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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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berichtigen kann. 3) Sie läßt 'sich infolge dessen auch nicht zur Entdeckung
positiver Thatsachen, zur Erweiterung des Wissens anwenden; ob man sie an¬
nimmt oder verwirft, das praktische Resultat bleibt dasselbe. 4) Sie gibt sich
in ihrer Form durchaus dillettantisch kund; sie geht nicht aus einer wissen¬
schaftlichen Methode, sondern aus willkürlicher Anwendung scholastischer Be¬
stimmungen hervor. -- Die höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft,
sagte Schelling zwei Jahr später, sei die vollkommene Vergeistigung aller
Naturgesetze zu Gesetzen des Anschauens und Denkens, die vollendete Theorie
der Natur diejenige, kraft welcher die ganze Natur sich in Intelligenz auf¬
löste. -- Mit einer solchen Theorie weiß freilich der Naturforscher nicht viel
anzufangen.

Auf der andern Seite ist aber von dem Unfug der spätern Naturphilo¬
sophen in diesem Werk noch nicht die Rede. Es enthält überraschende Com¬
binationen, die aber nur in den seltensten Fällen ganz leer sind, und die den
denkenden Forscher wol lebhast anregen konnten. Es würde aber noch mehr
leisten, wenn der Ausdruck nicht gar zu oft schwerfällig und schwülstig wäre,
wenn der Verfasser nicht darauf ausgegangen wäre, ein System künstlich auf¬
zubauen, wo doch nur eine sehr sporadische Kenntniß vorlag.

Daß es auf das poetische Naturgefühl günstig gewirkt, können wir nicht
finden. Die Poesie findet nur da ihren Gegenstand, wo entwickelte Formen,
Typen, an die man glaubt, vorhanden sind, diese Andacht wird aber durch
das Gefühl, daß alles fließt, untergraben. Der Pantheismus, anscheinend
der Naturbegeisterung entsprungen, untergräbt das fromme und sinnige Natur¬
gefühl, das auch im Werden die Ruhe, die Vollendung sucht. Die fragmen¬
tarischen Aeußerungen des Faust sind noch immer viel poetischer als dieses
mit phantastischen Arabesken durchflochtene dialektische Netz. Schelling freilich
glaubte, wie seine Freunde, die Romantiker es begehrten, die Natur
durch Vergeistigung auch dichterisch verklärt zu haben. Nicht ohne Interesse ist
sein Versuch (1800), in der Weise Goethes und Tiecks diesem Gefühl einen
Ausdruck zu geben. In der Welt steckt ein Riesengeist -- "ist aber versteinert
mit allen Sinnen, kann nicht aus dem engen Panzer heraus, noch sprengen
sein eisern Kerkerhaus, obgleich er oft die Flügel regt, sich gewaltig dehnt
und bewegt, in todten und lebendigen Dingen thut nach Bewußtsein mächtig
ringen . . . Und hofft durch Drehen und durch Winden die rechte Form und
Gestalt zu finden; und dampfend so mit Füß und Händ gegen widrig Ele¬
ment, lernt er im Kleinen Raum gewinnen, darin er zuerst kommt zum Be¬
sinnen. In einen Zwergen eingeschlossen von schöner Gestalt und graben
Sprossen (heißt in der Sprache Menschenkind), der Riesengeist sich selber findt;
von eisernem Schlaf, von langem Traum erwacht, sich selber erkennet kaum,
über sich selbst gar sehr verwundert ist. möcht alsbald wieder mit den Sinnen


berichtigen kann. 3) Sie läßt 'sich infolge dessen auch nicht zur Entdeckung
positiver Thatsachen, zur Erweiterung des Wissens anwenden; ob man sie an¬
nimmt oder verwirft, das praktische Resultat bleibt dasselbe. 4) Sie gibt sich
in ihrer Form durchaus dillettantisch kund; sie geht nicht aus einer wissen¬
schaftlichen Methode, sondern aus willkürlicher Anwendung scholastischer Be¬
stimmungen hervor. — Die höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft,
sagte Schelling zwei Jahr später, sei die vollkommene Vergeistigung aller
Naturgesetze zu Gesetzen des Anschauens und Denkens, die vollendete Theorie
der Natur diejenige, kraft welcher die ganze Natur sich in Intelligenz auf¬
löste. — Mit einer solchen Theorie weiß freilich der Naturforscher nicht viel
anzufangen.

Auf der andern Seite ist aber von dem Unfug der spätern Naturphilo¬
sophen in diesem Werk noch nicht die Rede. Es enthält überraschende Com¬
binationen, die aber nur in den seltensten Fällen ganz leer sind, und die den
denkenden Forscher wol lebhast anregen konnten. Es würde aber noch mehr
leisten, wenn der Ausdruck nicht gar zu oft schwerfällig und schwülstig wäre,
wenn der Verfasser nicht darauf ausgegangen wäre, ein System künstlich auf¬
zubauen, wo doch nur eine sehr sporadische Kenntniß vorlag.

Daß es auf das poetische Naturgefühl günstig gewirkt, können wir nicht
finden. Die Poesie findet nur da ihren Gegenstand, wo entwickelte Formen,
Typen, an die man glaubt, vorhanden sind, diese Andacht wird aber durch
das Gefühl, daß alles fließt, untergraben. Der Pantheismus, anscheinend
der Naturbegeisterung entsprungen, untergräbt das fromme und sinnige Natur¬
gefühl, das auch im Werden die Ruhe, die Vollendung sucht. Die fragmen¬
tarischen Aeußerungen des Faust sind noch immer viel poetischer als dieses
mit phantastischen Arabesken durchflochtene dialektische Netz. Schelling freilich
glaubte, wie seine Freunde, die Romantiker es begehrten, die Natur
durch Vergeistigung auch dichterisch verklärt zu haben. Nicht ohne Interesse ist
sein Versuch (1800), in der Weise Goethes und Tiecks diesem Gefühl einen
Ausdruck zu geben. In der Welt steckt ein Riesengeist — „ist aber versteinert
mit allen Sinnen, kann nicht aus dem engen Panzer heraus, noch sprengen
sein eisern Kerkerhaus, obgleich er oft die Flügel regt, sich gewaltig dehnt
und bewegt, in todten und lebendigen Dingen thut nach Bewußtsein mächtig
ringen . . . Und hofft durch Drehen und durch Winden die rechte Form und
Gestalt zu finden; und dampfend so mit Füß und Händ gegen widrig Ele¬
ment, lernt er im Kleinen Raum gewinnen, darin er zuerst kommt zum Be¬
sinnen. In einen Zwergen eingeschlossen von schöner Gestalt und graben
Sprossen (heißt in der Sprache Menschenkind), der Riesengeist sich selber findt;
von eisernem Schlaf, von langem Traum erwacht, sich selber erkennet kaum,
über sich selbst gar sehr verwundert ist. möcht alsbald wieder mit den Sinnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/68>, abgerufen am 09.06.2024.