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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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in die große Natur zerrinnen . . . seiner Abkunft ganz vergißt, thut sich mit
Gespenstern plagen, könnt also zu sich selber sagen: ich bin der Gott, der
die Welt im Busen hegt, der Geist, der sich in allem bewegt; vom ersten Rin¬
gen dunkler Kräfte bis zum Erguß der ersten Lebenssäfte, wo Kraft in Kraft
und Stoff in Stoff verquillt, ist Eine Kraft. Ein Wechselspiel und Leben.
Eintrieb und Drang nach innerm Leben" u. s. w.

Nachdem sich Schelling in Leipzig. Spätherbst 1797. von einem lebens¬
gefährlichen Nervensieber erholt, trat er zu Fichte in nähere Beziehung, und
zugleich mit Goethe. Schiller u. a. über eine Professur in Jena in Unterhand¬
lung. Die Berufung erfolgte im Juli 1798; im August kam er in Dresden
an, wo sich Karoline Schlegel seit einigen Monaten mit ihrer Tochter und
ihrem treuen Begleiter Gries aufhielt; ihr Mann A. W. Schlegel führte sei¬
nen Bruder Friedrich aus Berlin ebendahin, Novalis kam mehrfach zum Be¬
such, und so war die romantische Colonie fertig, in welche Schelling als hoff¬
nungsvoller Jünger (24 Jahr alt) eingeführt wurde. Erst im October reiste
er mit Gries nach Jena ab, nachdem kurz vorher auch Fichte ihn in Dresden
begrüßt hatte.

Hier zeigte er sich als sehr geschickter Diplomat. Mit Schiller stand er
ebenso gut als mit seinen Gegnern Fichte und Schlegel; wenn er nicht viel
mit ihm philosophirte, spielten sie doch regelmäßig Whist zusammen. Zu
Goethe wurden seine Beziehungen um so inniger, da er mit einsichtsvoller
Theilnahme aufhellt Steckenpferd, die Farbenlehre einging, und da der Pantheis¬
mus ihre gemeinsame Kirche war. Das Athenäum, das Organ der ..neuen
Schule", machte für die Naturphilosophie ebenso Propaganda Wie für Fichte;
aus den Schriften Schillers und Fr. Schlegels ergänzte Schelling seine Ideen über
Kunst, und das gute Verhältniß zu den Romantikern wurde bei der damaligen
Toleranz auch durch sein Verhältniß zu Karoline Schlegel nicht gestört. Am er¬
wünschtesten war ihm die Ankunft von Steffens, dem ersten Naturforscher von
Fach, der feierlich zu ihm überging und seine Speculationen concreter aus¬
führte. Man muß die begeisterte Schilderung in der Selbstbiographie dieses
Mannes lesen, um sich von dem damaligen Taumel ein Bild zu machen.
Indem Schelling das neue Brownsche System der Irritabilität adoptirte. wurde
" der intellectuelle Führer einer neuen Schule der Medicin (Marcus, Rösch¬
laub; dann auch Erhard u. a.); eine Reihe begeisterter Jünger fanden sich in
Jena ein; jeder unruhige Experimentator (z.B. Ritter) rechnete sich zur neuen
Schule und suchte ihre Sprache zu reden.

Zum Behuf seiner Vorlesung auf Ostern 1799 gab er den ersten Ent¬
wurf eines Systems der Naturphilosophie heraus, in welchem das
Thema der "Weltseele" schematisire und in syllogistische Formen gebracht wurde.
Zum Schluß dieser Schrift kam ihm Baaders Schrift "über das Pythago-


in die große Natur zerrinnen . . . seiner Abkunft ganz vergißt, thut sich mit
Gespenstern plagen, könnt also zu sich selber sagen: ich bin der Gott, der
die Welt im Busen hegt, der Geist, der sich in allem bewegt; vom ersten Rin¬
gen dunkler Kräfte bis zum Erguß der ersten Lebenssäfte, wo Kraft in Kraft
und Stoff in Stoff verquillt, ist Eine Kraft. Ein Wechselspiel und Leben.
Eintrieb und Drang nach innerm Leben" u. s. w.

Nachdem sich Schelling in Leipzig. Spätherbst 1797. von einem lebens¬
gefährlichen Nervensieber erholt, trat er zu Fichte in nähere Beziehung, und
zugleich mit Goethe. Schiller u. a. über eine Professur in Jena in Unterhand¬
lung. Die Berufung erfolgte im Juli 1798; im August kam er in Dresden
an, wo sich Karoline Schlegel seit einigen Monaten mit ihrer Tochter und
ihrem treuen Begleiter Gries aufhielt; ihr Mann A. W. Schlegel führte sei¬
nen Bruder Friedrich aus Berlin ebendahin, Novalis kam mehrfach zum Be¬
such, und so war die romantische Colonie fertig, in welche Schelling als hoff¬
nungsvoller Jünger (24 Jahr alt) eingeführt wurde. Erst im October reiste
er mit Gries nach Jena ab, nachdem kurz vorher auch Fichte ihn in Dresden
begrüßt hatte.

Hier zeigte er sich als sehr geschickter Diplomat. Mit Schiller stand er
ebenso gut als mit seinen Gegnern Fichte und Schlegel; wenn er nicht viel
mit ihm philosophirte, spielten sie doch regelmäßig Whist zusammen. Zu
Goethe wurden seine Beziehungen um so inniger, da er mit einsichtsvoller
Theilnahme aufhellt Steckenpferd, die Farbenlehre einging, und da der Pantheis¬
mus ihre gemeinsame Kirche war. Das Athenäum, das Organ der ..neuen
Schule", machte für die Naturphilosophie ebenso Propaganda Wie für Fichte;
aus den Schriften Schillers und Fr. Schlegels ergänzte Schelling seine Ideen über
Kunst, und das gute Verhältniß zu den Romantikern wurde bei der damaligen
Toleranz auch durch sein Verhältniß zu Karoline Schlegel nicht gestört. Am er¬
wünschtesten war ihm die Ankunft von Steffens, dem ersten Naturforscher von
Fach, der feierlich zu ihm überging und seine Speculationen concreter aus¬
führte. Man muß die begeisterte Schilderung in der Selbstbiographie dieses
Mannes lesen, um sich von dem damaligen Taumel ein Bild zu machen.
Indem Schelling das neue Brownsche System der Irritabilität adoptirte. wurde
" der intellectuelle Führer einer neuen Schule der Medicin (Marcus, Rösch¬
laub; dann auch Erhard u. a.); eine Reihe begeisterter Jünger fanden sich in
Jena ein; jeder unruhige Experimentator (z.B. Ritter) rechnete sich zur neuen
Schule und suchte ihre Sprache zu reden.

Zum Behuf seiner Vorlesung auf Ostern 1799 gab er den ersten Ent¬
wurf eines Systems der Naturphilosophie heraus, in welchem das
Thema der „Weltseele" schematisire und in syllogistische Formen gebracht wurde.
Zum Schluß dieser Schrift kam ihm Baaders Schrift „über das Pythago-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/69>, abgerufen am 29.05.2024.