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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Tagesarbeit gethan. Aehnliche Unterhaltung lockt die Menge nach dem Colos-
seum. Bekanntlich ist der alte Tummelplatz von Thier und Mensch mit einer
Anzahl Leidensstationen ausgestattet worden, und an einem Tage jeder Fasten¬
woche, aber auch sonst nicht selten, wird hier eine Mönchspredigt gehalten.
Sie hat mehr malerische Wirkung, weil eine begleitende Schar Vermummter,
wie man sie bei Begräbnissen sieht, die Stufen der breiten Kanzel umstehend,
gleichsam den Chor zu dem belebten Monolog des Mönches abgibt.

Nicht minder ist um diese Zeit der gewandte Dialektiker der Kirche Gehn,
Pater Curci, aus seinem Posten. Er hat eine Menge seine Beobachtungen
zu seiner Verfügung und wenn er denselben hin und wieder mit seinem Mund¬
spitzen eine sarkastische Färbung gibt, so geschiehts im vollen Bewußtsein der
auch ihm, dem gelehrten Jesuiten, obliegenden Pflicht, nicht allein zu mora-
lisiren, sondern auch zu divertiren.

Ist nun gar Anlaß zu einem Jubeljahr oder zu einer größern kirchlichen
Festlichkeit, so locken auch fremde Redner, z. B. der Cardinal und Lustspiel,
dichter Wiseman, Zuhörer in Menge an, und die Preise der Rohrstühle steigen
von einem Tage zum andern.

Dies ist die eine Seite, wie die stille Zeit, welche dem Schluß der
Theater folgt, in eine sehr laute Zeit verwandelt wird, welche die große Menge
fortwährend in Athem und fern von ihrer Werkstatt hält.

Aber allerlei decorative Schaustellungen kommen hinzu, um die Bühne
und ihre Täuschungen möglichst wenig vermissen zu lassen. In vielen Kirchen
reißt während des ganzen Jahres der Faden der Puppenspiele nicht ab. Da
gibt es in der Garderobe neben der Sacristei blaue, gelbe, goldgestickte Röcke
für den Schutzpatron der Kirche, für die heiligen drei Könige, für die an¬
betenden Hirten, für die sauta, virZwa, und alle übrigen bis zum Gottvater
hinauf. Und wieder neben der Garderobe in rumpligen, bernsteinräucherigen
Kammern stehen Gliederpuppen und Wachs- oder Holzfiguren umher, heilige
Leute, sobald sich die Garderobe ihrer angenommen hat, aber schmuzig und
wurmstichig im Negligv der Polterkammer. Rückt nun ein Festtag heran,
da wird der Kirchendiener im rothen Rocke plötzlich eine wichtige Person, der
niemanden mehr zu grüßen Zeit hat und .höchstens noch dem Altar seinen
Knix macht. Nun schleppt er mit den gemietheten Fachini aus der Rumpel¬
kammer hervor, was irgend noch zusammenhalten will; nun wird gewaschen,
gebürstet, übertüncht und zum Stehen gebracht, was irgend noch der Zahn
der Zeit verschonte; nun steckt man die ungefügen Burschen in Sammt- und
Atlasgewänder, setzt ihnen Diademe auf, nagelt sie ihnen wol gar auf die
hölzerne Stirne fest, und bringt sie in allerlei Stellungen in die Pappland¬
schaft eines Palmenwaldes, wo sie, kunstvoll beleuchtet und durch ein Gitter
abgesperrt, mit ihren gemalten Augen wochenlang die gaffende Menge an-


Tagesarbeit gethan. Aehnliche Unterhaltung lockt die Menge nach dem Colos-
seum. Bekanntlich ist der alte Tummelplatz von Thier und Mensch mit einer
Anzahl Leidensstationen ausgestattet worden, und an einem Tage jeder Fasten¬
woche, aber auch sonst nicht selten, wird hier eine Mönchspredigt gehalten.
Sie hat mehr malerische Wirkung, weil eine begleitende Schar Vermummter,
wie man sie bei Begräbnissen sieht, die Stufen der breiten Kanzel umstehend,
gleichsam den Chor zu dem belebten Monolog des Mönches abgibt.

Nicht minder ist um diese Zeit der gewandte Dialektiker der Kirche Gehn,
Pater Curci, aus seinem Posten. Er hat eine Menge seine Beobachtungen
zu seiner Verfügung und wenn er denselben hin und wieder mit seinem Mund¬
spitzen eine sarkastische Färbung gibt, so geschiehts im vollen Bewußtsein der
auch ihm, dem gelehrten Jesuiten, obliegenden Pflicht, nicht allein zu mora-
lisiren, sondern auch zu divertiren.

Ist nun gar Anlaß zu einem Jubeljahr oder zu einer größern kirchlichen
Festlichkeit, so locken auch fremde Redner, z. B. der Cardinal und Lustspiel,
dichter Wiseman, Zuhörer in Menge an, und die Preise der Rohrstühle steigen
von einem Tage zum andern.

Dies ist die eine Seite, wie die stille Zeit, welche dem Schluß der
Theater folgt, in eine sehr laute Zeit verwandelt wird, welche die große Menge
fortwährend in Athem und fern von ihrer Werkstatt hält.

Aber allerlei decorative Schaustellungen kommen hinzu, um die Bühne
und ihre Täuschungen möglichst wenig vermissen zu lassen. In vielen Kirchen
reißt während des ganzen Jahres der Faden der Puppenspiele nicht ab. Da
gibt es in der Garderobe neben der Sacristei blaue, gelbe, goldgestickte Röcke
für den Schutzpatron der Kirche, für die heiligen drei Könige, für die an¬
betenden Hirten, für die sauta, virZwa, und alle übrigen bis zum Gottvater
hinauf. Und wieder neben der Garderobe in rumpligen, bernsteinräucherigen
Kammern stehen Gliederpuppen und Wachs- oder Holzfiguren umher, heilige
Leute, sobald sich die Garderobe ihrer angenommen hat, aber schmuzig und
wurmstichig im Negligv der Polterkammer. Rückt nun ein Festtag heran,
da wird der Kirchendiener im rothen Rocke plötzlich eine wichtige Person, der
niemanden mehr zu grüßen Zeit hat und .höchstens noch dem Altar seinen
Knix macht. Nun schleppt er mit den gemietheten Fachini aus der Rumpel¬
kammer hervor, was irgend noch zusammenhalten will; nun wird gewaschen,
gebürstet, übertüncht und zum Stehen gebracht, was irgend noch der Zahn
der Zeit verschonte; nun steckt man die ungefügen Burschen in Sammt- und
Atlasgewänder, setzt ihnen Diademe auf, nagelt sie ihnen wol gar auf die
hölzerne Stirne fest, und bringt sie in allerlei Stellungen in die Pappland¬
schaft eines Palmenwaldes, wo sie, kunstvoll beleuchtet und durch ein Gitter
abgesperrt, mit ihren gemalten Augen wochenlang die gaffende Menge an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/84>, abgerufen am 29.05.2024.