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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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bequem. Dabei war das Ufer so günstig gestaltet, daß Herren und Damen
ihren besondern Strand hatten, so daß kein Auge von dem einen zu dem
andern gelangen konnte. Während sehr viele Seebäder an der Küste liegen,
wo in der Regel eine Mischung der See mit süßem Wasser stattfindet: konnte
das Meilen weit vom Festland entfernte Wanger-Oge sich rühmen, ein reines,
ganz unverfälschtes, durch trefflichen Wellenschlag bewegtes Meer seinen Bade¬
gästen zu gewähren. Wie in andern Seebädern, wurde man in Badckutschen
in das Wasser geschoben. Von dem Badekabinct, das sie enthielten, führte
eine kleine Treppe in das offne Meer. Wenn wir auch am frühen Morgen
und bei kühlem Wetter badeten, so erkälteten wir uns doch nicht, weil die
salzige Flut einen zu starken Reiz auf den Körper ausübte. Ueberhaupt hörte
man nicht über Schnupfen oder Katarrhe klagen, so viel auch die Badegäste
im heftigen Winde gingen. Tritt man zum ersten Male, ein schwaches, nack¬
tes Geschöpf, dem furchtbaren Elemente gegenüber; sieht man die weißen Wellen¬
berge, die einen hinter den andern, auf sich zustürzen: so kann man sich schwer¬
lich eines kleinen Grausens erwehren. Aber bald wird man mit dem an¬
springenden Ungeheuer vertraut, und man läßt jubelnd den brüllenden Löwen
mit den weißen Mähnen über sich wegspringen. Verschwindet man auch
unen Augenblick in der schäumenden Flut; wird man auch niedergeworfen,
wie der Sklave vor seinem Gebieter niedersinkt: schnell richtet man sich wieder
empor und dringt, die rechte Schulter vor, wie ein kampflustiger Ringer der
nächsten Wellenbank entgegen. Siehe, da kommt es gegangen, das hohe
krystallene Haus; oben wölbt es sich wie ein Dach, um dich einzuhegen; das
Dach zerbricht über dir und löst sich in weißen Gischt, und die grüne Mauer
stürmt weiter, um an dem aufsteigenden Ufer vollends zu zerschellen. Man
badet natürlich diesseits der eigentlichen Brandung, da der erste, heftigste An¬
prall der See an der abfallenden Küste Gefahr bringen würde. Von Schwim¬
men kann hier nicht die Rede sein. Ein Bewohner der Ostseeküste, wo man
bekanntlich den Wechsel von Ebbe und Flut nicht kennt, ein kühner Schwim¬
mer, badete zu meiner Zeit auf Wanger-Oge. Seiner Kunst vertrauend wagte
^ es, sich durch die Brandung hindurchzuarbeiten, um sich jenseits auf den
Wellenhügcln, wie er gewohnt war. zu wiegen. Allein der Rückschlag der
^ogen in der Brandung war so groß, daß er trotz der äußersten Anstrengung
Mehl zurückzukehren im Stande war. Endlich warfen ihm die Badewärter --
von denen keiner schwimmen konnte -- indem sie, sich die Hände reichend,
eine Kette bis in die Brandung bildeten, ein Tau zu, das glücklicherweise
"och hatte beschafft werden können; halb bewußtlos faßte es der Untergehende
und gelangte so endlich, mehr todt als lebendig, ans Ufer zurück.

Da wir Herren uns ziemlich weit von unsern Badekutschcn entfernten, und
"si nicht auf die Nummern, die sie trugen, achteten: so geschah es nicht selten,


Grenzboten IV. 1ob9. 14

bequem. Dabei war das Ufer so günstig gestaltet, daß Herren und Damen
ihren besondern Strand hatten, so daß kein Auge von dem einen zu dem
andern gelangen konnte. Während sehr viele Seebäder an der Küste liegen,
wo in der Regel eine Mischung der See mit süßem Wasser stattfindet: konnte
das Meilen weit vom Festland entfernte Wanger-Oge sich rühmen, ein reines,
ganz unverfälschtes, durch trefflichen Wellenschlag bewegtes Meer seinen Bade¬
gästen zu gewähren. Wie in andern Seebädern, wurde man in Badckutschen
in das Wasser geschoben. Von dem Badekabinct, das sie enthielten, führte
eine kleine Treppe in das offne Meer. Wenn wir auch am frühen Morgen
und bei kühlem Wetter badeten, so erkälteten wir uns doch nicht, weil die
salzige Flut einen zu starken Reiz auf den Körper ausübte. Ueberhaupt hörte
man nicht über Schnupfen oder Katarrhe klagen, so viel auch die Badegäste
im heftigen Winde gingen. Tritt man zum ersten Male, ein schwaches, nack¬
tes Geschöpf, dem furchtbaren Elemente gegenüber; sieht man die weißen Wellen¬
berge, die einen hinter den andern, auf sich zustürzen: so kann man sich schwer¬
lich eines kleinen Grausens erwehren. Aber bald wird man mit dem an¬
springenden Ungeheuer vertraut, und man läßt jubelnd den brüllenden Löwen
mit den weißen Mähnen über sich wegspringen. Verschwindet man auch
unen Augenblick in der schäumenden Flut; wird man auch niedergeworfen,
wie der Sklave vor seinem Gebieter niedersinkt: schnell richtet man sich wieder
empor und dringt, die rechte Schulter vor, wie ein kampflustiger Ringer der
nächsten Wellenbank entgegen. Siehe, da kommt es gegangen, das hohe
krystallene Haus; oben wölbt es sich wie ein Dach, um dich einzuhegen; das
Dach zerbricht über dir und löst sich in weißen Gischt, und die grüne Mauer
stürmt weiter, um an dem aufsteigenden Ufer vollends zu zerschellen. Man
badet natürlich diesseits der eigentlichen Brandung, da der erste, heftigste An¬
prall der See an der abfallenden Küste Gefahr bringen würde. Von Schwim¬
men kann hier nicht die Rede sein. Ein Bewohner der Ostseeküste, wo man
bekanntlich den Wechsel von Ebbe und Flut nicht kennt, ein kühner Schwim¬
mer, badete zu meiner Zeit auf Wanger-Oge. Seiner Kunst vertrauend wagte
^ es, sich durch die Brandung hindurchzuarbeiten, um sich jenseits auf den
Wellenhügcln, wie er gewohnt war. zu wiegen. Allein der Rückschlag der
^ogen in der Brandung war so groß, daß er trotz der äußersten Anstrengung
Mehl zurückzukehren im Stande war. Endlich warfen ihm die Badewärter —
von denen keiner schwimmen konnte — indem sie, sich die Hände reichend,
eine Kette bis in die Brandung bildeten, ein Tau zu, das glücklicherweise
"och hatte beschafft werden können; halb bewußtlos faßte es der Untergehende
und gelangte so endlich, mehr todt als lebendig, ans Ufer zurück.

Da wir Herren uns ziemlich weit von unsern Badekutschcn entfernten, und
"si nicht auf die Nummern, die sie trugen, achteten: so geschah es nicht selten,


Grenzboten IV. 1ob9. 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/117>, abgerufen am 14.06.2024.