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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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würde, sich die schwierige Fleischmalerei durch passende Gewandung auch selbst
bei Darstellungen des Fegefeuers vom Halse zu schaffen.

Somit wird nur im Kleinen und ohne klaren Zusammenhang gemaßregelt.
Man gefällt sich darin, ohne von irgend puritanischen Bedenken gegen die
Vergnügungssucht des Volks geleitet zu werden, ihm alles das zu verküm¬
mern, was ihm nicht gerades Wegs durch die Kirche zugetragen wird. So hat
Man den Improvisatoren ein grausames Ende gemacht, und wir sind von
einem Ende Italiens zum andern umhergestrichen, ohne auf offnem Markte
uoch eines einzigen dieser ungefährlichen Vorleser habhaft zu werden. Dennoch
lasen sie, wie man weiß, meistens nur ihren Ariost, ihren Tasso, ihren Dante
und vermittelten aus naive Weise zwischen dem gelehrigen, aber ungeschulten
Volke und seinen großen Geistern früherer Jahrhunderte. Warum verfolgt
Man diese Zunft, die ungepflegt aus dem Boden aufgeschossen war und deren
Schößlinge man in jedes andere Land zu verpflanzen wünschen müßte?

Aber noch eifersüchtiger sast ist die italienische Kirche auf eine andere Art
Unterhaltung, vielleicht die beste von allen, welche zwischen Spiel und Kunst
aus der heitern Sitte eines glücklich organisirten Volks sich entwickeln kann.
Wir meinen den Tanz. Man hat bei diesem Worte leicht eine zu nordische
Vorstellung. Wer deutsche Kirmeß- und Jahrmarktstanzvergnügungen im
Auge hat, mag der Ansicht sein, daß in der That wenig verloren würde,
wenn diese Art Tanz ein Ende hätte. Es ließe sich auch füglich nichts dagegen
Umwenden, sobald ein Ersatz dafür gefunden wäre, denn die Kraft will nun
einmal austoben und am Ende ists noch nicht die schlimmste Art von Aus¬
toben, wenn auch mal ein Kopf blutig geschlagen oder ein Kranz zerzaust wird.
Aber jenseits der Alpen kommt man überhaupt mit dem Maßstab nordischer
Ausgelassenheit nicht durch. Es ist ein unglaublicher Abstand zwischen unserm
Zutschen Bauern- oder Handwerkervolk und den gleichen Classen in Italien.
Schon die Mäßigkeit im Genusse berauschender Getränke bringt den Italiener
gegen uns in den auffallendsten Vortheil. Man sieht keine Lustigkeit, welche
ihre Ursachen auf dem Boden der Flasche nachweisen muß. Dazu kommt
die große Zurückhaltung des weiblichen Geschlechts. Wenn wir lesen, daß
die Franzosen Rom räumen möchten und die Oestreicher Ancona, so sind die
Weiber zum größten Theil Schuld, daß beide fort verlangen. Nie haben
wir in Rom und Ancona eins jener leicht geknüpften Verhältnisse zwischen
Soldaten und weiblichen Dienstboten gesehen, das uns in Deutschland und
Frankreich auf jedem Wege begegnet. Und zwar gilt diese Zurück¬
haltung nicht nur den Fremden, sie gilt nahezu im gleichen Maße den
Einheimischen. So hat denn auch die natürlichste Annäherungsform der im
Spiel sich gegenübertretenden Geschlechter, der Tanz, in Italien keine jener
rohen Seiten, an denen unser Volk wol noch Jahrhunderte lang zu glätten


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würde, sich die schwierige Fleischmalerei durch passende Gewandung auch selbst
bei Darstellungen des Fegefeuers vom Halse zu schaffen.

Somit wird nur im Kleinen und ohne klaren Zusammenhang gemaßregelt.
Man gefällt sich darin, ohne von irgend puritanischen Bedenken gegen die
Vergnügungssucht des Volks geleitet zu werden, ihm alles das zu verküm¬
mern, was ihm nicht gerades Wegs durch die Kirche zugetragen wird. So hat
Man den Improvisatoren ein grausames Ende gemacht, und wir sind von
einem Ende Italiens zum andern umhergestrichen, ohne auf offnem Markte
uoch eines einzigen dieser ungefährlichen Vorleser habhaft zu werden. Dennoch
lasen sie, wie man weiß, meistens nur ihren Ariost, ihren Tasso, ihren Dante
und vermittelten aus naive Weise zwischen dem gelehrigen, aber ungeschulten
Volke und seinen großen Geistern früherer Jahrhunderte. Warum verfolgt
Man diese Zunft, die ungepflegt aus dem Boden aufgeschossen war und deren
Schößlinge man in jedes andere Land zu verpflanzen wünschen müßte?

Aber noch eifersüchtiger sast ist die italienische Kirche auf eine andere Art
Unterhaltung, vielleicht die beste von allen, welche zwischen Spiel und Kunst
aus der heitern Sitte eines glücklich organisirten Volks sich entwickeln kann.
Wir meinen den Tanz. Man hat bei diesem Worte leicht eine zu nordische
Vorstellung. Wer deutsche Kirmeß- und Jahrmarktstanzvergnügungen im
Auge hat, mag der Ansicht sein, daß in der That wenig verloren würde,
wenn diese Art Tanz ein Ende hätte. Es ließe sich auch füglich nichts dagegen
Umwenden, sobald ein Ersatz dafür gefunden wäre, denn die Kraft will nun
einmal austoben und am Ende ists noch nicht die schlimmste Art von Aus¬
toben, wenn auch mal ein Kopf blutig geschlagen oder ein Kranz zerzaust wird.
Aber jenseits der Alpen kommt man überhaupt mit dem Maßstab nordischer
Ausgelassenheit nicht durch. Es ist ein unglaublicher Abstand zwischen unserm
Zutschen Bauern- oder Handwerkervolk und den gleichen Classen in Italien.
Schon die Mäßigkeit im Genusse berauschender Getränke bringt den Italiener
gegen uns in den auffallendsten Vortheil. Man sieht keine Lustigkeit, welche
ihre Ursachen auf dem Boden der Flasche nachweisen muß. Dazu kommt
die große Zurückhaltung des weiblichen Geschlechts. Wenn wir lesen, daß
die Franzosen Rom räumen möchten und die Oestreicher Ancona, so sind die
Weiber zum größten Theil Schuld, daß beide fort verlangen. Nie haben
wir in Rom und Ancona eins jener leicht geknüpften Verhältnisse zwischen
Soldaten und weiblichen Dienstboten gesehen, das uns in Deutschland und
Frankreich auf jedem Wege begegnet. Und zwar gilt diese Zurück¬
haltung nicht nur den Fremden, sie gilt nahezu im gleichen Maße den
Einheimischen. So hat denn auch die natürlichste Annäherungsform der im
Spiel sich gegenübertretenden Geschlechter, der Tanz, in Italien keine jener
rohen Seiten, an denen unser Volk wol noch Jahrhunderte lang zu glätten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/89>, abgerufen am 28.05.2024.