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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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spection des höhlenartigen Raums, in dem wir mit ihnen schlafen sollten,
dankbar abgelehnt. Auad breitete uns die mitgenommenen Betten auf einen
Stoppclacker in der Nähe. In dem Raum zwischen denselben legte er das
Tischtuch zum Abendessen auf. AIs Leuchter mußte die rothe Papierlaterne
des Lieutenants dienen, die wir am Gesäß seines in die Erde gesteckten Sä¬
bels aufhingen. Tafelmusik besorgten einige Schakale. Der Commanderia-
wcin des Dragomans ließ wenig zu wünschen übrig, und so stellte sich unsre
gute Laune bald wieder her. Als die Laterne verlöschen wollte, kam der
Mond, sie zu ersetzen. Wir rauchten noch eine Pfeife. Dann hüllten wir uns
in unsre Mäntel, steckten unser Schießzeug unter das Kopfkissen und streckten
uns auf die Matratzen. Bald schliefen wir ebenso fest als Auad und die
Mukkarin, deren Schnauben und Schnarchen schon seit einer Weile den Baß
zum Concert der Schakale gemacht hatte.

Früh beim Erwachen entschleierte sich unter uns aus dem Nebel der Mor¬
gendämmerung eine ungemein anmuthige Gegend. Thäler und Berge wa¬
ren voll Fruchtbäume und Getreidefelder. Aus dem Dorfe lief brüllend und
lustig mit den Schweifen wedelnd eine starke Rinderheerde auf die Weide in der
Tiefe hinab. In der Ferne erschienen andere Ortschaften. Weiterhin erhöhten
kahle röthlich graue Berge durch ihren Contrast die Wirkung der grünen Senkungen
in der unmittelbaren Umgebung. Weniger erbaute der Anblick, welchen die
Weiber des Dorfes gewährten, wenn sie aus ihrem Weg zum Brunnen vor unserm
Lager stehen blieben und den Schleier fallen ließen. Sie waren ohne Aus¬
nahme zum Erschrecken häßlich, ungebührlich mager und außerordentlich schmu¬
tzig, und die Sitte, über der Stirn und den Schläfen diademartige Rolle"
von alten Thalern zu tragen und sich die Nasenwurzel und das Kinn mit
blauen Blumen zu tättowiren, machte sie eben nicht schöner.

! Als wir weiter zogen, begegneten uns in einem Hohlweg zwei berittne
Baschibosuks, die einen Neger eskortirten, welchem die Hände auf den Rücken
gebunden waren. "Leev un laärol" sagte unser Dragoman, nachdem er die
Kriegsleute über den Burschen befragt. Es war ein Räuber, der schon seit
geraumer Zeit die Straße von Radius nach Nnzarcth unsicher gemacht hatte,
vorige Nacht aber beim Ueberfall eines Hauses gefangen genommen worden
war und nach Jerusalem geschafft werden sollte. Da er nicht aussah, als ob
er sich loskaufen könnte, so wird er jetzt vermuthlich schon der landesüblichen
Gerechtigkeit Genüge geleistet haben. Die Todesstrafe wird, so weit mir bekannt,
gegenwärtig nicht mehr verhängt, aber man läßt die Verbrecher in den Gefäng¬
nissen verkommen, und das soll bei der Einrichtung dieser Löcher ziemlich rasch
von Statten gehen.

Der Weg von hier nach Radius hatte Aehnlichkeit mit dem am vorher¬
gehenden Tage zurückgelegten. Bald erkletterten wir einen Berg, bald stiegt


spection des höhlenartigen Raums, in dem wir mit ihnen schlafen sollten,
dankbar abgelehnt. Auad breitete uns die mitgenommenen Betten auf einen
Stoppclacker in der Nähe. In dem Raum zwischen denselben legte er das
Tischtuch zum Abendessen auf. AIs Leuchter mußte die rothe Papierlaterne
des Lieutenants dienen, die wir am Gesäß seines in die Erde gesteckten Sä¬
bels aufhingen. Tafelmusik besorgten einige Schakale. Der Commanderia-
wcin des Dragomans ließ wenig zu wünschen übrig, und so stellte sich unsre
gute Laune bald wieder her. Als die Laterne verlöschen wollte, kam der
Mond, sie zu ersetzen. Wir rauchten noch eine Pfeife. Dann hüllten wir uns
in unsre Mäntel, steckten unser Schießzeug unter das Kopfkissen und streckten
uns auf die Matratzen. Bald schliefen wir ebenso fest als Auad und die
Mukkarin, deren Schnauben und Schnarchen schon seit einer Weile den Baß
zum Concert der Schakale gemacht hatte.

Früh beim Erwachen entschleierte sich unter uns aus dem Nebel der Mor¬
gendämmerung eine ungemein anmuthige Gegend. Thäler und Berge wa¬
ren voll Fruchtbäume und Getreidefelder. Aus dem Dorfe lief brüllend und
lustig mit den Schweifen wedelnd eine starke Rinderheerde auf die Weide in der
Tiefe hinab. In der Ferne erschienen andere Ortschaften. Weiterhin erhöhten
kahle röthlich graue Berge durch ihren Contrast die Wirkung der grünen Senkungen
in der unmittelbaren Umgebung. Weniger erbaute der Anblick, welchen die
Weiber des Dorfes gewährten, wenn sie aus ihrem Weg zum Brunnen vor unserm
Lager stehen blieben und den Schleier fallen ließen. Sie waren ohne Aus¬
nahme zum Erschrecken häßlich, ungebührlich mager und außerordentlich schmu¬
tzig, und die Sitte, über der Stirn und den Schläfen diademartige Rolle»
von alten Thalern zu tragen und sich die Nasenwurzel und das Kinn mit
blauen Blumen zu tättowiren, machte sie eben nicht schöner.

! Als wir weiter zogen, begegneten uns in einem Hohlweg zwei berittne
Baschibosuks, die einen Neger eskortirten, welchem die Hände auf den Rücken
gebunden waren. „Leev un laärol" sagte unser Dragoman, nachdem er die
Kriegsleute über den Burschen befragt. Es war ein Räuber, der schon seit
geraumer Zeit die Straße von Radius nach Nnzarcth unsicher gemacht hatte,
vorige Nacht aber beim Ueberfall eines Hauses gefangen genommen worden
war und nach Jerusalem geschafft werden sollte. Da er nicht aussah, als ob
er sich loskaufen könnte, so wird er jetzt vermuthlich schon der landesüblichen
Gerechtigkeit Genüge geleistet haben. Die Todesstrafe wird, so weit mir bekannt,
gegenwärtig nicht mehr verhängt, aber man läßt die Verbrecher in den Gefäng¬
nissen verkommen, und das soll bei der Einrichtung dieser Löcher ziemlich rasch
von Statten gehen.

Der Weg von hier nach Radius hatte Aehnlichkeit mit dem am vorher¬
gehenden Tage zurückgelegten. Bald erkletterten wir einen Berg, bald stiegt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/510>, abgerufen am 17.06.2024.