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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Kampfe gegen Mitbewerber um die Gunst des kunstbedürstigen Volkes be¬
griffen, und zu keiner Zeit verkennt man, wie die Kirche mit dem Siegen oder
Unterliegen in diesem Wettstreite stehen oder fallen muß.

Die Schauspielkunst hat sich nur nach langjährigen Anstrengungen zur
weltlichen Selbstständigkeit durcharbeiten können. Die Kirche erkannte auf den
ersten Blick diese gefährlichste aller Nebenbuhlerinnen, und man weiß, wie lange
alle derartigen Bestrebungen sich in der zwingenden Form von Mysterien,
Morälitäten und Klosterschauspielen unschädlich machen lassen mußten. Vor
allem versuchten die Jesuiten noch einmal die den Händen der Kirche entschlü¬
pfende Schauspielkunst ihr zurückzuerobern. Oft genug in dieser Bedeutung
erwähnt ist die um das Jahr 1597 von den Jesuiten auf offenem Markt zur
Aufführung gebrachte Monsterkomödie, "der Kampf des Erzengels Michael
mit dem Lucifer", wobei nicht weniger als 900 Personen den Chor bildeten.
Vierzig Jahre später gaben die Jesuiten in Neapel zu Ehren der Infantin
eine Vorstellung, welche 7000 Ducaten kostete, und wobei schon Kinder in
Wolken umherschifften, eine später dem Jesuitenstil in der Malerei, so werth
gewordene Erfindung. Auch die Benedictinerinnen von Santa Maria Dorn'
Albina führten bei derselben Veranlassung Schauspiele für Damen auf, ohne
übrigens es übel zu nehmen, daß eine Menge Cavaliere, von den obern
Fenstern der Kirche aus, diesem heiligen Spectakel zusahen.

Wie aber in Neapel der Vicekönig Moniere" von dieser Kunst bis zu
einem Grade angesteckt wurde, daß er um jeden Preis Schauspieler unterstützt
wissen wollte und sogar den spanischen Offizieren und einer gewissen Classe
unbeschützter Frauenzimmer bei einer monatlichen Schauspielsteuer von vier
' Carolin gebot, das Theater zu besuchen, so verallgemeinerte sich auch an
andern Orten bald der Geschmack an dieser Vergnügung und allmälig
wurde die Kirche in ihren desfallsigen Monopolansprüchcn überflügelt.

Wenn wir uns an Calderon und Shakespeare erinnern, so gibt das seiner
Kirche häufig noch dienstbare Schaffen des erstern und die völlig dem ein¬
zigen Dienste der Kunst gewidmete Thätigkeit des andern Anhaltepunkte ge¬
nug, welche das Unterliegen der Kirche in diesem Wettstreit nicht unerfreulich
erscheinen lassen.

Gegenwärtig ist die Schauspielkunst zu einer Macht angewachsen, die sich
nicht viel leichter unterdrücken lassen würde, als etwa die Presse selbst. Alles,
was selbst in Rom gegen sie auszurichten ist, beschränkt sich darauf, daß man
ihr bestimmte unfreiwillige Ferien auferlegt, z. B. von Aschermittwoch an bis
Ostern, immer eine nicht unbedeutende Unterbrechung, geeignet, mancher deut¬
schen Theaterkasse einen empfindlichen Stoß zu geben.

Während dieser Fastenzeit tritt nun die Kirche in ihr altes Recht zurück:
selbst und zwar allein die Sinne des Volkes zu beschäftigen, und sie läßt kei-


Kampfe gegen Mitbewerber um die Gunst des kunstbedürstigen Volkes be¬
griffen, und zu keiner Zeit verkennt man, wie die Kirche mit dem Siegen oder
Unterliegen in diesem Wettstreite stehen oder fallen muß.

Die Schauspielkunst hat sich nur nach langjährigen Anstrengungen zur
weltlichen Selbstständigkeit durcharbeiten können. Die Kirche erkannte auf den
ersten Blick diese gefährlichste aller Nebenbuhlerinnen, und man weiß, wie lange
alle derartigen Bestrebungen sich in der zwingenden Form von Mysterien,
Morälitäten und Klosterschauspielen unschädlich machen lassen mußten. Vor
allem versuchten die Jesuiten noch einmal die den Händen der Kirche entschlü¬
pfende Schauspielkunst ihr zurückzuerobern. Oft genug in dieser Bedeutung
erwähnt ist die um das Jahr 1597 von den Jesuiten auf offenem Markt zur
Aufführung gebrachte Monsterkomödie, „der Kampf des Erzengels Michael
mit dem Lucifer", wobei nicht weniger als 900 Personen den Chor bildeten.
Vierzig Jahre später gaben die Jesuiten in Neapel zu Ehren der Infantin
eine Vorstellung, welche 7000 Ducaten kostete, und wobei schon Kinder in
Wolken umherschifften, eine später dem Jesuitenstil in der Malerei, so werth
gewordene Erfindung. Auch die Benedictinerinnen von Santa Maria Dorn'
Albina führten bei derselben Veranlassung Schauspiele für Damen auf, ohne
übrigens es übel zu nehmen, daß eine Menge Cavaliere, von den obern
Fenstern der Kirche aus, diesem heiligen Spectakel zusahen.

Wie aber in Neapel der Vicekönig Moniere» von dieser Kunst bis zu
einem Grade angesteckt wurde, daß er um jeden Preis Schauspieler unterstützt
wissen wollte und sogar den spanischen Offizieren und einer gewissen Classe
unbeschützter Frauenzimmer bei einer monatlichen Schauspielsteuer von vier
' Carolin gebot, das Theater zu besuchen, so verallgemeinerte sich auch an
andern Orten bald der Geschmack an dieser Vergnügung und allmälig
wurde die Kirche in ihren desfallsigen Monopolansprüchcn überflügelt.

Wenn wir uns an Calderon und Shakespeare erinnern, so gibt das seiner
Kirche häufig noch dienstbare Schaffen des erstern und die völlig dem ein¬
zigen Dienste der Kunst gewidmete Thätigkeit des andern Anhaltepunkte ge¬
nug, welche das Unterliegen der Kirche in diesem Wettstreit nicht unerfreulich
erscheinen lassen.

Gegenwärtig ist die Schauspielkunst zu einer Macht angewachsen, die sich
nicht viel leichter unterdrücken lassen würde, als etwa die Presse selbst. Alles,
was selbst in Rom gegen sie auszurichten ist, beschränkt sich darauf, daß man
ihr bestimmte unfreiwillige Ferien auferlegt, z. B. von Aschermittwoch an bis
Ostern, immer eine nicht unbedeutende Unterbrechung, geeignet, mancher deut¬
schen Theaterkasse einen empfindlichen Stoß zu geben.

Während dieser Fastenzeit tritt nun die Kirche in ihr altes Recht zurück:
selbst und zwar allein die Sinne des Volkes zu beschäftigen, und sie läßt kei-


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[0082] Kampfe gegen Mitbewerber um die Gunst des kunstbedürstigen Volkes be¬ griffen, und zu keiner Zeit verkennt man, wie die Kirche mit dem Siegen oder Unterliegen in diesem Wettstreite stehen oder fallen muß. Die Schauspielkunst hat sich nur nach langjährigen Anstrengungen zur weltlichen Selbstständigkeit durcharbeiten können. Die Kirche erkannte auf den ersten Blick diese gefährlichste aller Nebenbuhlerinnen, und man weiß, wie lange alle derartigen Bestrebungen sich in der zwingenden Form von Mysterien, Morälitäten und Klosterschauspielen unschädlich machen lassen mußten. Vor allem versuchten die Jesuiten noch einmal die den Händen der Kirche entschlü¬ pfende Schauspielkunst ihr zurückzuerobern. Oft genug in dieser Bedeutung erwähnt ist die um das Jahr 1597 von den Jesuiten auf offenem Markt zur Aufführung gebrachte Monsterkomödie, „der Kampf des Erzengels Michael mit dem Lucifer", wobei nicht weniger als 900 Personen den Chor bildeten. Vierzig Jahre später gaben die Jesuiten in Neapel zu Ehren der Infantin eine Vorstellung, welche 7000 Ducaten kostete, und wobei schon Kinder in Wolken umherschifften, eine später dem Jesuitenstil in der Malerei, so werth gewordene Erfindung. Auch die Benedictinerinnen von Santa Maria Dorn' Albina führten bei derselben Veranlassung Schauspiele für Damen auf, ohne übrigens es übel zu nehmen, daß eine Menge Cavaliere, von den obern Fenstern der Kirche aus, diesem heiligen Spectakel zusahen. Wie aber in Neapel der Vicekönig Moniere» von dieser Kunst bis zu einem Grade angesteckt wurde, daß er um jeden Preis Schauspieler unterstützt wissen wollte und sogar den spanischen Offizieren und einer gewissen Classe unbeschützter Frauenzimmer bei einer monatlichen Schauspielsteuer von vier ' Carolin gebot, das Theater zu besuchen, so verallgemeinerte sich auch an andern Orten bald der Geschmack an dieser Vergnügung und allmälig wurde die Kirche in ihren desfallsigen Monopolansprüchcn überflügelt. Wenn wir uns an Calderon und Shakespeare erinnern, so gibt das seiner Kirche häufig noch dienstbare Schaffen des erstern und die völlig dem ein¬ zigen Dienste der Kunst gewidmete Thätigkeit des andern Anhaltepunkte ge¬ nug, welche das Unterliegen der Kirche in diesem Wettstreit nicht unerfreulich erscheinen lassen. Gegenwärtig ist die Schauspielkunst zu einer Macht angewachsen, die sich nicht viel leichter unterdrücken lassen würde, als etwa die Presse selbst. Alles, was selbst in Rom gegen sie auszurichten ist, beschränkt sich darauf, daß man ihr bestimmte unfreiwillige Ferien auferlegt, z. B. von Aschermittwoch an bis Ostern, immer eine nicht unbedeutende Unterbrechung, geeignet, mancher deut¬ schen Theaterkasse einen empfindlichen Stoß zu geben. Während dieser Fastenzeit tritt nun die Kirche in ihr altes Recht zurück: selbst und zwar allein die Sinne des Volkes zu beschäftigen, und sie läßt kei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/82>, abgerufen am 29.05.2024.