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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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sich in der Ferne kahle Hügel, an denen hier und da Ruinen liegen. Ge¬
raume Zeit noch blickt dem Reisenden der spitze Berg mit dem Grabe Nebbi
Samwils nach. Nach einem Ritt von drei starken Stunden erreichten wir B irr eh,
ein großes Dorf mit den Trümmern einer Kirche, mit welcher die Kaiserin Helena
den Ort bezeichnete, wo der Knabe Jesus von seinen aus Jerusalem nach Naza-
reth heimkehrenden Eltern vermißt wurde. Unser Maronit kaufte hier Gerste
für die Pferde ein, während wir an dem alterthümlichen Brunnen vor dem
Orte unsre Thiere tränkten, was nicht ohne heftigen Wortwechsel mit der
Schar kleiner schmutziger Fellahweiber abging, die in den Trögen des Brun¬
nengebäudes ihre Hemden wuschen. Ueber Birreh hinaus fanden wir die Ge¬
gend besser bebaut, jedes Fleckchen fruchtbaren Erdreichs zwischen dem Gestein
War benutzt, und selbst an den Abhängen der Berge zogen sich Getreidefelder
hin. Durch eine wilde Schlucht ritten wir bei beginnender Dämmerung in
ein Thal hinab, dessen Seiten weitausgedehnte Gärten mit wohlgepflegten Feigen-
und Granatbäumen und einzelne Rebenpflanzungen bedeckten, und über dem
aus einem breithingeschichteten Hügel ein stattliches Dorf lag, zu welchem, vom
Schein der sinkenden Sonne angestrahlt, Heerden von Schafen und Ziegen hin¬
aufzogen -- ein Bild ländlicher Wohlhabenheit, welches ich hier im Gebirg
nicht erwartet Härte. Auch weiterhin war das Land, so viel sich bei der Dunkel¬
heit erkennen ließ, fast allenthalben fleißig bebaut, und ich gewann allmülig
den Verlornen Glauben wieder, daß Palästina in alter Zeit die Mühe der
Eroberung verlohnte. Indeß hatte man wenig Neigung, solchen Betrachtun¬
gen nachzuhängen. Die Wege waren entsetzlich, die Pferde müde und unsicher
aus den Beinen. Wiederholt wand sich der schmale Pfad am Rande von schrof¬
fen Senkungen hin, die in der mondlosen Nacht wie tiefe Abgründe erschienen.
In einer düstern, von steilen Wänden überragten Felsenschlucht blinkte eine
Quelle, die der Dragoman als Ain El Haramijeh, d. i. den Räuberborn
bezeichnete, ein Name, der nicht geeignet war, unsre unbehagliche Stimmung
Zu bessern. Nicht weit von hier legte sich das eine Maulthier ohne Erlaubniß
wieder im Weiterziehen hin und konnte nur mit Mühe zum Wiederaufstehen
bewogen werden. Der Dragoman war immer einsilbiger geworden, endlich
schlief er ein, rutschte aus dem Sattel und taumelte nach einem Felsblock,
aus dem er sich hinlagerte, als ob er zu Hause wäre. Mit Worten geweckt,
Kue sie für solche unzeitige Schlaftrunkenheit paßten , rieb er sich die Augen, sah
sich um und fand, daß wir eine falsche Straße eingeschlagen hatten. Wir
kehrten um und ritten eine steile Höhe hinan, auf der sich die Umrisse eines
Dorfes zeigten. Hundegebell scholl uns entgegen. Auf dem Gipfel des Ber-
ües angelangt, hielten wir vor einem Hause und erfuhren, daß wir in Sin-
dschel seien und daß hier gerastet werden sollte. Die Einladung der Bewoh-
"er des Hauses, bei ihnen Nachtquartier zu nehmen, wurde nach einer In-


sich in der Ferne kahle Hügel, an denen hier und da Ruinen liegen. Ge¬
raume Zeit noch blickt dem Reisenden der spitze Berg mit dem Grabe Nebbi
Samwils nach. Nach einem Ritt von drei starken Stunden erreichten wir B irr eh,
ein großes Dorf mit den Trümmern einer Kirche, mit welcher die Kaiserin Helena
den Ort bezeichnete, wo der Knabe Jesus von seinen aus Jerusalem nach Naza-
reth heimkehrenden Eltern vermißt wurde. Unser Maronit kaufte hier Gerste
für die Pferde ein, während wir an dem alterthümlichen Brunnen vor dem
Orte unsre Thiere tränkten, was nicht ohne heftigen Wortwechsel mit der
Schar kleiner schmutziger Fellahweiber abging, die in den Trögen des Brun¬
nengebäudes ihre Hemden wuschen. Ueber Birreh hinaus fanden wir die Ge¬
gend besser bebaut, jedes Fleckchen fruchtbaren Erdreichs zwischen dem Gestein
War benutzt, und selbst an den Abhängen der Berge zogen sich Getreidefelder
hin. Durch eine wilde Schlucht ritten wir bei beginnender Dämmerung in
ein Thal hinab, dessen Seiten weitausgedehnte Gärten mit wohlgepflegten Feigen-
und Granatbäumen und einzelne Rebenpflanzungen bedeckten, und über dem
aus einem breithingeschichteten Hügel ein stattliches Dorf lag, zu welchem, vom
Schein der sinkenden Sonne angestrahlt, Heerden von Schafen und Ziegen hin¬
aufzogen — ein Bild ländlicher Wohlhabenheit, welches ich hier im Gebirg
nicht erwartet Härte. Auch weiterhin war das Land, so viel sich bei der Dunkel¬
heit erkennen ließ, fast allenthalben fleißig bebaut, und ich gewann allmülig
den Verlornen Glauben wieder, daß Palästina in alter Zeit die Mühe der
Eroberung verlohnte. Indeß hatte man wenig Neigung, solchen Betrachtun¬
gen nachzuhängen. Die Wege waren entsetzlich, die Pferde müde und unsicher
aus den Beinen. Wiederholt wand sich der schmale Pfad am Rande von schrof¬
fen Senkungen hin, die in der mondlosen Nacht wie tiefe Abgründe erschienen.
In einer düstern, von steilen Wänden überragten Felsenschlucht blinkte eine
Quelle, die der Dragoman als Ain El Haramijeh, d. i. den Räuberborn
bezeichnete, ein Name, der nicht geeignet war, unsre unbehagliche Stimmung
Zu bessern. Nicht weit von hier legte sich das eine Maulthier ohne Erlaubniß
wieder im Weiterziehen hin und konnte nur mit Mühe zum Wiederaufstehen
bewogen werden. Der Dragoman war immer einsilbiger geworden, endlich
schlief er ein, rutschte aus dem Sattel und taumelte nach einem Felsblock,
aus dem er sich hinlagerte, als ob er zu Hause wäre. Mit Worten geweckt,
Kue sie für solche unzeitige Schlaftrunkenheit paßten , rieb er sich die Augen, sah
sich um und fand, daß wir eine falsche Straße eingeschlagen hatten. Wir
kehrten um und ritten eine steile Höhe hinan, auf der sich die Umrisse eines
Dorfes zeigten. Hundegebell scholl uns entgegen. Auf dem Gipfel des Ber-
ües angelangt, hielten wir vor einem Hause und erfuhren, daß wir in Sin-
dschel seien und daß hier gerastet werden sollte. Die Einladung der Bewoh-
"er des Hauses, bei ihnen Nachtquartier zu nehmen, wurde nach einer In-


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[0509] sich in der Ferne kahle Hügel, an denen hier und da Ruinen liegen. Ge¬ raume Zeit noch blickt dem Reisenden der spitze Berg mit dem Grabe Nebbi Samwils nach. Nach einem Ritt von drei starken Stunden erreichten wir B irr eh, ein großes Dorf mit den Trümmern einer Kirche, mit welcher die Kaiserin Helena den Ort bezeichnete, wo der Knabe Jesus von seinen aus Jerusalem nach Naza- reth heimkehrenden Eltern vermißt wurde. Unser Maronit kaufte hier Gerste für die Pferde ein, während wir an dem alterthümlichen Brunnen vor dem Orte unsre Thiere tränkten, was nicht ohne heftigen Wortwechsel mit der Schar kleiner schmutziger Fellahweiber abging, die in den Trögen des Brun¬ nengebäudes ihre Hemden wuschen. Ueber Birreh hinaus fanden wir die Ge¬ gend besser bebaut, jedes Fleckchen fruchtbaren Erdreichs zwischen dem Gestein War benutzt, und selbst an den Abhängen der Berge zogen sich Getreidefelder hin. Durch eine wilde Schlucht ritten wir bei beginnender Dämmerung in ein Thal hinab, dessen Seiten weitausgedehnte Gärten mit wohlgepflegten Feigen- und Granatbäumen und einzelne Rebenpflanzungen bedeckten, und über dem aus einem breithingeschichteten Hügel ein stattliches Dorf lag, zu welchem, vom Schein der sinkenden Sonne angestrahlt, Heerden von Schafen und Ziegen hin¬ aufzogen — ein Bild ländlicher Wohlhabenheit, welches ich hier im Gebirg nicht erwartet Härte. Auch weiterhin war das Land, so viel sich bei der Dunkel¬ heit erkennen ließ, fast allenthalben fleißig bebaut, und ich gewann allmülig den Verlornen Glauben wieder, daß Palästina in alter Zeit die Mühe der Eroberung verlohnte. Indeß hatte man wenig Neigung, solchen Betrachtun¬ gen nachzuhängen. Die Wege waren entsetzlich, die Pferde müde und unsicher aus den Beinen. Wiederholt wand sich der schmale Pfad am Rande von schrof¬ fen Senkungen hin, die in der mondlosen Nacht wie tiefe Abgründe erschienen. In einer düstern, von steilen Wänden überragten Felsenschlucht blinkte eine Quelle, die der Dragoman als Ain El Haramijeh, d. i. den Räuberborn bezeichnete, ein Name, der nicht geeignet war, unsre unbehagliche Stimmung Zu bessern. Nicht weit von hier legte sich das eine Maulthier ohne Erlaubniß wieder im Weiterziehen hin und konnte nur mit Mühe zum Wiederaufstehen bewogen werden. Der Dragoman war immer einsilbiger geworden, endlich schlief er ein, rutschte aus dem Sattel und taumelte nach einem Felsblock, aus dem er sich hinlagerte, als ob er zu Hause wäre. Mit Worten geweckt, Kue sie für solche unzeitige Schlaftrunkenheit paßten , rieb er sich die Augen, sah sich um und fand, daß wir eine falsche Straße eingeschlagen hatten. Wir kehrten um und ritten eine steile Höhe hinan, auf der sich die Umrisse eines Dorfes zeigten. Hundegebell scholl uns entgegen. Auf dem Gipfel des Ber- ües angelangt, hielten wir vor einem Hause und erfuhren, daß wir in Sin- dschel seien und daß hier gerastet werden sollte. Die Einladung der Bewoh- "er des Hauses, bei ihnen Nachtquartier zu nehmen, wurde nach einer In-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/509>, abgerufen am 25.05.2024.