Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Quell, und tröstet sich damit, ihn so doch unsterblich zu wissen, wenngleich er
ihr auch nicht angehören kann. Nachdem es geschehen preisen die trostsprechen¬
den Nymphen und Hirten den glücklichen Ausweg.

Handel hat sich nie einen unmusikalischen Stoff ausgewählt, und auch
diese ganze Fabel ist wie für die Musik geschaffen. Der ganze sagenhafte,
sonnig romantische Hintergrund des Flur- und Waldlebens, auf dem in
idyllischer Harmlosigkeit Hirten und Nymphen ihr Wesen treiben; das zärt¬
liche Liebespaar, dem etwas vom Schmetterling und der Blume eigen ist und
deren kurze Glückseligkeit durch den unheimlichen Spuk, den man nur belachen
könnte, wenn er nicht eine so traurige Katastrophe herbeiführte, so bald ver¬
nichtet wird; der Tod des Acis, durch den die treue Liebe überhaupt idealisirt
wird, denn er wird unsterblich, weil er ihr sein irdisches Dasein geopfert hat
-- alle diese mannigfachen Einzelnheiten des reichen Bildes vermag auch die
schönste Poesie nicht mit voller Eindringlichkeit zu schildern, sie muß das beste
Theil der Musik überlassen.

Der zweite Band der Ausgabe enthält endlich vier Abtheilungen Klavier-
werke: Acht Suiten zuerst 1720 im eignen Verlag veröffentlicht; neun Klavier¬
stücke 1733 bei Walch in London erschienen; dann zwei Suiten, zwei Capriccios,
eine Chaconne. einen Lesson, ein Präludium und Allegro, eine Sonatine und
zwei Sonaten. Fünf Stücke von diesen 1723 zu Amsterdam bei Witvogel
herausgekommen, einige andere bei Arnold, und einiges Ungedruckte noch
aus Handschriften beigesteuert. Endlich sechs Fugen nach einem Händelschen
Manuscript von 1720.

Die Ausgabe selbst, der von Bachs Werken ganz ähnlich, ist ein Muster
von Schönheit. Die sehr schwierige kritische Herstellung der Werke aus den
mannigfachen vorhandenen Quellen ruht in Chrysanders Händen. Seine aus¬
gezeichnete Händelbiographie hat ein unmaßgebliches Urtheil abgelegt, so°
wol über sein außerordentliches musikhiftorisches Wissen, als auch über seine
musikalische Urtheilskraft, Partiturkenntniß und Scharfsichtigkeit, vor der
manches Dunkel licht wird. Es hätte für die Leitung einer kritischen Aus¬
gabe Handels kein besserer Mann gefunden werden können.

Die Verdeutschung des englischen Textes besorgt Gervinus in sehr an-
erkennenswerther Weise. Außerdem setzt man den Partituren Klavierauszüge
bei. über deren Berechtigung in einer derartigen Ausgabe manche Musiker
wol einige Zweifel hegen möchten; diese werden jedoch niedergeschlagen durch
den praktischen Nutzen für eine weitere Verbreitung, welche die Werke doch
finden müssen, indem sie nun auch Liebhabern, die nicht Partituren lesen können,
zugänglicher werden. Die Klavierauszüge werden von Julius Rietz ausge¬
arbeitet; die vorliegenden folgen mit strenger Sorgfalt der Partitur, wenn
freie Stimmen mitunter zugesetzt sind, so ist es mit durchaus richtigem Ge-


Quell, und tröstet sich damit, ihn so doch unsterblich zu wissen, wenngleich er
ihr auch nicht angehören kann. Nachdem es geschehen preisen die trostsprechen¬
den Nymphen und Hirten den glücklichen Ausweg.

Handel hat sich nie einen unmusikalischen Stoff ausgewählt, und auch
diese ganze Fabel ist wie für die Musik geschaffen. Der ganze sagenhafte,
sonnig romantische Hintergrund des Flur- und Waldlebens, auf dem in
idyllischer Harmlosigkeit Hirten und Nymphen ihr Wesen treiben; das zärt¬
liche Liebespaar, dem etwas vom Schmetterling und der Blume eigen ist und
deren kurze Glückseligkeit durch den unheimlichen Spuk, den man nur belachen
könnte, wenn er nicht eine so traurige Katastrophe herbeiführte, so bald ver¬
nichtet wird; der Tod des Acis, durch den die treue Liebe überhaupt idealisirt
wird, denn er wird unsterblich, weil er ihr sein irdisches Dasein geopfert hat
— alle diese mannigfachen Einzelnheiten des reichen Bildes vermag auch die
schönste Poesie nicht mit voller Eindringlichkeit zu schildern, sie muß das beste
Theil der Musik überlassen.

Der zweite Band der Ausgabe enthält endlich vier Abtheilungen Klavier-
werke: Acht Suiten zuerst 1720 im eignen Verlag veröffentlicht; neun Klavier¬
stücke 1733 bei Walch in London erschienen; dann zwei Suiten, zwei Capriccios,
eine Chaconne. einen Lesson, ein Präludium und Allegro, eine Sonatine und
zwei Sonaten. Fünf Stücke von diesen 1723 zu Amsterdam bei Witvogel
herausgekommen, einige andere bei Arnold, und einiges Ungedruckte noch
aus Handschriften beigesteuert. Endlich sechs Fugen nach einem Händelschen
Manuscript von 1720.

Die Ausgabe selbst, der von Bachs Werken ganz ähnlich, ist ein Muster
von Schönheit. Die sehr schwierige kritische Herstellung der Werke aus den
mannigfachen vorhandenen Quellen ruht in Chrysanders Händen. Seine aus¬
gezeichnete Händelbiographie hat ein unmaßgebliches Urtheil abgelegt, so°
wol über sein außerordentliches musikhiftorisches Wissen, als auch über seine
musikalische Urtheilskraft, Partiturkenntniß und Scharfsichtigkeit, vor der
manches Dunkel licht wird. Es hätte für die Leitung einer kritischen Aus¬
gabe Handels kein besserer Mann gefunden werden können.

Die Verdeutschung des englischen Textes besorgt Gervinus in sehr an-
erkennenswerther Weise. Außerdem setzt man den Partituren Klavierauszüge
bei. über deren Berechtigung in einer derartigen Ausgabe manche Musiker
wol einige Zweifel hegen möchten; diese werden jedoch niedergeschlagen durch
den praktischen Nutzen für eine weitere Verbreitung, welche die Werke doch
finden müssen, indem sie nun auch Liebhabern, die nicht Partituren lesen können,
zugänglicher werden. Die Klavierauszüge werden von Julius Rietz ausge¬
arbeitet; die vorliegenden folgen mit strenger Sorgfalt der Partitur, wenn
freie Stimmen mitunter zugesetzt sind, so ist es mit durchaus richtigem Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108092"/>
          <p xml:id="ID_1654" prev="#ID_1653"> Quell, und tröstet sich damit, ihn so doch unsterblich zu wissen, wenngleich er<lb/>
ihr auch nicht angehören kann. Nachdem es geschehen preisen die trostsprechen¬<lb/>
den Nymphen und Hirten den glücklichen Ausweg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1655"> Handel hat sich nie einen unmusikalischen Stoff ausgewählt, und auch<lb/>
diese ganze Fabel ist wie für die Musik geschaffen. Der ganze sagenhafte,<lb/>
sonnig romantische Hintergrund des Flur- und Waldlebens, auf dem in<lb/>
idyllischer Harmlosigkeit Hirten und Nymphen ihr Wesen treiben; das zärt¬<lb/>
liche Liebespaar, dem etwas vom Schmetterling und der Blume eigen ist und<lb/>
deren kurze Glückseligkeit durch den unheimlichen Spuk, den man nur belachen<lb/>
könnte, wenn er nicht eine so traurige Katastrophe herbeiführte, so bald ver¬<lb/>
nichtet wird; der Tod des Acis, durch den die treue Liebe überhaupt idealisirt<lb/>
wird, denn er wird unsterblich, weil er ihr sein irdisches Dasein geopfert hat<lb/>
&#x2014; alle diese mannigfachen Einzelnheiten des reichen Bildes vermag auch die<lb/>
schönste Poesie nicht mit voller Eindringlichkeit zu schildern, sie muß das beste<lb/>
Theil der Musik überlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1656"> Der zweite Band der Ausgabe enthält endlich vier Abtheilungen Klavier-<lb/>
werke: Acht Suiten zuerst 1720 im eignen Verlag veröffentlicht; neun Klavier¬<lb/>
stücke 1733 bei Walch in London erschienen; dann zwei Suiten, zwei Capriccios,<lb/>
eine Chaconne. einen Lesson, ein Präludium und Allegro, eine Sonatine und<lb/>
zwei Sonaten. Fünf Stücke von diesen 1723 zu Amsterdam bei Witvogel<lb/>
herausgekommen, einige andere bei Arnold, und einiges Ungedruckte noch<lb/>
aus Handschriften beigesteuert. Endlich sechs Fugen nach einem Händelschen<lb/>
Manuscript von 1720.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1657"> Die Ausgabe selbst, der von Bachs Werken ganz ähnlich, ist ein Muster<lb/>
von Schönheit. Die sehr schwierige kritische Herstellung der Werke aus den<lb/>
mannigfachen vorhandenen Quellen ruht in Chrysanders Händen. Seine aus¬<lb/>
gezeichnete Händelbiographie hat ein unmaßgebliches Urtheil abgelegt, so°<lb/>
wol über sein außerordentliches musikhiftorisches Wissen, als auch über seine<lb/>
musikalische Urtheilskraft, Partiturkenntniß und Scharfsichtigkeit, vor der<lb/>
manches Dunkel licht wird. Es hätte für die Leitung einer kritischen Aus¬<lb/>
gabe Handels kein besserer Mann gefunden werden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1658" next="#ID_1659"> Die Verdeutschung des englischen Textes besorgt Gervinus in sehr an-<lb/>
erkennenswerther Weise. Außerdem setzt man den Partituren Klavierauszüge<lb/>
bei. über deren Berechtigung in einer derartigen Ausgabe manche Musiker<lb/>
wol einige Zweifel hegen möchten; diese werden jedoch niedergeschlagen durch<lb/>
den praktischen Nutzen für eine weitere Verbreitung, welche die Werke doch<lb/>
finden müssen, indem sie nun auch Liebhabern, die nicht Partituren lesen können,<lb/>
zugänglicher werden. Die Klavierauszüge werden von Julius Rietz ausge¬<lb/>
arbeitet; die vorliegenden folgen mit strenger Sorgfalt der Partitur, wenn<lb/>
freie Stimmen mitunter zugesetzt sind, so ist es mit durchaus richtigem Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] Quell, und tröstet sich damit, ihn so doch unsterblich zu wissen, wenngleich er ihr auch nicht angehören kann. Nachdem es geschehen preisen die trostsprechen¬ den Nymphen und Hirten den glücklichen Ausweg. Handel hat sich nie einen unmusikalischen Stoff ausgewählt, und auch diese ganze Fabel ist wie für die Musik geschaffen. Der ganze sagenhafte, sonnig romantische Hintergrund des Flur- und Waldlebens, auf dem in idyllischer Harmlosigkeit Hirten und Nymphen ihr Wesen treiben; das zärt¬ liche Liebespaar, dem etwas vom Schmetterling und der Blume eigen ist und deren kurze Glückseligkeit durch den unheimlichen Spuk, den man nur belachen könnte, wenn er nicht eine so traurige Katastrophe herbeiführte, so bald ver¬ nichtet wird; der Tod des Acis, durch den die treue Liebe überhaupt idealisirt wird, denn er wird unsterblich, weil er ihr sein irdisches Dasein geopfert hat — alle diese mannigfachen Einzelnheiten des reichen Bildes vermag auch die schönste Poesie nicht mit voller Eindringlichkeit zu schildern, sie muß das beste Theil der Musik überlassen. Der zweite Band der Ausgabe enthält endlich vier Abtheilungen Klavier- werke: Acht Suiten zuerst 1720 im eignen Verlag veröffentlicht; neun Klavier¬ stücke 1733 bei Walch in London erschienen; dann zwei Suiten, zwei Capriccios, eine Chaconne. einen Lesson, ein Präludium und Allegro, eine Sonatine und zwei Sonaten. Fünf Stücke von diesen 1723 zu Amsterdam bei Witvogel herausgekommen, einige andere bei Arnold, und einiges Ungedruckte noch aus Handschriften beigesteuert. Endlich sechs Fugen nach einem Händelschen Manuscript von 1720. Die Ausgabe selbst, der von Bachs Werken ganz ähnlich, ist ein Muster von Schönheit. Die sehr schwierige kritische Herstellung der Werke aus den mannigfachen vorhandenen Quellen ruht in Chrysanders Händen. Seine aus¬ gezeichnete Händelbiographie hat ein unmaßgebliches Urtheil abgelegt, so° wol über sein außerordentliches musikhiftorisches Wissen, als auch über seine musikalische Urtheilskraft, Partiturkenntniß und Scharfsichtigkeit, vor der manches Dunkel licht wird. Es hätte für die Leitung einer kritischen Aus¬ gabe Handels kein besserer Mann gefunden werden können. Die Verdeutschung des englischen Textes besorgt Gervinus in sehr an- erkennenswerther Weise. Außerdem setzt man den Partituren Klavierauszüge bei. über deren Berechtigung in einer derartigen Ausgabe manche Musiker wol einige Zweifel hegen möchten; diese werden jedoch niedergeschlagen durch den praktischen Nutzen für eine weitere Verbreitung, welche die Werke doch finden müssen, indem sie nun auch Liebhabern, die nicht Partituren lesen können, zugänglicher werden. Die Klavierauszüge werden von Julius Rietz ausge¬ arbeitet; die vorliegenden folgen mit strenger Sorgfalt der Partitur, wenn freie Stimmen mitunter zugesetzt sind, so ist es mit durchaus richtigem Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/506>, abgerufen am 11.05.2024.