Redacteur: IX Möris Busch — Verlag von F. L, Herbig
i» Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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[0454] unter ihm befindliche Felsenhöhle hinab, wo die Legende Jesum geboren sein läßt. Während die Kirche ziemlich schmucklos ist. kommt die Kapelle, in die man die Höhle verwandelt hat, an Pracht der Grabeskirche in Jerusalem gleich. Wände und Loden des Raumes, der eine Länge von etwa achtzehn und eine Breite von sechs Schritten hat und ungefähr zehn Fuß hoch ist, sind mit weißen Marmorplatten belegt. Mehr als dreißig Hängelampen werfen im Verein mit mehren Leuchtern ein Helles Licht ans die verschiedenen heilige» Gegenstände in der Grotte. Die besonders verehrten Stellen sind mit seidnen Stoffen behängen. Hinten im Osten der Höhle ist die Stelle, wo Mur" entbunden wurde. Sie wird durch einen Altar bezeichnet, unter dem sich einer Nische eine Tafel von weißem Marmor befindet, auf welcher man, um¬ geben von den Strahlen einer Sonne von Silber und Jaspis, die Worte liest- „Nie 6<z vn'g'ins Uaria, ^esus Lliiiijtus rmws oft." Etwa fünf Schritte süd¬ lich vou hier steigt man auf sechs Stufen in die kleine Grotte hinab, wo die Krippe stand, die dem Jesuskind als Wiege diente. Ein ausgehöhlter Marmor- block stellt jetzt die Krippe vor, die drei großen Silberleuchtcr davor sollen die Hirten, die hier anbeteten, nach anderer Deutung die römische, die griechische und die armenische Kirche vorstellen, welche sie hierher gestiftet haben. Der Krippe gegenüber sieht man den Altar der drei Könige aus dem Morgenland, der um dem Orte stehen soll, wo jene ältesten Hadschis dem göttlichen Kinde Gold, Weihrauch und Myrrhen opferten. Die Lampen der Krippcngrotte tragen das östreichische Wappen. Die Gemälde, welche die Kapelle schmücken, sind meist Kopien nach Rafael, anch ist ein Originalbild von Giacomo Palma darunter. Endlich besitzt dieses unterirdische Heiligthum auch eine kleine Orgel. Der Franciscanermönch, der mir dies alles erklärte, war ein recht freund¬ licher Mann. Sein Gesicht und seine Rede entsprach der Physiognomie des Ortes, d>e sich so wesentlich von der des heiligen Grabes unterscheidet, wie dre helle heitere Weihnacht von der düstern schwermüthigen Pracht des katho¬ lischen Charfreitcigs. Aber auch hier steht im Hintergrund der allgemeine H"v und Zank. Bis auf den Zoll weiß man. wie weit die Grotte den Katholiken, den Griechen oder Armeniern gehört. Die Silbcrsonne der Geburtsstclle wurde wegen ihrer lateinischen Inschrift von den Griechen, als sie in den vierziger, Jahren die Oberhand gewonnen, weggenommen, und nun stritt man sich lange darüber, bis der von den Diplomaten geängstigte Sultan den gordischen Knoten damit durchhieb, daß er auf seine Kosten die Sonne wieder machen ließ- M. B. Verantwortlicher Redacteur: IX Möris Busch — Verlag von F. L, Herbig i» Leipzig. Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/454>, abgerufen am 13.05.2024.