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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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übertragen. Die Orgel ist daher auch in Mißcredit gekommen. Im Neapo¬
litanischen hat man die Militärmusik mit zum Dienst herangezogen. Beim
Fest des heiligen Januarius trommelts und b-leises den halben Tag vom Chor
herunter, und man findet Bellini für diese Festlichkeiten fast schon zu ernst.
Bei allen Landfesten, worunter man in Italien nichts anders als Kirchenfeste
zu verstehen hat, liegt es höchstens an der Dürftigkeit der Gemeinden, wenn
nicht Militärbanden in den Kirchen und bei den Processionen ausspielen. Die
Militärbande bei dem Feste des heiligen Antonio zu Mass", geriet!) wäh¬
rend unseres dortigen Aufenthalts einmal in solch musikalisches Feuer, daß ein
halbes Dutzend Kirchenscheiben aus dem Bleirahmen sprangen. Da man üb¬
rigens den Schutzpatron gleichzeitig durch kräftige, vor der Kirche abgefeuerte
Böllersalven feiert, und da man ihm -zu Ehren an der Kirchenthüre eine Art
Jahrmarkt abhält, während der Messe Gelato und Granito ausruft, am
Nachmittag häusig eine Tombola zum Besten gibt, Abends aber feuerwerkt
und leuchtende Ballons aufsteigen läßt, mithin alles laut und weltlich lärmend
betreibt, so fällt bei diesen ländlichen Patronatsfesten die unkirchliche Musik
kaum noch verletzend auf. Man ist ohne längeres Zögern völlig in die Rolle
der Jahrmarktsbelustiger eingegangen, duldet nicht, daß sich ein Concurrent
daneben breit macht, und hat das Ideal dreist proclamirt, nach welchem in
den Städten noch schüchtern umhergetappt wird: auf kirchlichem Wege dem
Volke alles zu bieten, wonach sein Kunstbedürfniß nur Verlangen trägt.

Es liegt am Tage, daß dieser Zweck nur erreicht werden kann, wenn die
italienische Kirche eine gewisse, ihr erreichbare Grenze der Kunstvollkommenheit,
nach Art der alten Aegypter, als nicht übcrschreitbar feststellen könnte und
solcher Art die Kunst selbst in ihren Leistungen herabdrückte. Es ist wol
keinen Augenblick zweifelhaft, daß sie diesen Ausweg wählen würde, stände
ihr die Wahl frei. Frühern Zeiten ist dies möglich gewesen, und wir finden
in der Geschichte jeder Kunst eine Entwicklungsstufe, von deren Betreten oder
Ueberschreiten eine gewisse religiöse Scheu lange Zeit die Vorwärtsstrebenden
zurückhielt. Heutzutage hat die Kirche kaum in den ihr eigensten Dar-
stellungsgebicten noch ein Wort mitzureden. Als Flatz in Rom die armen
Seelen im Fegefeuer in Kleidern darstellte und allen ihn besuchenden Nicht-
katholiken dadurch anschaulich machte, von einem wirklich brennenden Feuer und
von lauter halbgerösteten armen Sündern sei selbst im Fegefeuer nach neuester
Auffassung nicht mehr die Rede, da erschien die mit der Tradition streitende Neue¬
rung dem Papst Pio Nouv so auffallend, daß er vom Vatican nach der
Piazza ti Spagna fuhr und die drei Stiegen zum Flatzschen Atelier erstieg.
Er stand lange vor dem Bilde und er mochte seine eignen Gedanken über die
neue Mode haben. Aber als er fortging, äußerte er sein vollkommnes Ein¬
Verständniß damit, daß ein Kleiderverbot seinerseits keinen Künstler abhalten


übertragen. Die Orgel ist daher auch in Mißcredit gekommen. Im Neapo¬
litanischen hat man die Militärmusik mit zum Dienst herangezogen. Beim
Fest des heiligen Januarius trommelts und b-leises den halben Tag vom Chor
herunter, und man findet Bellini für diese Festlichkeiten fast schon zu ernst.
Bei allen Landfesten, worunter man in Italien nichts anders als Kirchenfeste
zu verstehen hat, liegt es höchstens an der Dürftigkeit der Gemeinden, wenn
nicht Militärbanden in den Kirchen und bei den Processionen ausspielen. Die
Militärbande bei dem Feste des heiligen Antonio zu Mass«, geriet!) wäh¬
rend unseres dortigen Aufenthalts einmal in solch musikalisches Feuer, daß ein
halbes Dutzend Kirchenscheiben aus dem Bleirahmen sprangen. Da man üb¬
rigens den Schutzpatron gleichzeitig durch kräftige, vor der Kirche abgefeuerte
Böllersalven feiert, und da man ihm -zu Ehren an der Kirchenthüre eine Art
Jahrmarkt abhält, während der Messe Gelato und Granito ausruft, am
Nachmittag häusig eine Tombola zum Besten gibt, Abends aber feuerwerkt
und leuchtende Ballons aufsteigen läßt, mithin alles laut und weltlich lärmend
betreibt, so fällt bei diesen ländlichen Patronatsfesten die unkirchliche Musik
kaum noch verletzend auf. Man ist ohne längeres Zögern völlig in die Rolle
der Jahrmarktsbelustiger eingegangen, duldet nicht, daß sich ein Concurrent
daneben breit macht, und hat das Ideal dreist proclamirt, nach welchem in
den Städten noch schüchtern umhergetappt wird: auf kirchlichem Wege dem
Volke alles zu bieten, wonach sein Kunstbedürfniß nur Verlangen trägt.

Es liegt am Tage, daß dieser Zweck nur erreicht werden kann, wenn die
italienische Kirche eine gewisse, ihr erreichbare Grenze der Kunstvollkommenheit,
nach Art der alten Aegypter, als nicht übcrschreitbar feststellen könnte und
solcher Art die Kunst selbst in ihren Leistungen herabdrückte. Es ist wol
keinen Augenblick zweifelhaft, daß sie diesen Ausweg wählen würde, stände
ihr die Wahl frei. Frühern Zeiten ist dies möglich gewesen, und wir finden
in der Geschichte jeder Kunst eine Entwicklungsstufe, von deren Betreten oder
Ueberschreiten eine gewisse religiöse Scheu lange Zeit die Vorwärtsstrebenden
zurückhielt. Heutzutage hat die Kirche kaum in den ihr eigensten Dar-
stellungsgebicten noch ein Wort mitzureden. Als Flatz in Rom die armen
Seelen im Fegefeuer in Kleidern darstellte und allen ihn besuchenden Nicht-
katholiken dadurch anschaulich machte, von einem wirklich brennenden Feuer und
von lauter halbgerösteten armen Sündern sei selbst im Fegefeuer nach neuester
Auffassung nicht mehr die Rede, da erschien die mit der Tradition streitende Neue¬
rung dem Papst Pio Nouv so auffallend, daß er vom Vatican nach der
Piazza ti Spagna fuhr und die drei Stiegen zum Flatzschen Atelier erstieg.
Er stand lange vor dem Bilde und er mochte seine eignen Gedanken über die
neue Mode haben. Aber als er fortging, äußerte er sein vollkommnes Ein¬
Verständniß damit, daß ein Kleiderverbot seinerseits keinen Künstler abhalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/88>, abgerufen am 31.05.2024.