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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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nen Augenblick verkennen, wie sehr sie hierin das Beste zu leisten sich für be¬
fähigt hält.

Da sich inzwischen die Schauspielkunst als Kunst grade in Italien zu einer
großen Höhe und Meisterschaft entwickelt hat, so muß die Kirche als Dilet¬
tantin verzichten, in der ehemaligen Weise eine Bühne der andern gegenüber¬
zustellen. Es werden zwar noch immer geistliche Komödien aufgeführt und
Man erhält ohne große Mühe zu solchen Schaustellungen Zutritt, doch sind
sie mehr auf die Privatbühnen geistlicher Häuser eingeschränkt und haben nicht
im italienischen Sinn einen öffentlichen Charakter. Der Wettstreit im Großen
ist aufgegeben.

Aber in kleine Scheingefechte versprengt, erkennt man ihn doch wieder,
und allenthalben tritt das deutliche Bestreben zu Tage: unterhaltend zu sein,
zu ergötzen, die Menge anzuziehen, volle Häuser zu haben.

Nun werden die unterirdischen, mit Schädeln und Skeletten tapezierten
Kapellen bei der Engelsbrücke und bei den Mönchen neben dem Tritonenplatz
geöffnet, festlich erleuchtet, durchräuchert und früh und spät von Leuten be¬
sucht, die sich gern einmal mit dem Grausen auf Du und Du befinden möch¬
ten. Nun kletterts und kriechts die hohe Treppe von Ära Ceti hinauf, um
kleine geputzte Mädchen auf Stühlen oder Tischen mitten im Kirchenschiff die
sogenannten Kindcrpredigten hersagen zu hören, d. h. Gedichte in Dialog¬
form, welche den dambino, die mackrs all alio, den buen xg.al's (Giuseppe oder
die lang-eolata coneexione feiern. Nun drängt sichs nach dem Bambino von
Ära Ceti selbst, der Wunderpuppe, welche während der Revolutionstage im
päpstlichen Wagen umhergefahren wurde, um solcher Art diesen vor dem ihm
drohenden Autodafe zu bewahren. Nun sind in Sant Onofrio der Laie und
der Gottesgelahrte (in den bekannten Disputationen des ävttv und des 1-0220)
Nahe daran, einander die Köpfe zu zerzausen, und während der eine mit schla¬
gendem Volkswitz sich über Heilige und Fromme lustig macht, der andere
aber im Eifer der Bekehrung die Komi? des Gegners zu überbieten sucht.
Miederhallt das Tonnengewölbe des ehrwürdigen Baues von dem beifälligen
Gelächter der versammelten Zuschauer. Auf den Straßen nicht minder wird
der Vorübergehende zum Verweilen festgehalten. Dem Pantheon gegenüber
improvisirt sich plötzlich auf dem geborgten Tische des ersten besten Pizzicatore
eine geistliche Kanzel. Ein paar alte oder junge Müssiggänger machen Platz,
halten auf, laden zum Bleiben ein. Irgend ein guter Bruder im langen
Rock besteigt den Krämertisch und redet von Gott und Beelzebub, Himmel
Und Hölle, vor allem aber von der unbefleckten Madonna, deren Bild er mit
der Farbenglut eines Aliori in die Luft malt. Zum Schluß greift er zu
einem bereit gehaltenen Crucifix, kniet davor, redet es an, läßt alle Anwesen¬
den seine Worte nachsprechen, springt dann vom Tische hinab und hat seine


nen Augenblick verkennen, wie sehr sie hierin das Beste zu leisten sich für be¬
fähigt hält.

Da sich inzwischen die Schauspielkunst als Kunst grade in Italien zu einer
großen Höhe und Meisterschaft entwickelt hat, so muß die Kirche als Dilet¬
tantin verzichten, in der ehemaligen Weise eine Bühne der andern gegenüber¬
zustellen. Es werden zwar noch immer geistliche Komödien aufgeführt und
Man erhält ohne große Mühe zu solchen Schaustellungen Zutritt, doch sind
sie mehr auf die Privatbühnen geistlicher Häuser eingeschränkt und haben nicht
im italienischen Sinn einen öffentlichen Charakter. Der Wettstreit im Großen
ist aufgegeben.

Aber in kleine Scheingefechte versprengt, erkennt man ihn doch wieder,
und allenthalben tritt das deutliche Bestreben zu Tage: unterhaltend zu sein,
zu ergötzen, die Menge anzuziehen, volle Häuser zu haben.

Nun werden die unterirdischen, mit Schädeln und Skeletten tapezierten
Kapellen bei der Engelsbrücke und bei den Mönchen neben dem Tritonenplatz
geöffnet, festlich erleuchtet, durchräuchert und früh und spät von Leuten be¬
sucht, die sich gern einmal mit dem Grausen auf Du und Du befinden möch¬
ten. Nun kletterts und kriechts die hohe Treppe von Ära Ceti hinauf, um
kleine geputzte Mädchen auf Stühlen oder Tischen mitten im Kirchenschiff die
sogenannten Kindcrpredigten hersagen zu hören, d. h. Gedichte in Dialog¬
form, welche den dambino, die mackrs all alio, den buen xg.al's (Giuseppe oder
die lang-eolata coneexione feiern. Nun drängt sichs nach dem Bambino von
Ära Ceti selbst, der Wunderpuppe, welche während der Revolutionstage im
päpstlichen Wagen umhergefahren wurde, um solcher Art diesen vor dem ihm
drohenden Autodafe zu bewahren. Nun sind in Sant Onofrio der Laie und
der Gottesgelahrte (in den bekannten Disputationen des ävttv und des 1-0220)
Nahe daran, einander die Köpfe zu zerzausen, und während der eine mit schla¬
gendem Volkswitz sich über Heilige und Fromme lustig macht, der andere
aber im Eifer der Bekehrung die Komi? des Gegners zu überbieten sucht.
Miederhallt das Tonnengewölbe des ehrwürdigen Baues von dem beifälligen
Gelächter der versammelten Zuschauer. Auf den Straßen nicht minder wird
der Vorübergehende zum Verweilen festgehalten. Dem Pantheon gegenüber
improvisirt sich plötzlich auf dem geborgten Tische des ersten besten Pizzicatore
eine geistliche Kanzel. Ein paar alte oder junge Müssiggänger machen Platz,
halten auf, laden zum Bleiben ein. Irgend ein guter Bruder im langen
Rock besteigt den Krämertisch und redet von Gott und Beelzebub, Himmel
Und Hölle, vor allem aber von der unbefleckten Madonna, deren Bild er mit
der Farbenglut eines Aliori in die Luft malt. Zum Schluß greift er zu
einem bereit gehaltenen Crucifix, kniet davor, redet es an, läßt alle Anwesen¬
den seine Worte nachsprechen, springt dann vom Tische hinab und hat seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/83>, abgerufen am 31.05.2024.